|
Prälat
Dr. Georg May
Die ganze menschliche Natur Jesu ist anbetungswürdig; denn
sie ist verbunden mit der Gottheit. Wenn die ganze Natur anbetungswürdig
ist, sind es auch alle ihre Teile. Seit dem Mittelalter, vor allem seit
den Kreuzzügen ist die Verehrung der menschlichen Natur Jesu und zu
ihrer Teile besonders intensiv geworden. Man hat die heiligen Wunden des
Herrn in besonderer Weise ins Auge gefasst, das Haupt des Herrn, sein Antlitz,
aber auch sein Kostbares Blut und sein heiligstes Herz. Die Herz-Jesu-Verehrung
hat sich seitdem kontinuierlich entwickelt und ihren Höhepunkt erreicht
im 17. Jahrhundert, als eine Jungfrau in Frankreich, Maria
Margareta Alacoque, vom Herrn besonderer Visionen gewürdigt
wurde. Maria Margareta Alacoque ist die Heroldin der Herz-Jesu-Verehrung
geworden, und ihr verdanken wir das Herz-Jesu-Fest, das wir am vergangenen
Freitag begangen haben.
Die Verheißungen, welche Margareta Maria Alacoque vom Herrn
empfing, sind bekannt. Ich erwähne nur eine: „Ich werde die Häuser
segnen, wo das Bild meines Herzens aufgestellt ist." Ach, meine Freunde,
ich denke an meine Vorfahren. Sie waren arme Leute. Im Hause meiner Großeltern
spielte sich das ganze Leben in der Küche ab, aber über dem Küchentisch,
da hing das Bild des Heiligsten Herzens Jesu. „Ich werde die Häuser
segnen, in denen das Bild meines Herzens aufgestellt ist." Margareta Maria
Alacoque hat aber außer den Verheißungen auch andere Weisungen
und Erleuchtungen vom Herrn empfangen. Einmal, am Fronleichnamstag, als
sie vor dem Allerheiligsten kniete, hörte sie den Herrn zu sich sprechen:
„Sieh da, dieses Herz, das die Menschen so sehr geliebt hat, dass es nichts
sparte, sondern sich ganz verzehrte und erschöpfte, um ihnen seine
Liebe kundzutun! Und zum Lohn empfange ich von den meisten nur Undank durch
Unehrerbietigkeit und Lästerungen, durch die Kälte und Verachtung,
die sie mir im Sakrament der Liebe bezeigen. Noch schmerzlicher aber ist
es, dass auch Herzen, die mir geweiht sind, mich so behandeln." Das ist
eine Vision gewesen, die der Herr Maria Margareta Alacoque hat zuteil werden
lassen. „Sieh da, dieses Herz, das die Menschen so sehr geliebt hat." Das
Heilandsherz, die menschgewordene Liebe Gottes.
Als der Sohn Gottes daranging, zu uns Menschen auf die Erde herabzusteigen,
da schuf ihm der Heilige Geist ein Gefäß, ein Gefäß,
in dem er die ganze unendliche Liebe seines Gottesherzens bergen sollte.
Und dieses heilige Gefäß war sein gottmenschliches Herz. Ganz
groß, ganz rein, ganz lauter, ein Menschenherz, aber ganz anders
als wir, ein Menschenherz, in dem die ewige Liebe Gottes schlug. Mensch
geworden unter uns Menschen, ein Herz, so lauter, so stark und gewaltig,
wie nur dieses Herz eine Liebe kannte und sonst keines mehr. Wie hat sie
sich verströmt, diese Liebe! Wenn wir aufmerksam und mit Andacht die
Evangelien lesen, da wird es uns warm ums Herz, wenn wir den Herrn reden
und handeln sehen; wenn wir die Worte seiner Liebe vernehmen: „Kommt alle
zu mir, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken."
Er lädt die Bekümmerten, die Leidenden, die Geplagten ein. „Ich
bin nicht gekommen, Gerechte zu berufen, sondern Sünder."
Ja, das ist seine Sendung gewesen, nicht Gerechte zu berufen, sondern Sünder,
wie wir es im heutigen Evangelium gehört haben. Er geht den Verirrten,
den Gestrandeten, den Verlorenen nach. Am Kreuze noch betet er für
seine Peiniger: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!"
Er sucht sie zu entschuldigen: „Sie wissen nicht, was sie tun!" Und die
Taten der Liebe; wir haben es ja gehört: der Freund, der Zöllner
und Sünder, das ist er. Den Verachteten, den Gemiedenen geht er nach,
lädt sie ein und lädt sich bei ihnen ein, nimmt bei ihnen Wohnung.
Das geknickte Rohr bricht er nicht und den glimmenden Docht löscht
er nicht aus. Der reuigen Sünderin hat er sich angenommen: „Geh hin
und sündige nicht mehr!" Und dem reuigen Schächer am Kreuze verheißt
er das Paradies. Und selbst seine Wundermacht hat er für seine Liebe
eingesetzt. Als die Menschen in der Wüste nichts zu essen haben, wirkt
er das große Wunder der Brotvermehrung: „Mich erbarmt des Volkes."
Und aus dem Erbarmen des Herzens wirkt er diese einmalige Tat. Ebenso,
als die Jünger im Seesturm schreien: „Herr, rette uns, wie gehen zugrunde!"
Da setzt er wieder seine Wundermacht ein, steht auf, reckt sich empor:
„Schweige! Verstumme!" Und das Seebeben hört auf, und der Wind legt
sich. Das ist das Herz Jesu. In der Litanei vom Heiligsten Herzen Jesu
wird versucht, die Tiefe dieses Herzens auszuloten. Drei Anrufungen stellen
auf die Liebe des Herzens Jesu ab: „Herz Jesu, du Feuerherd der Liebe;
Herz Jesu, voll Güte und Liebe; Herz Jesu, du Wohnstatt der Gerechtigkeit
und Liebe." Es ist die Liebe eines Gottes, eine Liebe, die nicht müde
wird wie unsere Liebe, eine Liebe, die nicht auswählt, wie wir es
machen, eine Liebe, die nicht aufhört, wie sie bei uns so schnell
zu Ende ist. Sieh da, dieses Herz! Wahrhaftig, das Heilandsherz ist die
menschgewordene Liebe Gottes.
Aber das war ihm noch nicht genug. Das Heilandsherz ist auch die
auf den Tod verwundete Liebe Gottes. Der hat die größte Liebe,
der ohne Grund liebt, der zuerst liebt, der mit Feuer liebt und der bis
zum Tode liebt. So ist die Liebe unseres Gottes. Er wollte seine Liebe
nicht nur mit Worten und Taten bezeugen, er wollte sie mit der ergreifendsten
Sprache bezeugen, die es überhaupt gibt, nämlich mit der Sprache
seines Blutes. Dieses Herz sollte sich verzehren auf dem Opferaltar des
Kreuzes. Es sollte verglühen in einem Opfer ohnegleichen. Was hat
dieses Herz in den letzten 24 Stunden seines irdischen Lebens nicht durchgemacht!
Ein Apostel verrät ihn; die Jünger fliehen; Petrus verleugnet
ihn; seine Peiniger überhäufen ihn mit Spott und Hohn, Erniedrigung
und Lästerung. Mit Geißelhieben und einer Dornenkrone und einem
Spottkleid verhöhnen sie das auf Erden erschienene Leben Gottes. Alle
drei Synoptiker, also Matthäus, Lukas und Markus, alle drei Synoptiker
berichten, dass Jesus von seinen Henkern angespuckt wurde. Mitglieder oder
Diener des Hohen Rates, Soldaten der Besatzungsmacht, sie haben ihn angespuckt.
Anspucken ist das Zeichen des Abscheus und der Verachtung. Abscheu und
Verachtung wollten sie dem Herrn bezeigen. Und das muss uns zu Herzen gehen,
wie es ja in dem ergreifenden Liede heißt: „Du
edles Angesichte, davor sonst schrickt und scheut das große Weltgerichte,
wie bist du so bespeit! Wie bist du so erbleichet! Wer hat dein Augenlicht,
dem sonst kein Licht mehr gleichet, so schändlich zugericht'?"
Wahrhaftig, das Heilandsherz ist die auf den Tod und bis zum Tode verwundete
Liebe. Vier Anrufungen der Litanei vom Heiligsten Herzen Jesu stellen uns
die verwundete Liebe vor: „Herz Jesu, mit Schmach
gesättigt; Herz Jesu, voll Qual ob unserer Missetaten; Herz Jesu,
gehorsam geworden bis zum Tode; Herz Jesu, von der Lanze durchbohrt."
Wahrhaftig, das ist die bis zum Tode verwundete Liebe unseres Heilandes.
Und doch, das alles hat ihm noch nicht genügt. Das Heilandsherz
ist auch die verkannte Liebe Gottes. Und so fährt der Herr in seiner
Klage bei Maria Margareta Alacoque fort: „Und zum Lohn empfange ich Undank."
Ist es wahr oder nicht? Wo ist die Glut der Gegenliebe, die allein der
Liebesglut dieses Herzens entspräche? Wo ist auch nur die Treue zum
heiligen Opfer? Ach, meine Freunde, es ist für mich jeden Sonntag
schmerzlich, wenn ich sehe, wie meine Nachbarschaft den Tag des Herrn verbringt:
mit Essen, Schlafen, Ausruhen, Vergnügen. Statt Dank Undank, statt
Ehrerbietung Unehrerbietigkeit, statt Liebe Kälte und Verachtung.
Ja, auch Unehrerbietigkeit. Wo ist denn die Ehrfurcht vor diesem Herzen,
vor dem Sakrament dieses Herzens? Ich habe vor mir, meine lieben Freunde,
einen Ausdruck aus dem Internet. Da ist berichtet von einem Vortrag, den
der Erzbischof Ranjit, der Sekretär der Gottesdienstkongregation in
Rom, in Wien gehalten hat. In diesem Vortrag hat dieser Fachmann, dieser gläubige
Fachmann einmal die Ärgernisse und Unehrerbietigkeiten aufgelistet,
die heute im Gottesdienst unserer Kirche geschehen. Er hat zum Beispiel
hingewiesen auf die Änderung der Zelebrationsrichtung. Der Priester
ist doch abgelenkt, wenn er ins Volk schaut. Warum schaut er nicht zum
Kreuz? Die Handkommunion.
Warum haben wir nicht die Ehrerbietung, das Allerheiligste nicht in die
Hand zu nehmen, um dem Herrn zu zeigen, wir sind es nicht wert, wir sind
es nicht würdig. Gewiß, der Mund ist nicht weniger schuldig
oder unschuldig als die Hand, aber es ist ein Zeichen der Ehrfurcht, dass
man etwas nicht in die Hand nimmt. Er weist dann auf die Preisgabe der
Stille und Anbetung hin. Er erinnert daran, dass die Gesten des Kniens
und des Verbeugens immer weniger geworden sind und kaum noch geübt
werden. Das alles ist Ausdruck der verkannten Liebe Gottes.
Und da ruft uns der Heiland, da ruft uns Maria
Margareta Alacoque, da ruft uns die Herz-Jesu-Verehrung auf, zu sühnen
- zu sühnen. Was heißt sühnen? Sühnen heißt,
das Böse nicht bloß bereuen, sondern gutmachen, gleichsam aus
der Welt schaffen. Sühne will wiedergewinnen, was durch die Sünde
verlorenging. Sühne muss sein. Wir müssen wiedergutmachen, was
wir in unserem Leben durch Schuld und Sünde verfehlt haben. Sühne
also für eigene Sünden. „Ach Herr, was
du erduldet, ist alles meine Last. Denn ich hab das verschuldet, was du
getragen hast. Schau her, hier steh ich Armer, der Zorn verdienet hat!
Gib mir, o mein Erbarmer, den Anblick deiner Gnad!" Sühne für
eigene Sünden, Sühne aber auch für die Sünden anderer.
Wir können auch für andere sühnen Kraft der Gemeinschaft
der Heiligen. Gott nimmt die Sühne, die wir für andere leisten,
an.
Im 18. Jahrhundert regierte in Frankreich Ludwig XV, ein trauriger
König, meine lieben Freunde, ein Mann der Unzucht, ein Mann der Schwäche,
ein Mann, der sicher auch zu seinem Teil das Verhängnis der Revolution
heraufbeschworen hat. Aber er hatte eine Tochter, Louise. Und Louise, die
Tochter, trat in ein Kloster ein, um für ihren sittenlosen Vater zu
sühnen. Im Karmeliterorden ist aus einer Prinzessin die Schwester
Teresia vom heiligen Augustin geworden. Und ihre Sühne war nicht vergebens.
Auf dem Sterbelager hat Ludwig eine öffentliche Erklärung an
sein Volk gerichtet, dass er sein Leben verurteile.
Sühne leisten, das ist auch unsere Aufgabe, und Gott sei es
gedankt, auch heute gibt es solche Sühneseelen. Unsere guten frommen
Frauen, die da in Heroldsbach
die Nacht durchbeten, das sind solche Sühneseelen. Sie leisten Sühne.
Es ist nicht angenehm, die ganze Nacht zu beten und das Messopfer mitzufeiern,
aber es ist Sühne, und es ist wirksame Sühne. Und so wollen wir
denn heute, meine lieben Freunde, den Vorsatz fassen, auch uns dem Heiligsten
Herzen Jesu zu übergeben. „Göttliches Herz",
so wollen wir sagen, „ich verbinde mein Herz innig
und fest mit dir, dass mich bis zum Ende meines Lebens nichts von dir trennen
kann. Herz Jesu, erbarme dich meiner!"
(Quelle: "Erneuerung
in Christus", Heft Nr. 6,7,8-2016, S. 3-6, Gaming) -
Salvator-Mundi-Verlag
- LINK
Buchvorstellungen aus dem Verlag Salvator-Mundi:
Die
sieben Geheimnisse des Göttlichen Herzens Jesu