Menschwerdung und Geburt Gottes - Predigt von hw. H. Prälat Dr. Georg May |
Manchem von Ihnen wird es schon so ergangen sein, daß er in
seinem Rundfunkgerät einen bestimmten Sender suchte; und als er ihn
gefunden hatte, stellte er fest, daß der Empfang schlecht war. Seine
Sendung wurde überlagert von anderen Klängen oder Worten. Die
Stimme, die man suchte, war nur schwach zu vernehmen, und enttäuscht
stellte man das Rundfunkgerät wieder ab.
Dies ist ein Gleichnis. In der Advents- und Weihnachtszeit ist auch
eine Stimme zu hören. Es ist die Stimme Gottes. Sie kündet von
Dunkel und Leid des Menschen, von Schuld und Sünde der Menschheit,
aber auch vom Erbarmen und von der Liebe Gottes, von der Güte und
Menschenfreundlichkeit unseres Heilandes. Aber es gibt Menschen, die diese
Stimme nicht vernehmen, weil sich laute Stimmen anderer Art vordrängen,
diese Stimme überlagern und, wenn es geschehen kann, zum Schweigen
zu bringen suchen. Das Weihnachtsfest ist ein religiöses Fest. An
Weihnachten begehen wir die Menschwerdung und Geburt unseres Herrn und
Heilands. Nicht nur die Geburt. Sie können feststellen, daß
auch die Menschwerdung, also die Fleischwerdung im Schoße Mariens,
Gegenstand des Weihnachtsfestes ist. In viel späterer Zeit hat die
Kirche das Fest Maria Verkündigung, das früher Christi Verkündigung
hieß, eingeführt. Und das ist richtig gewesen, denn dieses Fest
liegt genau neun Monate vor dem Weihnachtsfest. Es wird dadurch noch einmal
das Weihnachtsgeheimnis in besonderer Weise im Hinblick auf Maria uns ins
Gedächtnis gerufen. Aber die Einführung dieses Festes ändert
nichts daran, daß das Weihnachtsfest viel älter ist und daß
an Weihnachten nicht nur die Geburt unseres Herrn und Heilandes gefeiert
wird, sondern auch seine Menschwerdung. Wer an Weihnachten etwas anderes
sucht und begehrt als das Kommen unseres Heilandes auf dieser Erde zu begehen,
der hat an Weihnachten vorbeigelebt.
Die Auswirkungen dieses Ereignisses im Verhältnis der Menschen
zueinander sind berechtigt und erfreulich. Wenn Gott uns seinen Sohn schenkt,
dann will er die Liebe zu den Brüdern und Schwestern in uns aufwecken.
Und so hat das Schenken und Beschenktwerden an Weihnachten seinen vollkommen
berechtigten Platz.
Die Freude der Weihnacht zeigt sich auch in festtäglichen Mählern
und Aufführungen. Auch das ist berechtigt, denn die Freude sucht ihren
Ausdruck, und sie soll auch in einem Festmahl und einem Konzert ihren Ausdruck
finden. Aber noch einmal: Das alles sind lediglich Auswirkungen, Ausstrahlungen
des Weihnachtsgeheimnisses. Sein Kern ist die Menschwerdung und Geburt
unseres Gottes und Heilandes Jesus Christus.
Wenn Sie die Weihnachtspredigten unserer Bischöfe einmal näher
ins Auge fassen, dann werden Sie feststellen, daß bei so mancher
Predigt der Kernpunkt des Weihnachtsgeheimnisses nicht getroffen wird.
Sie weichen auf Äußerlichkeiten und Auswirkungen aus, sie sprechen
von politischen Forderungen und Ereignissen. Aber der eigentliche Kern,
nämlich daß sich ein unbegreifliches Wunder ereignet hat, daß
sich der Himmel geöffnet hat und Gott selbst auf diese Erde herniedergestiegen
ist, das wird von manchen nicht in aller Klarheit und Deutlichkeit gesagt.
Als das Bundesverfassungsgericht das Urteil über das Anbringen von
Kreuzen erließ, da wies ein deutscher Bischof warnend darauf hin,
daß, wenn der Glaube schwindet, auch die Marktwirtschaft in Gefahr
sei. Das ist eine geradezu erschütternde Verknüpfung. Das Kreuz
als Garant der Marktwirtschaft! Meine lieben Freunde, das ist Verkehrung
der christlichen Botschaft. Das Christentum hat nicht eine bestimmte Form
der Wirtschaft zu gewährleisten, sondern das Christentum hat den Menschen
den Frieden Gottes zu bringen!
Das Geheimnis der Weihnacht ist das Kommen Gottes zu den Menschen.
Der Unsichtbare wird sichtbar, der Ewige tritt in die Zeit ein, der Allmächtige
wird schwach. Die zweite Person Gottes, die in der Fülle und Herrlichkeit
der Gottheit steht, die die Welt geschaffen hat, die zweite Person in der
Gottheit nimmt eine menschliche Natur an. Eine menschliche Natur besteht
aus Leib und Seele, und diese zweite Person der Gottheit nimmt diese menschliche
Natur an aus der Jungfrau Maria. Sie war das Gefäß, das die
irdische Hülle der göttlichen Person bereitet und geboren hat.
Im Jahre 1950 machte ich mich mit ein paar Kartons und einem Fahrrad auf,
um aus München in die Ostzone zu gehen, mit mir noch neun andere junge
Männer. Wir gingen in die Ostzone, um dort dem Priestermangel abzuhelfen.
Wir wußten, dort sind Menschen, die nach dem Priester verlangen,
aber dort gibt es zu wenige Priester. Und so überschritten wir im
April 1950 die Zonengrenze, bestaunt von den Menschen: Wie kann man aus
dem Wirtschaftswunderland Westdeutschland in die Öde der Ostzone gehen,
in die Diktatur des SED-Staates? Was uns trieb, war das Rufen der Menschen
nach dem Priester, war ihr Verlangen nach den Sakramenten und nach dem
Worte Gottes. Aber das war gar nichts gegenüber dem, was der in diesem
Jahr seliggesprochene Damian Deveuster getan hat. Dieser kraftvolle, gesunde
Bauernsohn aus dem Flamenlande ging im vorigen Jahrhundert auf die Insel
der Aussätzigen, nach Molokai. Er wollte den Aussätzigen mit
seinem Körper und mit seiner Seele dienen, als Priester und mit seiner
Hände Arbeit. Er wußte, der Aussatz ist eine ansteckende Krankheit.
Wer dahin geht, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit selbst aussätzig
und kann nicht mehr zurückkehren. Das hat ihn nicht abgehalten, dahin
zu gehen. Er hat dort gewirkt, jahrelang, bis ihn die furchtbare Krankheit
erfaßt und ihn allmählich zu Tode gebracht hat. Das ist schon
eher ein Sinnbild für das, was Gott an Weihnachten getan hat, nämlich
da ist einer aus der Fülle und aus der Geborgenheit in das Elend und
in die Not gegangen. Ähnlich unähnlich ist unser Heiland Jesus
Christus erschienen, hat seine göttliche Herrlichkeit nach außen
abgelegt und die menschliche Begrenztheit und Armseligkeit angenommen.
Er, der reich war, wurde arm; er, der mächtig war, wurde ohnmächtig;
er, der glücklieh war, wurde unglücklich, der letzte aller Menschen,
ein Wurm, nicht ein Mensch. Wir möchten ihn nicht anschauen, heißt
es von ihm in den Gottesknechtsliedern des Propheten Isaias, denn es ist
an ihm keine Schönheit und keine Gestalt.
Die zweite Wahrheit, die an Weihnachten ausgesprochen werden muß,
ist der Sinn dieses Kommens. Warum ist er gekommen? Der Engel sagt es uns:
„Du sollst seinen Namen Jesus nennen, denn er wird sein Volk erlösen
von seinen Sünden!" Er ist gekommen, um die Sündenmacht zu brechen.
Er ist gekommen, um den Menschen das Heil zu bringen. Er ist auf der Erde
gewandert, ruhelos und rastlos, damit wir Erdenwanderer den Weg zum Himmel
finden. Er hat sich müde gearbeitet, damit wir Kraft haben. Er hat
das Kreuz bestiegen, damit wir über die Sünde siegen. Er ist
auferstanden, damit wir die ewige Seligkeit erben. Er hat alles getan um
unseretwillen. Es heißt immer nur: Pro nobis, pro nobis! Für
uns, um unseres Heiles
willen ist er vom Himmel herabgestiegen. Das war der Sinn seines
Kommens. Jetzt ist der Weltarbeiter da, der das aufarbeiten muß,
was die Menschen zugrundegerichtet haben. Jetzt ist der Weltkämpfer
da, der eintritt in den furchtbaren Kampf zwischen Gut und Böse, der
auf dieser Erde tobt. Jetzt ist der Heiland da, an den wir uns halten können,
der Heilige, der Allheilige, der mit seinem Panzer der Heiligkeit den bösen
Feind überwindet. Das ist der Sinn seines Kommens. Er ist gekommen,
um uns den Himmel zu öffnen. Er ist gekommen, um uns von den Sünden
zu erlösen. Er wollte ein Sühnopfer darbringen, die Schuld der
Menschen begleichen, den Schuldschein an das Kreuz heften. Deswegen ist
er gekommen! „Für uns Menschen" - und jetzt kommt die Apposition im
Glaubensbekenntnis - „und um unseres Heiles willen ist er vom Himmel herabgestiegen."
Das „für uns Menschen" wird erklärt durch die Worte „um unseres
Heiles willen". Das Heil ist die Fülle der Gaben, die Gott denen gibt,
die seine Freunde geworden sind. Und dieses Heil hat uns Christus verdient
und wendet es uns fortwährend zu.
Wenn es so um Weihnachten steht, meine lieben Freunde, dann muß
das Kommen des Herrn und das Wirken des Herrn eine Antwort finden. Gottes
Gaben sind immer so geartet, daß sie die menschliche Aktivität
herausfordern. Was uns an Weihnachten auferlegt wird, das läßt
sich in zwei Worten zusammenfassen: Freude und Dankbarkeit. Ja, wahrhaftig,
die Freude ist uns an Weihnachten geboten. Wir sollen uns freuen. Die Weihnachtslieder,
die vielen freudigen Weihnachtslieder sind ein genuiner Ausdruck dessen,
was Gott an Antwort auf sein Kommen von uns erwartet. Die Freude der Hirten,
die aus den Evangelien schimmert, die Freude der Engel, die das Kommen
des Erlösers bejubeln, setzt sich fort in unserer Freude. Wir haben
jetzt den Emanuel, den Gott-mit-uns. Er ist zu uns gekommen, und er ist
bei uns geblieben. Ich weiß, meine lieben Freunde, die Sorgen, Ängste
und Nöte gehen auch an Weihnachten nicht von uns fort. Ich weiß,
wir schauen mit Besorgnis in die Zukunft. Aber es gibt eben einen Freudenanker,
den uns niemand entreißen kann, es gibt einen Grund der Freude, den
kein irdisches Geschütz zerstören kann, und das ist das Kommen
und das Bleiben unseres Heilandes. Daß er uns in seiner grenzenlosen
Liebe aufgesucht hat, daß er hienieden erschienen ist und daß
er in den Gestalten der heiligen Eucharistie bei uns bleibt, das ist ein
Grund zu unaufhebbarer Freude. Diese Freude kann uns niemand geben, diese
Freude kann uns aber auch niemand nehmen. Wir haben den Auftrag, uns zu
freuen.
Wir müssen aber auch dankbar sein. Dankbarkeit ist die Anerkennung
empfangener Wohltaten. Wenn Gott so viel für uns getan hat, dann wäre
es schäbig, nichts für ihn zu tun. Wenn Gott so großmütig
war, dann müssen auch wir großmütig sein. Wenn Gott so
freigebig war, dann dürfen wir nicht knauserig sein. Die Dankbarkeit
muß sich zeigen in der Treue zu Christus und seinem mystischen Leib,
der Kirche. Treue dieser Kirche bezeigen, so sehr sie auch von ihren eigenen
Kindern geschändet und bloßgestellt werden mag, Treue zu dieser
heiligen Kirche. Es gibt keinen Ersatz, es gibt keine Alternative zu dieser
Kirche. Wir dürfen nicht fortgehen von ihr, wir dürfen uns nicht
distanzieren. Treue zu dieser Kirche. Es muß aber auch Güte
in uns sein zu den Mitmenschen. Der Herr hat ja mit der Menschennatur in
einem gewissen Sinne jeden Menschen angenommen. Es ist nicht falsch, zu
sagen, daß durch die Menschwerdung die gesamte menschliche Natur
und damit ein jeder Mensch in irgendeine Verbindung zu Jesus gekommen ist,
wenn es auch noch nicht eine begnadete Verbindung ist. Weil aber Jesus
sich in die menschliche Natur hinein entäußert hat, deswegen
muß die Güte zu jedem Menschen in uns wohnen. Die Menschen,
so garstig und so widerwärtig, so wenig liebenswürdig und so
wenig liebenswert viele von ihnen sein mögen, die Menschen haben Anspruch
auf unsere Geduld und Güte. Das Weihnachtsgeheimnis soll in uns den
Entschluß erneuern, ihnen diese Geduld und Güte zu beweisen.
Dankbarkeit muß sich aber auch schließlich zeigen in
unserem Leben. Unser Leben soll ein Loblied auf Gott sein. In unserem Leben
sollen die Menschen erkennen: Das ist einer, der vom Weihnachtsgeheimnis
geprägt ist; das ist einer, der aus der Menschwerdung lebt; das ist
einer, der von der Gnade geführt wird. Unser Leben soll ein Zeugnis
sein. Es soll Tugenden bezeugen, es soll heilige Gesinnungen und Haltungen
bezeugen. Alles, was an Weihnachten geschehen ist, drängt uns zum
Zeugnis für die Wahrheit Gottes und seines Heilands.
Der schlesische Dichter Angelus Silesius hat das ergreifende Wort
geschrieben: „War Christus tausendmal in Bethlehem geboren, doch nicht
in dir, du bliebst doch ewiglich verloren." Er will damit sagen: Das Weihnachtsgeheimnis
ist ein wunderbares, objektives Geschehnis. Aber es muß von dir angeeignet
werden. Du mußt dieses Geheimnis dir zu Herzen nehmen, Du mußt
aus der Kraft dieses Geheimnisses leben, wirken und leiden. Dann ist Christus
wahrhaftig erneut in dir geboren, und dann ist wirklich das Heil auch zu
dir gekommen.