Verdienste und Vorzüge der seligen Jungfrau Maria |
Das Heilswerk Jesu
im Leben Mariens
Thomas von Kempen,
aus der Nachfolge Mariens
(Fortsetzung)
7.
Die freudige Erscheinung des Auferstandenen bei seiner Mutter in der abgeschiedenen
Kammer
Herr Jesus Christus,
einziggeborener Sohn Gottes, zu unserem Heil Fleisch geworden und geboren
aus der Jungfrau Maria, ich preise dich und danke dir für deine glorreiche
und wahre Auferstehung am heutigen Tag. Ich preise dich besonders für
deine überaus freudige und verborgene Erscheinung, mit der du dich
gewürdigt hast, dich deiner allerheiligsten Mutter Maria in der abgeschiedenen
Kammer ihres Hauses liebevoll zu zeigen, und zwar noch vor all deinen heiligen
Freunden und den dir vertrauten und geliebten heiligen Frauen. Sie war
gerade im Gebet und erwartete deine Ankunft bereits mit großer Sehnsucht
und Zuversicht. Du gabst ihr einen ehrerbietigen Gruß, schenktest
ihr zärtlichsten Trost und Stärkung und erfreutest sie vollkommen
mit deiner körperlichen Gegenwart im Gewand der Freude und der Glorie
der Unsterblichkeit.
Es ist nämlich
billig und recht, deine Mutterliebe zu erwägen und wegen der Ehrung
deiner heiligsten Mutter zu glauben, dass du in allen deinen Handlungen
gütig und barmherzig bist. Dies wird auch von allen Gläubigen
in frommer Weise geglaubt. Du hast ja befohlen, die Eltern zu ehren und
die Trauernden zu trösten. Darum hast du zuerst vor allen anderen
deine heiligste, über deine Passion äußerst betrübte
Mutter besucht, hast sie mit deiner Gegenwart erquickt, von allem Schmerz
und Traurigkeit erleichtert und sie unsagbar froh gemacht.
Indes, sie ging nicht
mit den anderen frommen Frauen, um dein Grab zu besuchen. Sie unterließ
dies nicht aus Furcht und Zittern oder wegen übermäßigen
Schmerzes, sondern sie blieb zu Hause, weil sie ganz sicher wusste, dass
du auferstehen wirst, und sie felsenfest auf dein Kommen am dritten Tag
hoffte. Unterdessen war sie frei für das heilige Gebet und erwartete
mit großer Sehnsucht deine Ankunft. Weil sie dich vor allen liebte
und ersehnte, an dich glaubte und in keiner Weise zweifelte, verdiente
sie es auch deshalb, dich als erste zu sehen. Wenn nämlich Maria glücklich
zu preisen und zu loben ist, weil sie den Worten des Engels Gabriel geglaubt
hat, als er ihr das heilige Geheimnis der Menschwerdung verkündete,
wie muss man sie überaus selig preisen und loben, weil sie dir, ihrem
eigenen Sohn, in allen deinen Handlungen vertraute und fest stand und in
keiner Weise wankte, während alle anderen noch zweifelten.
O mit welch unsagbarer
Freude ist deine heilige Mutter Maria in jener Stunde erfüllt gewesen,
als sie dich sah, ihren Sohn, geschmückt in hell strahlendem Glanz
und verklärtem Leib, leuchtender als die Sonne und schöner als
alle Sterne! Wie unaussprechlich und innig frohlockte ihr Geist in dir,
Jesus, ihrem Gott und Heiland, für alle weiteren Tage ihres irdischen
Lebens. Mit welch aufmerksamen Augen betrachtete sie deinen verklärten
Leib. Über ihn hatte sie zuvor Schmerz empfunden, als er von den grausamen
Geißeln roh zerschlagen wurde, ihn hatte sie gesehen, wie er ans
Holz des Kreuzes genagelt und von der Lanze des Soldaten Longinus in der
rechten Seite durchbohrt wurde. Und dieser Leib war schließlich tot
und eingeschlossen im Grab gelegen. Deshalb bist du heute verdientermaßen
Maria im Glanz deiner Herrlichkeit erschienen. Nun war sie fröhlicher
als sonst und wurde mit neuen Tröstungen erfüllt. Während
der Passion hatte sie doch heftiger als die anderen Schmerz empfunden,
reichlicher geweint und viele dazu bewogen mit ihr zu weinen. Damals hast
du dein Wort erfüllt, o Herr, das du beim letzten Abendmahl deinen
Aposteln zum Trost versprochen hast, und du hast es wahrhaft deiner betrübten
Mutter in Aussicht gestellt, als du sprachst: Ich
werde euch nicht als Waisen zurücklassen, sondern ich komme wieder
zu euch (Joh 14,18) und Ich werde euch wiedersehen; dann wird sich euer
Herz freuen, und niemand nimmt euch eure Freude (Joh 16,22).
Du hast gütig
gehandelt, bester Jesus, als du in kindlicher Anhänglichkeit deine
geliebteste Mutter besuchtest, sie ehrerbietig grüßtest, sie
liebevoll ansprachst, sie herzlich tröstetest, dein frohes Antlitz
ihr zeigtest und alle Traurigkeit und schmerzlichen Tränen aus ihren
Augen wegwischtest. Denn allein durch dein Erscheinen entfloh jeder Schmerz
und jede Klage. Und als du zu ihrem Herzen sprachst, ruhte in ihr der Heilige
Geist, der Beistand, mehr als bei den Aposteln. Sie war im ganzen Herzen
trunken von seiner Freude. Und wie du einst bei der Hochzeit auf ihr Zureden
hin Wasser in besten Wein verwandelt hast, bist du jetzt von der Unterwelt
zurückgekehrt und hast, nachdem die Feinde mit großer Macht
und Wunderkraft besiegt waren, Tod in Leben, Kreuz in Herrlichkeit, das
Weinen der Mutter in Jubel und die Furcht der Jünger in ewige Freude
verwandelt.
Du hast keinen Engel
geschickt, keinen Erzengel, nicht Michael, nicht Gabriel, nicht Raphael,
deine herkömmlichen Boten, und auch nicht irgendwelche würdigen
weltlichen Diener, mit schöner Gestalt, bekleidet mit Gold, Silber
und wertvollen Edelsteinen, um deine Mutter zu besuchen, die Königin
des Himmels und unsere geliebte Herrin. Vielmehr bist du selber, König
der Herrlichkeit, Jesus Christus, persönlich morgens vor Tagesanbruch
gekommen, ohne dass es irgendein Mensch bereits wusste und auch ohne einen
Boten vorauszuschicken, um deine allerseligste Mutter zu besuchen und zu
trösten. Sie war gerade eifrig im Gebet und erwartete mit vollem Vertrauen
deine Rückkehr aus dem Grab im verklärten Leib. Sie wusste nämlich,
dass sich alles so erfüllen musste, wie du es durch deinen Mund vorausgesagt
hast, und wie es lange Zeit zuvor die heiligen Propheten über dein
Leiden und deine Auferstehung angekündigt haben. Das ist wirklich
der Tag der Freude, den du heute gemacht hast. Es ist würdig und recht,
ihn herrlicher und feierlicher, heiliger und freudiger zu halten als alle
anderen Tage des Jahres in der Reihe der Festtage.
Ich lobe und verherrliche
dich mit all' deinen Heiligen im Himmel und mit allen frommen Gläubigen
auf Erden für dein liebevolles Gespräch und deine intime Begegnung,
die du mit deiner geliebtesten heiligen Mutter Maria in ihrer Kammer hattest,
fernab von jedem weltlichen Lärm. Du sprachst mit ihr über die
göttlichen Geheimnisse des Reiches Gottes, über die Freuden des
Paradieses, über die Chöre der Engel, über die Erlösung
der heiligen Seelen aus der Unterwelt und ihre Aufnahme in das liebliche
Paradies zusammen mit Henoch und Elija.
O dass ich doch dort
dabei gewesen wäre und deine süßen Worte gehört hätte,
still am Fenster gestanden wäre und aufmerksam auf die einzelnen Worte
gelauscht hätte, die mein Herr Jesus Christus mit seiner Mutter gesprochen
hat über die göttlichen Jubeltänze der Himmelsbewohner,
ohne dass es irgendein anderer als ich gehört hätte!
Mit welcher Freude
hätte mein Herz im Herrn gejubelt, wenn ich dort ein schlichtes Wort
hätte festhalten können als Trost für mich in der gefahrvollen
Verbannung dieser Welt. Und vielleicht waren es solche Worte, die man keinem
Menschen ausplaudern soll, sondern im Schweigen bewahren und mit freudigem
Herzen überdenken muss. Selig, wer diesen Jubel kennt, alles Irdische
durch die Betrachtung hinter sich lässt, sich mit Jesus und Maria
den ganzen Tag beschäftigt und sich nicht kümmert und erwägt,
was immer in der Welt passiert.
Ich schätze,
dass keiner der Sterblichen würdig gewesen ist, an diesem Gespräch
teilzunehmen, sondern allein die heiligen Engel und die Seelen der Gerechten,
die ihrem Herrn mit großer Ehrfurcht und großer Freude wo auch
immer folgten. Und vielleicht waren diese Begegnung und der liebevolle
Besuch im kleinen Haus der Mutter so hoch und erhaben, dass es zu diesem
Zeitpunkt den Aposteln nicht erlaubt war einzutreten. Sie hätten auch
die wunderbaren Verheißungen nicht fassen können, welche in
jener Stunde der vom Vater verherrlichte Jesus mit seiner gebenedeiten
Mutter Maria, der Vollbegnadeten, besprochen hat.
Deshalb überlasse
auch ich dies alles besser den heiligen Engeln und dir, Herr Jesus. Demütig
bitte ich dich um Verzeihung für alle meine Sünden und Nachlässigkeiten.
Du offenbarst deine Geheimnisse den Kleinen und nährst die Hungernden
mit dem himmlischen Brot.
O gütigster Jesus
Christus, der du nach deinem bitteren Leiden und deiner glorreichen Auferstehung
deiner allerheiligsten Mutter Maria in strahlendem Glanz freudig und beglückend
erschienen bist und die Betrübte und Traurige mit unaussprechlich
neuer Freude erfüllt hast! Habe mit mir armen und schwachen Bettler
Erbarmen; denn in der Verbannung dieser Welt bin ich oft schwer bedrängt.
Ich werfe mich heute
tief vor dir hin, klopfe inständig und eifrig an den Eingang deiner
gütigen Mutter und flehe, du mögest dich würdigen, auch
mich zur Zeit meiner Betrübnis in meinem Inneren zu besuchen, zu trösten,
zu stärken und mich von jeder bösen Traurigkeit und eitlen Freude
zu befreien.
Entzünde also
nun mein Herz, dich mit neuer Glut und größerer Andacht zu loben.
Bewahre es, damit ich lerne alle irdische Eitelkeit aufzugeben, das Himmlische
zu suchen, zusammen mit Maria Geschmack zu finden an den ewigen Gütern,
die göttliche Wirklichkeit zu betrachten und in dir allein zu jubeln.
Wer kann mir Armseligen helfen, diese Dinge tief und intensiv zu bedenken
und hier bei unserem Herrn Jesus länger zu verweilen, damit mir die
ganze Welt samt ihren Verehrern bitter werde und schneller aus meiner Erinnerung
verschwinde?
Ich bitte dich, liebster
Jesus, zusammen mit deiner liebsten Mutter Maria und deinen heiligen Engeln,
mache, dass ich an dir allein über alles Gefallen und Geschmack finde,
entflamme das Innere meines Herzens, besuche mich öfters, segne mich
reichlicher, bewahre mich in der Frömmigkeit und geleite mich nach
den Beschwernissen dieses Lebens sicher zu dir in die himmlischen Freuden.
8.
Die erhabenen Verdienste und Vorzüge der seligen Jungfrau Maria
Viele Töchter
sammelten Reichtum: Du hast sie alle übertroffen (Spr 31,29)
Liebe Brüder,
ihr sollt treue Diener von Jesus Christus sein und ergebene Verehrer seiner
heiligsten Mutter und Jungfrau Maria, wenn ihr mit ihnen im Himmel ewig
glücklich sein wollt. Ihr werdet dann von Gott und seiner gebenedeiten
Mutter geliebt, wenn ihr im Herzen demütig und mit dem Leib keusch
seid, wenn ihr in eurem Umgang miteinander allezeit bescheiden seid, vorsichtig,
gottesfürchtig und besonnen, wenn ihr niemandem Anlass zum Ärgernis
oder einer gerechten Klage gebt. Es ist sehr wertvoll für euer Heil,
für die Ehre Gottes und für das Lob der seligen Jungfrau, andächtig
zu beten, eifrig zu sein bei der geistlichen Lesung, strebsam bei der Arbeit,
ruhig im Schlafraum, wach beim Chorgebet, freudig beim Singen, einsichtig
bei der Kapitelbuße, zugänglich bei der Zurechtweisung, streng
beim Schweigen, nüchtern beim Essen, züchtig mit den Augen und
im ganzen Lebenswandel tadellos.
Wenn ihr also die
selige Jungfrau würdig zu loben und angemessen zu verehren wünscht,
dann seid wie einfältige Kinder Gottes ohne Bosheit, ohne Täuschung,
ohne Nichtsnutzigkeit, ohne Lüge, ohne Zorn, ohne Streit, ohne Gemurmel,
ohne Verdächtigung. Ertragt all' eure Gegensätzlichkeiten in
brüderlicher Liebe, Demut und Geduld, um Jesus, Maria und das Leben
der Heiligen nachzuahmen, zu eurem Frieden und zur Erbauung der anderen,
besonders aber um die Herrlichkeit der Heiligen Dreifaltigkeit zu genießen.
Denn alles Bittere wird süß und alles Schwere wird leicht, wenn
die Liebe zu Jesus und die Erinnerung an seine gütige Mutter das Innerste
des Herzens durchdringt. Wenn jemand diese Gedanken prüfen will, soll
er häufig darüber betrachten, sprechen, lesen, singen und beten.
Damit euch aber ein
ganz klein wenig die überragende Würde der allerseligsten Jungfrau
Maria bekannt wird, hört ein wenig von ihren zahlreichen Gnadengaben
und Vorzügen, womit sie Gott gesegnet und über alle heiligen
Engeln und Erzengeln im Himmel und über alle Menschen auf Erden erhoben
hat. Sie ist die heiligste Jungfrau und liebste Gottesmutter, von ihr singt
die heilige Kirche weit und breit über den ganzen Erdkreis hinweg.
Die heilige Gottesgebärerin
ist erhoben über alle Chöre der Engel im Himmelreich. Bedenkt
also aufmerksam die alten Geschichten der heiligen Patriarchen; aus ihrem
Stamm ist die Gottesmutter Maria geboren gleich einer Rose ohne Dornen
unter den Disteln. Bedenkt auch, wie in alten Zeiten durch viele heilige
Patriarchen und Propheten, durch Richter und Könige, durch Priester
und Leviten, durch Gelehrte und Schreiber, mit Worten, Zeichen und Bildern
angekündigt worden ist, dass Christus, der Sohn Gottes, aus einer
Jungfrau zur Erlösung der Welt geboren und am Kreuz sterben werde.
So war es in vollem Maße angemessen und weise, dass die selige und
gottesfürchtige Jungfrau Maria nach dem göttlichen Plan im Voraus
geformt und angekündigt wurde: und zwar durch die heiligen Jungfrauen
jener Zeiten, durch vornehme Frauen, durch sittsame Witwen, durch fromme
Prophetinnen und durch weitere ehrenhafte und keusche Ehefrauen, die, um
die Schamhaftigkeit zu bewahren, zusammen mit ihren Dienerinnen eingeschlossen
in ihren Häusern und Kammern lebten, fernab von den Blicken der Männer.
Maria ist nach dem
Zeugnis der Heiligen Schrift wahrhaft die klügste Jungfrau aller Jungfrauen,
die keuscheste aller Frauen, die schönste aller Mädchen, die
rechtschaffenste aller Ehefrauen, die anmutigste aller Damen und die edelste
Königin aller Königinnen. In ihr wohnt alle Zierde der Jungfräulichkeit,
jede moralische Tugend, jede theologische Spekulation, jede zärtliche
Frömmigkeit, jede Übung der Tugend und jede Vollendung der Heiligkeit:
Alle diese Dinge harmonieren zusammen und leuchten in ihr in einer vollendeten
Weise auf, so dass keine vor ihrem Erscheinen ihr ähnlich war und
keine seit ihrem Kommen ihr gleich ist, war oder sein wird.
Wie einst der materielle
Tempel Salomons der stattlichste aller Tempel der Erde war, weit und breit
berühmt, reichlich ausgeschmückt und bei den Königen und
Völkern überall im Ansehen stand, so überstrahlt der geistige
Tempel Gottes, das ist die selige, ganz makellose Jungfrau Maria, alle
Tempel der Heiligen und muss deshalb weitaus mehr geehrt und geliebt werden.
O wahrhaft berühmte
Tochter, aus der hervorragenden Sippe der Patriarchen vortrefflich geboren,
aus priesterlichem Geschlecht edel hervorgegangen, von priesterlicher Würde
ehrenvoll abstammend! Du bist in Wahrheit vom Chor der Propheten verheißen,
du bist berühmtester Spross aus königlichem Geschlecht, du stammst
von der direkten Linie Davids ab, du bist ruhmvoll aus dem edlen Stamm
Juda hervorgegangen. Du glücklichste Tochter aus dem Volk Israel,
du einzigartig im Voraus Erwählte aus dem auserwählten Volk Gottes:
Du bist nach göttlicher Vorsehung von heiligen, frommen und Gott wohlgefälligen
Eltern in großer Freude geboren worden.
O glückliche
und unbescholtene Jungfrau Maria, allen Lobes und aller Ehre überaus
würdig, alle müssen dich mit ganzer Liebe und Ehrerbietung in
ihr Herz schließen! O glänzende Perle unter den Jungfrauen,
du bist von Anfang an und schon Jahrhunderte zuvor von Gott vorherbestimmt
worden, in der Fülle der Zeit den Erlöser der Welt zu gebären!
Du bist von den Patriarchen ersehnt, von den Propheten verheißen,
von vielen Königen und Gerechten erwählt, vom frommen Volk Israels
lange erwartet und der leidenden Welt endlich von der göttlichen Barmherzigkeit
sichtbar gezeigt worden.
O heilige, aus edlem
Geschlecht stammende Jungfrau Maria! Wie herrlich und lobenswert ist dein
Name auf der ganzen Erde. Denn vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Untergang
wird durch das Evangelium deines Sohnes Jesus Christus dein Name in den
verschiedensten Teilen der Welt verkündet: bei den Juden und Heiden,
bei den Griechen und Lateinern, bei den Römern und Germanen. Und noch
täglich wird in allen Kirchen Gottes dein berühmter Name verkündet,
in Kapellen und Klöstern, auf Feldern und in Gott geweihten Wäldern,
von Kleinen und Großen, durch Priester und Gelehrte und durch Prediger
der verschiedenen Orden. Sie alle wünschen gleichermaßen dich
zu loben und bekannt zu machen. Außerdem erglühen alle Gerechten
und freuen sich sehr darüber, dich bis zu den Sternen des Himmels
zu erheben und deine Heiligkeit und Schönheit mit erhebender Stimme
über die Würde der Engel hinaus unsterblich zu machen. Wegen
ihrer großen Liebe und frommen Zärtlichkeit können sie
beim Singen, beim Beten, bei der Betrachtung und bei der Feier der dir
geweihten Feste nicht ermüden, gemäß jenes Wortes der Weisheit:
Die
mich essen, hungern nach mehr, und die mich trinken, dürsten nach
mehr (Sir 24,21).
Lob und Ehre dem Höchsten
Gott, der dir, o Maria, die größte Gnade unter allen Menschenkindern
erwiesen hat. Er hat jetzt deinen Sitz neben dem Thron deines Sohnes im
Himmelreich gestellt, an herausragender Stelle über allen Chören
der Engel und Heiligen. Er war von Ewigkeit herrlich für dich vorbereitet
und wird dir für alle Zeiten segensreich bleiben.
O höchst verehrungswürdige
Jungfrau Maria, Mutter und Tochter des ewigen Königs, du bist durch
den Mund aller zu preisen und mit jeder Auszeichnung zu ehren! Du bist
die Jungfräulichste, die Demütigste, die Wohltätigste, die
Geduldigste, die Barmherzigste. Beim Gebet bist du die Andächtigste,
bei der Betrachtung die Klarste, bei der Beschauung die Höchste, im
Mitleiden die Liebevollste, beim Raten die Klügste und bei der Hilfe
die Mächtigste. Du Palast Gottes, du Pforte des Himmels, du Paradies
der Freuden, du Brunnen der Gnaden, du Ruhm der Engel, du Freude der Menschen,
du Vorbild der Sitten, du Glanz der Tugenden, du Leuchte des Lebens, du
Hoffnung der Armen, du Rettung der Schwachen, du Mutter der Waisen. Du
bist die Jungfrau der Jungfrauen, ganz lieblich und schön, strahlend
wie ein Stern, reizvoll wie eine Rose, glänzend wie eine Perle, leuchtend
wie die Sonne und der Mond am Himmel und auf Erden.
O milde Jungfrau,
unschuldig wie ein Lamm, einfältig wie eine Taube, klug wie eine edle
Dame, dienstfertig wie eine demütige Magd! O heilige Wurzel, du hoher
Zedernbaum, du fruchtbarer Weinstock, du süßer Feigenbaum, du
majestätische Palme! Bei dir findet man alles Gute und durch dich
werden uns die ewigen Belohnungen geschenkt. Wir müssen uns also,
solange wir leben, alle zu dir flüchten wie Kinder auf den Schoß
ihrer Mutter und wie Waise zum Haus des Vaters, damit wir durch deine glorreichen
Verdienste und Fürbitten von allem Bösen geschützt werden.
Äußerungen
eines gewissen Gelehrten über die zwölf Sterne in der Krone der
seligen Jungfrau
Aber hört jetzt
die Äußerungen eines gewissen Gelehrten über die zwölf
Sterne in der Krone der seligen Jungfrau. Unsere Herrin, die heilige Maria,
strahlt durch sie vor allen Heiligen im Himmel. Diese zwölf Sterne
bedeuten zwölf Vorrechte ihrer glänzenden Regentschaft. Maria
besitzt sie im Hinblick auf alle anderen Himmelsbürger.
Im
Bezug auf die streitende Kirche besitzt sie vier leuchtende Vorrechte,
ganz strahlend durch die Werke der Barmherzigkeit. Denn mehr als alle anderen
erhört sie freigebiger, neigt sich tiefer, handelt kraftvoller und
kommt häufiger zu Hilfe. So lehrt es uns die Erfahrung in den schwierigen
Situationen der Kirche.
Ebenso besitzt sie
im Bezug auf die triumphierende Kirche vier weitere hervorragende Privilegien.
Denn sie thront im Himmel höher als alle anderen, strahlt auf in größerem
Lichte, wird glühender geliebt und mehr verehrt. Es ist angemessen,
so über ihre glorreichen Verdienste zu denken.
Ebenso besitzt sie
im Bezug auf die glückseligmachende Allerheiligste Dreifaltigkeit
vier gleichartige Gnadenvorrechte, d. h. hellere Sterne als die übrigen
Gestirne. Denn unter allen anderen, welche die Herrlichkeit der ewigen
Dreifaltigkeit betrachten, erfasst sie die heilige Trinität am klarsten,
liebt sie folglich mit größerer Zuneigung, betrachtet sie inniger
und genießt sie intensiver als alle Heiligen im Himmel.
Aber hört jetzt
noch, was der heilige Bernhard, ein glühender Verehrer der seligen
Jungfrau, der „honigfließende" Gelehrte und fromme Erzieher der Mönche,
über diese Sterne sagt: „Auf ihrem
Haupt ein Kranz von zwölf Sternen ... (Offb 12,1). Wer
vermag aber den Wert dieser Edelsteine zu schätzen? Wer vermag die
Sterne zu zählen, aus denen sich das königliche Diadem Mariens
zusammensetzt? Es ist unmöglich, dass ein Mensch angeben und erklären
könnte, wie diese Krone zusammengesetzt ist."
Entsprechend dem Maß
unserer Kleinheit und fernab von gefährlichem Erforschen göttlicher
Geheimnisse, lasst uns trotzdem vielleicht nicht ganz unpassend danach
trachten, diese zwölf Sterne und ihre zwölf Bedeutungen zu verstehen,
womit Maria auf einzigartige Weise geschmückt ist. Denn bei Maria
sind Vorzüge des Himmels, Vorzüge des Fleisches und Vorzüge
des Herzens zu finden. Und wenn wir diese drei mit vier multiplizieren,
erhalten wir sicherlich die zwölf Sterne, womit das Diadem unserer
Königin vor den Augen aller aufleuchtet. Für mich erstrahlt der
Glanz zuerst bei der Geburt Mariens, zweitens beim Gruß des Engels,
drittens bei der Herabkunft des Heiligen Geistes und viertens bei der unaussprechlichen
Empfängnis des Sohnes Gottes. Allerdings wird es nun eine Aufgabe
für euren Fleiß sein, jeden einzelnen Aspekt genauer zu ergründen.
Mir mag es genügen, dass euch von den vielen Gedanken einige bekannt
geworden sind. Wenn jemand mehr über die mystische Bedeutung der Sterne
wissen will, soll er jenes Gespräch des heiligen Bernhard lesen, welches
mit dem Thema anfängt: Ein großes Zeichen erschien am Himmel...
(Offb 12,1)
Liebe Brüder,
wegen der besonderen Verehrung und Liebe, die ihr zur allerseligsten Jungfrau
Maria hegt, erwägt also diese Gedanken häufig und kostet sie
ständig mit eurem Mund. Singt gerne in Dankbarkeit Hymnen und Lieder
der Freude an ihren Festen und unterm Jahr zu ihrem Andenken. Besonders
aber entblößt euer Haupt und verneigt euch vor dem Altar Gottes
und dem Bild der seligen Jungfrau. Beugt demütig euer Knie, als ob
ihr Maria real gegenwärtig mit dem Engel reden oder sie ihren Sohn
auf dem Schoß halten sähet. Dann erfleht voll Inbrunst, mit
erhobenen Augen und mit Zuversicht auf die zu erwartende Rettung die barmherzige
Hilfe von der Mutter der Barmherzigkeit und sprecht folgendes Gebet:
O sanftmütigste
Mutter Gottes und Jungfrau Maria, Königin des Himmels und Herrin der
Welt, du Freude der Heiligen und Trost der Sünder! Achte auf das Seufzen
der Betrübten, erfülle die Sehnsucht der Frommen, wende die Nöte
der Schwachen, stärke die Herzen der Verzagten, stehe den Kämpfenden
bei und schütze deine flehenden Diener vor dem Angriff der Dämonen.
Geleite deine Verehrer zusammen mit dir zum Lohn der ewigen Seligkeit,
wo du mit deinem geliebtesten Sohn Jesus Christus glücklich für
immer regierst. Amen.
(Quelle:
"Dienst am Glauben", Heft Nr. 3 / 2013 , S. 67-73, Innsbruck, nur für
den priv. Gebrauch)
Bild:
Muttergottes von Marpingen/Deutschland