|
Der Blutstrom des heiligen Messopfers
Von Prälat Robert Mäder
Auf den Bergen kann man besser denken und beten als auf den Straßen.
Wenn man recht denken und beten will, muss man eine Zone stiller Einsamkeit
um sich herum schaffen. Und das kann man besonders gut auf den Bergen.
Deswegen ist es ein Unglück für die Seele, dass jetzt die Berge,
die Hochaltäre der Schöpfung, die Kanzeln Gottes, entweiht werden
durch den Lärm und das Laster der Sonntagsschänder. Die Berge
sollten von Rechts wegen reserviert sein für die Gottsucher.
Jesus mit seinen drei Lieblingsjüngern war einst auf dem Tabor.
Der Heiland wurde verklärt. Sein Angesicht leuchtete wie die Sonne.
Die Kleider waren weiß wie der Schnee. Die zwei Vertreter des Alten
Bundes, Moses und Elias, erschienen und redeten mit ihm. Diese Szene auf
dem Tabor ist keine bloße fromme Unterhaltung. Sie ist getragen von
furchtbarem Ernste. Sie beschäftigt sich mit dem kommenden Blutdrama
von Golgatha. Die Apostel können sich in die Notwendigkeit des Leidens
nicht recht hineindenken. Petrus hat sechs Tage früher in seiner lebhaften
Art Jesus erklärt: Das darf nicht sein! Heute will er (um nicht auf
den Kalvarienberg steigen zu müssen), drei Hütten bauen für
ruhige Beschauung. Das Evangelium bemerkt dazu: Petrus wusste nicht, was
er sagte. Die Idee des Opfers und seine absolute Notwendigkeit ist ihm
noch ein Geheimnis.
Sind wir heute nach 1900 Jahren Christentum weiter als damals Petrus?
Verstehen wir das Geheimnis des Opfers und seine unbedingte Notwendigkeit
zur Rettung der Welt? Verstehen wir
das Zentralgeheimnis des Neuen Testamentes, das sich täglich auf unseren
Altären erneuert? Begreifen wir, dass der Tabor, der
Berg der Verklärung, nur eine kurze Ruhepause sein kann, keine dauernde
Seelenheimat, und dass im Gegenteil der Berg des „Kostbaren Blutes" der
Ort ist, wo echtes, starkes Christentum sich Hütten bauen muss zum
Wohnen. Wir werden das in dem Maße als Christ verstehen, als wir
das verstehen und geistig miterleben, was sich täglich auf unseren
Altären vollzieht und was wir Messe nennen.
Was ist die heilige Messe? Das gegenwärtige Golgatha. Der wichtigste
Tag der Weltgeschichte ist der Karfreitag. Die wichtigste Stunde der Weltgeschichte
ist die Todesstunde Jesu. Von dieser Stunde hängt das Heil der Welt
ab für alle Jahrtausende. Was machte Christus am Kreuze? Er hielt
von 12 Uhr bis 3 Uhr Gottesdienst. Gottesdienst als Vertreter des gesamten
Menschengeschlechtes. Gottesdienst
der Anbetung und der Hingabe bis zum letzten Tropfen Blut.
Bis zur letzten Faser Seiner Natur, bis zum letzten Atemzug, Anerkennung
der allerhöchsten Herrschaftsrechte und Eigentumsrecht Gottes. Gottesdienst
der Sühne und der Genugtuung für alle Sünden der ganzen
Welt. Er trug unsere Krankheiten. Er lud auf sich unsere Schmerzen. Er
wurde verwundet um unserer Missetaten willen (Jes 53,4). Gottesdienst des
Flehens und Aufschreiens um Erbarmung.
Dieser dreistündige Heilig-Blut-Gottesdienst des gekreuzigten
Opferpriesters Christus machte im Himmel einen solchen Eindruck, dass Gott
beschloss, um dieses Opfers willen den Menschen ihre Sünden wieder
zu vergeben und sie zur ewigen Seligkeit zuzulassen. Die Menschheit war
erlöst. Es ist klar, dass dieses wichtigste Ereignis zwischen Erschaffung
und Weltgericht, das immerwährend vor Gottes Auge steht, auch auf
Erden nie vergessen werden darf. Die Erinnerung an das Kreuzesopfer wird
stetsfort lebendig erhalten in allen Kirchen und Familien, in den katholischen
Gegenden auch an den Straßen und auf den Bergen, durch das blutige
Kruzifix, das erhabene Zeichen der Erlösung.
Allein das blutige Kruzifix, so bedeutungsvoll es ist, genügt
nicht. Das Kruzifix ist nicht Christus. Es ist nur Sein Bild. Die Welttatsache „Kreuzesopfer"
darf aber nicht bloß in Bildern weitersprechen. Sie soll und muss
weiterleben. Christus das Blutopfer
als Heil der Welt muss in gewissem Sinn unsterblich und allgegenwärtig
fortdauern, als das große Unvergessliche bis zum Weltgericht.
Das ist der Zweck der katholischen Messe. Die
katholische Messe ist in ihrem innersten Wesen Andenken, Erneuerung und
lebendige Darstellung des blutigen Golgathadramas. Testamentsvollstreckung
des letzten Willens Jesu durch die von Ihm bestellten Priester. Ausführung
des Christuswortes: Tut das zu Meinem Andenken! Opfert Christi Opferleib
und Opferblut. Opfert den durch die Wandlung gegenwärtig gewordenen
Heiland Gott auf. Wer zur Messe geht,
geht nach Golgatha. Messe ist in der Wandlung wiederholter
Karfreitagsgottesdienst. Wer während der Messe
nicht geistig sich auf dem Kalvarienberg unter dem Kreuze fühlt, weiß
nicht, was katholischer Gottesdienst ist.
Was ist Messe? Ein Blutstrom. Alle Gnaden kommen vom Kreuz. Das
Kreuz ist die Zentrale aller Gnaden. Die Gnade Gottes ist durch Jesus Christus
unseren Herrn. Wir sind erlöst durch das „Kostbare Blut". Oberster
Glaubenssatz des Christentums! Aber die Gnaden, die in dem Herzen Jesu
wie in einem Reservoir aufbewahrt sind, bedürfen eines Kanals, durch
den sie den Menschen zugewendet werden. Dieser Gnadenkanal des „Kostbaren
Blutes" ist beim „Letzten Abendmahl" eingesetzt worden. Es ist der unter
der Gestalt des Brotes gegenwärtige Leib des Herrn, der für uns
hingegeben. Es ist das unter der Gestalt des Weines lebendige Blut Christi,
das für uns vergossen wird. Es ist die Messe. Das Pauluswort „Ohne
dass Blut fließt, keine Vergebung der Sünden"gilt,
solange es Menschen auf der Erde gibt. Die Messe ist das wirkliche wenn
auch unsichtbare geheimnisvolle Bluten der Wunden Christi.
Die Messe ist mehr als Limpias. Limpias ist nur das Bild. Die Messe ist
die Wirklichkeit, der opfernde, blutende, betende, gnadenspendende Christus.
Weil die Messe der opfernde, blutende, gnadenspendende Christus
ist, sobald der Priester die Wandlungsworte gesprochen hat, kann man sagen:
Alles
Heil hängt von der heiligen Messe ab. Ohne die Messe können wir
nichts tun. Ohne die Messe würde der Gnadenstrom des Kreuzes versiegen.
Ohne die Messe kein Fließen des „Kostbaren Blutes". Ohne die Messe
keine Sündenvergebung. Ohne die Messe keine Gnade. Ohne die Messe
keine Heiligkeit. Ohne die Messe keine ewige Seligkeit. Alles hängt
von der Messe ab, weil alles von Christus dem Opfer abhängt und die
Messe Christus das Opfer ist. Die Messe ist der große Gnadenkanal
der Christenheit. Wir leben von der Messe.
Es gibt allerdings im Ganzen sieben Gnadenleitungen,
die wir Sakramente nennen: Taufe, Firmung, Buße, Kommunion, Ölung,
Priesterweihe, Ehe. Aber diese Gnadenleitungen sind schließlich nur
Kanäle, die aus dem Reservoir der heiligen Messe ihre Nahrung schöpfen.
Von dem auf den Altären opfernden Christus. Die
Hauptsache in der Rettung der Menschheit ist das immerwährende Fließen
des „Kostbaren Blutes" durch die heilige Messe.
Was ist die Messe? Gottesdienst. Der Gottesdienst! Es gibt keinen
anderen mehr. Die Art und Weise der Gottesverehrung, wie sie offiziell
vom Volke dem Allerhöchsten erwiesen werden soll, ist Sache Gottes.
Die offizielle Form des Gottesdienstes ist seit Anfang der Menschheit das
Opfer, die Anerkennung der obersten Eigentums- und Herrschaftsrechte Gottes
über die Menschen durch die Hingabe von Eigentum und Leben. Der Gottesdienst
ist Opfer in der Urzeit der Patriarchen. Der Gottesdienst gilt als Opfer
im Alten Bunde. Der Gottesdienst gilt als Opfer sogar dort, wo der Glaube
an den einen wahren Gott, den Schöpfer Himmels und der Erde verdunkelt
ist, im Heidentum. Die Geschichte bestätigt es: Ohne Opfer kein Gottesdienst.
Die einzige Religion, die kein Opfer und infolgedessen keinen eigentlichen
Gottesdienst hat, ist der Protestantismus. Christus wollte, dass das Christentum
die vollkommenste Religion sei. Er musste also dafür sorgen, dass
die vollkommenste Religion auch den vollkommensten Gottesdienst habe und
somit, weil es keinen Gottesdienst ohne Opfer gibt, das vollkommenste Opfer.
Die Einsetzung des christlichen Gottesdienstes geschah beim „Letzten Abendmahl".
Mit dem unblutigen Abendmahlsopfer sind alle anderen Opfer außer
Kraft gesetzt. Von jetzt an gilt das Gesetz:
Kein echter Gottesdienst ohne das Opfer Christi, d. h. ohne Messe. Einer
Religion, der die Messe fehlt, fehlt das Herz.
Wir wollen unsere Folgerungen daraus ziehen. Wir wollen in der heiligen
Messe unser Höchstes sehen, das Herz unseres Glaubens. Wir wollen
sie, weil sie das Herz des Katholizismus ist, mehr schätzen als alles
andere, was die Kirche uns bietet. Die Kirche ist reich an Andachten. Aber
über allen Andachten steht die heilige Messe, das Opfer Christi, der
Gottesdienst vom „Kostbaren Blute".
Erst wenn man das bedenkt, weiß man das Unglück zu würdigen,
das in der Geringschätzung der heiligen Messe durch das katholische
Volk liegt. Das ist es, was wir heute nicht genug beklagen können.
Die
neue Zeit, die wir so sehnlich erwarten, hängt zum großen Teil
davon ab, wie wir uns in Zukunft zum heiligen Opfer des Leibes und Blutes
stellen werden. Auch am Werktag. Ein Katholizismus ohne Liebe
zur heiligen Messe und zum „Kostbaren Blute" ist ein Katholizismus ohne
Herz und ein Katholizismus ohne Blut.
(Quelle: "Dienst am Glauben",
Heft 3 - 2015, S. 94-96, A-6094 Axams)
Beten
Sie täglich den Rosenkranz!