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Am 24. Mai feierten wir das Pfingstfest. Was fühlten wir in
unserer Seele? Hat der Heilige Geist seine sieben Gaben ausgegossen und
unsere Begeisterung neu angefacht? Kommen wir auf dieses große Wunder
zurück, um die Früchte der Gnade besser zu ermessen, die für
die Kirche und jedes ihrer Glieder daraus entstehen.
Das Wirken Gottes in uns ist nicht magisch! Es genügt nicht,
dem Wehen des Geistes ausgesetzt zu sein, um eine «spontane Metamorphose»
zu erleben! Das beweist das Warten, das von den zwölf Aposteln zwischen
der Himmelfahrt Christi und Pfingsten verlangt wurde.
Stellen Sie sich ihre Traurigkeit und ihren Schmerz vor: Sie hatten
Christus sozusagen zwei Mal verloren, zunächst bei seinem Tod, dann
bei seiner Auffahrt in den Himmel. Trotz des Versprechens seiner ständigen
Gegenwart sehen sie ihn nicht mehr und hören seine vertraute Stimme
nicht mehr. Wie konnten sie anders, als sich als Waisen fühlen? Wir
kennen ihre Schwäche, die sich im Ölgarten offenbart hat, und
ihre Angst vor den Juden, die im Evangelium erwähnt wird1.
Alle waren geflohen, Petrus hat ihn verleugnet, sie versammelten sich nur
heimlich hinter verschlossenen Türen2.
Es fehlte ihnen sicherlich jene Kraft, die später die ersten Heiligen
und Märtyrer aus ihnen machen sollte.
«... ihr werdet eine Kraft empfangen, die Kraft des Heiligen
Geistes, der auf euch herabkommen wird; und ihr werdet meine Zeugen sein
(...) bis an die Grenzen der Erde.» Als er das gesagt hatte,
wurde er vor ihren Augen emporgehoben, und eine Wolke nahm ihn auf und
entzog ihn ihren Blicken.*
Die
zehn Tage Wartens vor dem Pfingstfest waren endlos. Es ist die Finsternis,
die dem Morgengrauen vorangeht, eine Zeit der Prüfung, die ihren noch
wankenden Glauben stärken sollte, die Zeit des «Keimens».
Denn die Apostel sind noch nicht bereit für die Salbung des Beistands,
die nichts weniger ist als die Ausgießung der göttlichen Liebe
in ihrem ganzen strahlenden Glanz. Dafür braucht es Vorbereitung und
eine intensive Heiligung, sonst kann die Seele sie nicht ertragen.
«Sie alle verharrten einmütig im Gebet zusammen mit den
Frauen und mit Maria, der Mutter Jesu... »4
Gott vertraut diese bedeutende Mission Maria an, die am Fuß
des Kreuzes zur Mutter der Menschen geworden war. Von da an kümmerte
sie sich als Mutter sowie als Thron der Weisheit und Miterlöserin
um die verängstigten Jünger und führte sie zur geistlichen
Reife. Als sie mit ihr in Berührung kamen, lernten sie das immerwährende
Gebet in der vollkommenen Hingabe an den Willen Gottes, so dass ihre Vereinigung
mit Christus eine Verschmelzung der Liebe wurde.
Doch das ist nicht alles: Allein schon die Nähe der Unbefleckten
läutert. Die Ausstrahlung ihrer Vollkommenheit ist der Balsam, der
die Wunden der Zwölf verbindet, und eine heilige Salbung für
ihren wankenden Geist. Vergessen wir den dreifachen Status Marias als Tochter
des Vaters, als Braut des Heiligen Geistes und als Mutter Christi nicht!
Ihre Fürbitte für die ersten Mitglieder der Kirche bewirkt eine
Erhörung, die ihrer erhabenen Nächstenliebe entspricht.
Jesus sagt über Maria: «Ich kann ihr absolut nichts ausschlagen,
so sehr liebe ich sie! Macht euch also all die Liebe bewusst, die ich ihr
entgegenbringe, sowie all die Liebe, die sie jedem von euch entgegenbringt.»5
In diesen zehn Tagen waren die Apostel nicht nur in der Schule Marias,
sondern tauchen in diese Atmosphäre idealer Unbescholtenheit ein,
sie werden weiß wie Kalk und für die Offenbarung des Geistes
bereit.
Jesus: «Ohne Maria hätten sie ihren Glauben nicht bewahrt!
Sie hat ihnen die nötige Kraft gegeben. Durch sie konnten die Apostel
im Vertrauen auf das warten, was ich verheißen hatte: Das Herabkommen
des Heiligen Geistes in ihre Seelen.»6
Das Gebet Marias hat wirklich alle Macht über das Herz Gottes.
Sie hatte die Zeit des Kommens des Messias und die Stunde der Erlösung
beschleunigt, sie hatte Jesus gedrängt, sein erstes Wunder in Kana
zu wirken, und spielte auch da eine entscheidende Rolle, als sie Tag für
Tag den Geist auf die Jünger herabrief. Das bezeugt Johannes Paul
II:
«Pfingsten ist also auch die Frucht des unaufhörlichen
Gebetes der Jungfrau, das der Beistand mit einer ganz besonderen Gnade
erhört, weil es der Ausdruck ihrer mütterlichen Liebe zu den
Jüngern des Herrn ist. (...) Die Heilige Jungfrau erinnerte sich an
die Verheißung Jesu und wartete so auf das Pfingstfest. Dabei flehte
sie für alle die Vielzahl der Gaben herab, gemäß der Persönlichkeit
und der Mission eines jeden. »7
Wenn wir darüber enttäuscht sind, dass das Pfingstfest
uns noch immer nicht verwandelt hat, so müssen wir uns Fragen über
unsere innere Bereitschaft für die Wahrheit, die Wahrheit-Liebe und
das Licht stellen. Sind wir wie die Apostel Schüler Marias, das heißt
verlangen wir zutiefst danach, zu übernatürlichen Wirklichkeiten
«erhoben» zu werden? Haben wir die Entscheidung getroffen loszulassen,
um ihnen den Vorrang in unserem Leben zu geben, ohne auf den Geist der
Welt zu achten? Haben wir die Macht unserer materiellen Bindungen, unserem
Gefallen an der äußeren Erscheinung ermessen, mit einem Wort
an allem, was uns vom Geist der Kindschaft des Evangeliums trennt? «Lass
alles, komm und folge mir nach», bietet Jesus dem reichen Jüngling
an. «Als der junge Mann das hörte, ging er traurig weg; denn
er hatte ein großes Vermögen.»8
Unsere Widerstände lähmen uns; der Hochmut und die Selbstzufriedenheit
sind undurchdringliche Schranken für das Licht. Unsere wiederholten
Sünden bilden eine ekelerregende Kruste um unsere Seele. Da sind die
Reichtümer, an denen wir hängen, ja. Aber wir sind auch in der
Erde verwurzelt durch unser Verlangen, unsere Ideen und unsere Pläne,
die derart «menschlich» sind, dass sie uns von Gott trennen,
dessen Ziel hauptsächlich geistlich ist. Oft sind wir mehr an unsere
Ideen als an unser Geld gebunden. Wir wollen um jeden Preis dies erlangen,
jenes werden, dies erleben, einen bestimmten Eindruck hinterlassen. Sogar
das Evangelium muss sich unseren Erwartungen fügen, wenn nötig
verbiegen wir es, bis es unserer Sicht der Dinge entspricht.
Wundern wir uns nicht, dass das Wirken des Heiligen Geistes von
all diesen Filtern aufgehalten wird und wir oft mehr oder weniger so bleiben,
wie wir zuvor waren.
Und doch ist es nicht zu spät. Denn auch wenn die Gaben des
Geistes nicht offenkundig sind, trägt unsere Seele sie als heilige
Keime in sich, die auf den Morgentau warten, den Maria besser als jeder
andere über uns auszugießen versteht.
Die Erinnerung an diese marianische Dekade der Umkehr und der Liebe
bringt uns Maria näher, wenn wir es wagen klein zu sein - auch wenn
dies im Gegensatz zu dem allgemein Üblichen steht. Die Verklärung
der Zwölf sollte uns davon überzeugen, dass wir bei jeder Gelegenheit
voller Vertrauen zur Mutter Gottes und der Menschen Zuflucht nehmen sollen.
Erlauben wir ihr, uns zu belehren, damit auch wir trotz unserer Armseligkeit
des Heiligen Geistes würdig werden. Bitten wir sie, dass sie uns bewahrt,
uns führt und uns beisteht, dann gehen wir zum Himmelreich, ohne vom
Weg abzukommen.
Unter ihrem Mantel sind wir vor den Angriffen Satans sicher, der
schon allein vor ihrem Namen zurückschreckt. Dort müssen wir
bleiben, wenn wir wollen, dass die Funken des Geistes nicht über uns
hinwegfliegen, sondern als wirkungsvolle Tugenden keimen. Dort finden wir
die wahre Demut,
die wahre Reinheit und die wahre Nächstenliebe, die für
die Fruchtbarkeit der Gnade unerlässlich sind.
«Wer hätte gedacht, dass die Apostel - diese ungeschickten
und schroffen Männer, die schwerfällig wie Steine in der Unterscheidung
der Geister, mittelmäßig in ihrem Glauben schwach im Kampf gegen
das Böse und sehr begrenzt in ihrer Weisheit waren - nach Pfingsten
in erhabene Meister, in Lehrer der Weisheit und der Kenntnis Gottes verwandelt
wurden?»9
Ahmen wir die Jünger nach, die sich voll und ganz Maria anvertrauten,
und rufen wir unsere Mutter im Himmel gleich um Hilfe an. Seien wir uns
ihrer aufmerksamen Sorge sicher. Nach der des Sohnes, ist ihre Liebe die
größte Wohltat, die Gott den Menschen schenkt!
«Wenn die Christen aller Zeit die mächtige Fürbitte
Marias betrachten, die den Heiligen Geist erwartet, nehmen sie auf ihrem
langen und schwierigen Weg zum Heil Zuflucht zu ihrer Fürbitte, um
die Gaben des Beistands in großer Fülle zu erhalten.»10
Bei der Verkündigung machte die Geistausgießung aus der
makellosen Frau die neue Eva, durch die die Welt von der Sünde und
dem Tod befreit werden sollte. Fünfzig Tage nach der Auferstehung
krönt das Feuer der Liebe sie mit Herrlichkeit und entzündet
die ganze Kirche, deren ewige Ikone sie ist. Verbinden wir uns als Teil
dieses drei Mal heiligen Bauwerks mit Leib und Seele mit unserer himmlischen
Mama: Dann springt das Licht der Voll-der-Gnade auf uns über und kann
die ganz verborgenen Fasern unseres Innern erleuchten. Dann können
wir sagen, dass wir den Geist nicht ausgelöscht haben, der sich danach
sehnt, in unserem Herz zu wohnen! Seien wir uns also sicher, dass wir das
Siegel dieser sieben Gaben in unseren Seelen tragen, die danach streben,
im Einklang mit dem Himmelreich zu sein.
«Löscht den Geist nicht aus.»"
«Da kam das Licht, das Feuer, der Heilige Geist, der mit einem
letzten melodiösen Geräusch in Form einer glänzenden, glühenden
Kugel in den verschlossenen Raum eindrang (...) Das ganze Feuer des Heiligen
Geistes, die ganze Liebe war über seiner Braut versammelt, die heilige
Kugel teilte sich in dreizehn melodiöse und überaus glänzende
Flammen, deren Licht kein irdischer Vergleich beschreiben kann, und kam
auf die Stirn jedes Apostels herab.
Die Flamme aber, die auf Maria herabkam (...) [war] eine Krone,
die ihr jungfräuliches Haupt wie ein Diadem umkränzte und die
Tochter, die Mutter, die Braut Gottes, die unbescholtene Jungfrau, die
ganz Schöne, die Ewige Geliebte und das Ewige Kind umgab, das durch
nichts entwürdigt werden kann.»12
von Marie Verenne
Anmerkungen:
Vgl. Joh 20,19: «Am Abend dieses ersten
Tages der Woche, als die Jünger aus Furcht vor den Juden die Türen
verschlossen hatten, kam Jesus, trat in ihre Mitte und sagte zu ihnen:
Friede sei mit euch!»
Joh 20,19.
Apg 1,8-9.
Apg 1 14.
La Fille du Oui [Die Tochter des Jawortes],
01.09.2001.
Monique-Marie: Cahiers d'Amour [Hefte der
Liebe], 2003.
Generalaudienz mit Johannes Paul II., 28.
Mai 1997.
Mt 19,22.
Sulema, Ich bereite euch auf dieses Ereignis
vor: Die Erleuchtung eures Gewissens, Band 2, 18.09.12.
10. Johannes Paul II., ebenda.
11.1 Thess 5,19.
12. Maria Valtorta, Der Gottmensch, Band X,
Kap. 25.
Bild1: (C) Kirche-in-Not -
mit freundl. Gen., herzl. Dank!)
(Quelle: "Maria heute"
Nr. 525 Juni 2015, S. 1-3, Hauteville/Schweiz) -
PARVIS-Verlag:
parvis.ch/de/maria-heute