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Gott erhöht die Demütigen, die Verachteten, die Zurückgewiesenen ...! 

„Auf die Niedrigkeit seiner Magd hat Er geschaut"

Eine theologische Meditation
Maria als Vorbild?
In seinem vor kurzem veröffentlichten Interviewband „Gott ohne Volk? Die Kirche und die Krise des Glaubens" (München 2016) stellt der Passauer Bischof Stefan Oster die kühne These auf, dass der Christ der Zukunft ein „marianischer" sein werde, ein Christ also, in dessen Frömmigkeit und Glauben Maria eine tragende Rolle einnimmt — oder er werde nicht mehr sein (ebd. 55). Oster begründet seine These damit, dass man als Christ nur von Maria lernen kann, wie man Gott empfängt und zur Welt bringt. Was Maria tat und glaubte, ist Urbild und Vorbild für jeden, der Gott in sein Leben aufnehmen d. h. Ihm glauben will.
Aber - wie hat Maria geglaubt? Wo liegt unter all den Schichten, die Verehrung und Frömmigkeit über Jahrhunderte auf Maria aufgetragen haben, der Kern ihrer Berufung, die Gestalt ihres Glaubens?

Das Magnificat - die Autobiografie der Gottesmutter
Der Text, von dem man am ehesten eine Antwort erwarten darf, ist das Magnificat (Lk 1,46-55). Zwar hat ihn Maria nicht selbst verfasst, sondern der Evangelist Lukas, einige Jahrzehnte nach ihrem Tod. Aber Lukas, so hat Papst Benedikt XVI. im ersten Band seines Werks über „Jesus von Nazareth" herausgestellt (ebd. 27-30), stand in Verbindung mit dem Jüngerkreis um Maria, kannte vielleicht sogar Maria selbst, zumindest aber Zeugnisse ihrer Persönlichkeit, und hat das Magnificat zu einer Art Autobiografie der Gottesmutter ausgestaltet. Eingewoben in den Text sind Lebenserfahrungen Marias, aber auch Erfahrungen anderer Frauengestalten des Alten Testaments, die wie Maria auf Gott vertraut, auf ihn gehofft und so das Volk Israel dem Erlöser entgegengefuhrt haben. Eine zentrale Glaubenserfahrung, die uns aus dem Mund Marias mit­geteilt wird, heißt: „Auf die Niedrigkeit seiner Magd hat Er geschaut" (Lk 1,48).

Die Armut Marias
Was in der Einheitsübersetzung mit „Niedrigkeit" übersetzt wird, heißt im griechischen Urtext „tapeinosis", im Lateinischen „humilitas." Statt „Niedrigkeit" könnte man auch „Armut" übersetzen, „Erniedrigt-Sein" oder „Bedeutungslosigkeit." Diese Armut Marias trägt allgemein menschliche Züge, hat aber auch eine theologische Tiefe, die es im Folgenden zu entdecken gilt.
Zuerst ist Maria arm in Bezug auf ihren Besitz und ihren Lebensunterhalt. Sie hat, so nehmen einige Exegeten an, freiwillig das Gelübde der Armut und der Jungfräulichkeit abgelegt. In den Kreisen, in denen ihre Eltern und sie selbst als junges Mädchen verkehrten, war dies nichts Ungewöhnliches. Einige Juden verzichteten bewusst auf Besitz und lebten als Bettler, um von Gott die Erlösung Israels von der heidnischen Fremdherrschaft zu erflehen oder das Kommen des Messias zu beschleunigen. Ein Marienlied greift diesen Gedanken auf, wenn es zu Maria sagt: „Kennst Arbeit und Sorge ums tägliche Brot, / die Mühsal des Lebens in Armut und Not." Auch wenn sie später Josef als Gefährten fand, hat sie wohl weiterhin darauf verzichtet, mehr zu besitzen, als sie unbedingt brauchte, um frei und hellhörig zu bleiben für das, wozu Gott sie erwählt hatte.
Schwerwiegender als die materielle war Marias soziale Armut und Ächtung. Zunächst lebte sie freiwillig als unverheiratete Frau und stand damit in einer vom Stammesdenken geprägten Zeit ganz am Rande der Gesellschaft. Ihr Heimatland Judäa war von den Römern besetzt, Gewalt und willkürliche Unterdrückung prägten den Alltag. Dem stand Maria als Alleinstehende schutzlos gegenüber. Aber nicht nur durch die Besatzer, auch durch ihr eigenes Volk war sie in Gefahr. Durch ihre uneheliche Schwangerschaft drohte ihr der Tod durch Steinigung (daher ihr Aufenthalt bei Elisabeth, bis die Schutzfrist von drei Monaten erreicht war: Lk 1,56). Auch hier fand sie in Josef später einen geduldigen Begleiter, aber eine normale Ehe mit eigenen Kindern blieb ihnen — um eines höheren Gutes willen - versagt.
Dieses höhere Gut bestand für Maria darin, auf Gott zu hören und seinen Willen zu tun. „Mir geschehe, wie du es gesagt hast" (Lk 1,38) - mit diesem schlichten Satz gibt Maria ihr Ja-Wort und bindet sich ganz an Gott. Das heißt aber nicht, dass sie nun weiß, wohin ihr Weg führt. Sich auf Gott zu verlassen, setzt ein echtes „Verlassen" der eigenen Sicherheiten, Pläne und Erwartungen voraus. Es wird immer wieder anders kommen als Maria geglaubt hat. Sie wird sich nicht nur von Menschen, sondern auch von Gott unverstanden und preisgegeben fühlen. Schon als Kind wird Jesus sie Tage lang voller Angst nach ihm suchen lassen, weil er im Haus seines Vaters bleiben wollte (Lk 2,41-52). Als Erwachsener wird er von ihr weggehen und sie nicht einmal sehen wollen, als sie mit seinen Verwandten vor der Türe steht (Mk 3,31-35) - und Maria lässt es sich gefallen. Je mehr sie Gott über sich verfügen lässt, umso weniger kann sie überblicken, wohin er sie führt und wie weit es noch mit ihr kommen wird. Maria kann immer weniger über sich bestimmen - und wird dadurch immer mehr, wofür Gott sie bestimmt hat, bis Person und Sendung, Leben und Berufung nahezu zusammenfallen.
Marias Armut ist, negativ gesehen, radikaler Verzicht auf sich selbst, auf Besitz und Familie, auf eigene Lebensplanung, auf Erfüllung im landläufigen Sinn. Sie ist aber ebenso, positiv gesehen, völlige Offenheit, Durchlässigkeit, Freiheit, liebende Aufmerksamkeit Gott gegenüber: Er darf bei ihr wohnen, in ihr leben, durch sie wirken. „Wer Maria als Person ist, was sie wirkt und was sie austrägt, ist Werk und Geschenk Gottes selbst" {Hilda Steinhauer).

Der Blick der Gnade Gottes
Da beginnt der zweite Teil des Satzes aus dem Magnificat Wirklichkeit zu werden: „Er hat geschaut (auf die Niedrigkeit seiner Magd)." Das Hinschauen Gottes auf Maria ist ein bildhafter Ausdruck für ihre einzigartige Berufung und Begnadung. Gott schaut so sehr auf Maria, dass sie von seinem Blick ganz durchdrungen wird und sich von da an aus diesem Blick heraus versteht, aus ihm lebt.
Gott schaut auf alles, weil er alles geschaffen hat. Aber auf manche konzentriert sich dieser Blick und traut und mutet ihnen eine besondere Aufgabe zu. Es sind vor allem die „Armen", die Niedrigen, die von den Menschen Zurückgewiesenen, die Machtlosen und von Schwächen Gezeichneten, die Gott mit besonderer Liebe anschaut und sich ihrer erbarmt. Er schenkt denen seine Gnade, die am wenigsten damit rechnen, weil sie ihm in ihren eigenen Augen ja nichts dafür geben können. Ihnen widerfährt Gottes Gnade als reine Gabe, als „Liebe-umsonst" {Augustinus).
Die äußeren Verhältnisse werden durch diesen Blick Gottes nicht sofort verändert. Materielle und soziale Armut belasten oft ein Leben lang. Aber der Mensch erhält durch den Blick Gottes inneren Halt, Würde, Festigkeit, Hoffnung. „Auf die Niedrigkeit seiner Magd hat Er geschaut." In diesem Satz verdichtet sich die Erfahrung von Glaubenden aller Zeiten. Wer mit Gott im Bunde ist, dem wird nicht weniger, sondern mehr abverlangt als anderen. Nicht an Gott zu glauben, ist so gesehen die einfachere Lösung, weil man sich dann seinem Willen nicht stellen muss. Maria hat sie nicht gewählt, sondern „geglaubt, dass sich erfüllt, was der Herr ihr sagen ließ" (Lk 1,45) - wann und wie, hat sie ganz in Gottes Hand gelegt. So wurde sie in ihrer Armut reich, gesegnet und fruchtbar. Die Kirche sagt daher, dass Maria Jungfrau blieb, auch wenn sie Mutter wurde. Sie bleibt vor Gott die niedrige Magd, die Er aus reiner Gnade angeschaut und erwählt hat.

Die niedrige Magd - der niedrige Gott
Nicht nur über Maria sagt der Satz aus dem Magnificat etwas, sondern auch über Gott. Die niedrige Magd wird erwählt vom niedrigen Gott. Gottes Wesen ist Herabsteigen, sagt der heilige Augustinus einmal. Er ist nicht der Gott der Philosophen, der als oberstes Prinzip unwandelbar und ewig über allem Seienden thront. Er ist auch nicht der Gott in der Natur, der gesichtslos im Prozess seiner eigenen Schöpfung aufgeht. Er ist der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs und so auch der Gott Marias und aller Glaubenden. Er ist der Gott, der sich an das „unerzwingbare Ja" des Menschen bindet {Benedikt XVI.) und selber arm wird dafür. Im Herabsteigen Jesu in seiner Menschwerdung, in seinem Erdenleben, in seinem Leiden und Sterben sehen wir, wie Gott ist: wie einer, der dient (Mk 10,45), der die niedrigste Arbeit, den Sklavendienst verrichtet, der den Menschen die Füße wäscht (Joh 13,1-20), sie von ihren Sünden reinigt und so in die Gemeinschaft mit dem Vater zurückführt.
Auch dafür gibt es nur eine Erklärung: Gott ist seinem Wesen nach Liebe-umsonst, reine, unerschöpfliche Güte, die sich verschenkt und verschwendet — und darauf wartet, dass er offene Hände findet oder das Herz einer niedrigen Magd, das bereit ist, ihn aufzunehmen.

In der Nachfolge Mariens
,Auf die Niedrigkeit seiner Magd hat Er geschaut." In diesem Satz ist die ganze Heils- und Glaubensgeschichte zusammengefasst, die sich im Weg und in der Person Marias verdichtet. Wird das in heutiger Verkündigung genügend bedacht? Therese von Lisieux, diese Pionierin einer neuen, einfachen und doch höchst anspruchsvollen Weise des Glaubens, hat sich schon vor 120 Jahren darüber mokiert, man stelle in den Predigten immer nur die Vorzüge Marias heraus, so dass alle Hörer nur „Oh!" und ,Ah!" riefen vor Bewunderung.
Maria würde bestaunt wie ein besonderes, aber von uns völlig verschiedenes Geschöpf.
Dabei hat sie das Menschsein in seinen gottgegebenen Möglichkeiten tiefer ausgelotet als alle anderen und ist uns gerade in ihrer Alltäglichkeit und Niedrigkeit ein Vorbild des Glaubens. Durch Gottes Gnade wird Maria als Jungfrau Mutter, als Arme reich an Gnade und ist so für alle Nöte der Menschen anrufbar, da sie mit ihnen zuinnerst vertraut bleibt.
In der Kirche lebt die Armut als gottgemäße Haltung fort in den Evangelischen Räten, die manche Christen stellvertretend für die ganze Kirche als ihre Lebensform übernehmen und so in ihr wach halten. Sie lebt aber auch ungewollt fort in der geistlichen Not unserer Tage: Mangel an Priester- und Ordensberufungen, Mangel an Eifer und Freude im Glauben, Wirkungs- und Fruchtlosigkeit vieler kircheninterner Beratungen und Versammlungen.
Vielleicht übt Gott auf diesem ungewöhnlichen Weg die Christen in Westeuropa auch wieder ein in jene Haltung, in der Maria Gott begegnet ist, in der sie ihn empfangen und zur Welt gebracht hat.

Literatur: Gisbert Greshake, Maria-Ecclesia. Perspektiven einer marianisch grundierten Theologie und Kirchenpraxis, Regensburg 2014 (bes. 72177, 389/399); Franz Mußner, Maria, die Mutter Jesu, im Neuen Testament, St. Ottilien 1993 (bes. 43/50); Joseph Ratzinger, Die Tochter Zion. Betrachtungen über den Marienglauben der Kirche, Einsiedeln 41990.

(Quelle: Manuel Schlögl in: "Bote von Fatima", Jgg. 74, Nr. 10 - Okt. 2016, S. 79-81, IMR Regensburg)



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