Herrlichkeiten Gottes werden offenbar - von Prälat Dr. Georg May 


Jahrtausende, Jahrhunderttausende haben die Menschen Gott gesucht. Sie wollten ihn erkennen. Sie wollten seine Wirklichkeit und sei­ne Eigenschaften erforschen. Sie wollten ihn ge­neigt stimmen durch Opfergaben und Gebete, und sie wollten ihn versöhnen, wiederum durch Opfer, indem sie das Beste, was sie hatten, hin­gaben, manchmal ihre eigenen Söhne und Töchter. Wir wissen von Menschenopfern, wel­che die Heiden dargebracht haben, um die Göt­ter zu versöhnen. Sie suchten Gott in der Natur, in den gewaltigen Erscheinungen wie Erdbeben, Gewittern, Überschwemmun-gen. Sie suchten Gott in der Geschichte. Sie fragten: was bedeu­tet es, dass wir einen Sieg erringen? Und was hat es zu besagen, dass wir eine Niederlage erleiden? Was will Gott uns damit sagen? Die Menschen suchten Gott auch im Gewissen. Sie wussten, dass eine Stimme in ihnen spricht, die sie tadelt, wenn sie Böses tun, und die sie lobt, wenn sie recht gehandelt haben. Man kann nur mit Ehrfurcht vor dem Suchen der heidnischen Menschen nach Gott stehen. Die Menschen vor Christus und außerhalb der öffentlichen Offen­barung in Israel waren nicht von Gott verlassen. Gott bot ihnen, jedem Einzelnen, seine Gnade an. Und wir dürfen vermuten, dass manche, viel­leicht viele, diese Gnade angenommen haben, indem sie ihrem Gewissen gefolgt sind.
Gott hat sich ein Volk auserwählt, dem er eine öffentliche Kundmachung zugehen ließ. Es war das Volk der Juden. Mannigfach und auf vielfäl­tige Weise hat Gott einst zu den Vätern geredet in den Propheten. Sie, diese gotterweckten Männer und Frauen, waren die Werkzeuge, de­ren sich Gott bediente, um seine Offenbarung zu den Menschen gelangen zu lassen. Sie nährten die Erwartung auf den Erlöser. Der hervorra­gendste unter den Propheten ist der große Isaias. Von ihm haben wir in der Epistel gehört: „Auf, werde Licht, Jerusalem, denn es kommt dein Licht, und die Herrlichkeit des Herrn erstrahlt über dir!" Die Religionsgeschichte lehrt uns: Jahrtausende von Jahren, haben die Menschen Gott gesucht. Aber einmal ist das Suchen und das Sehnen der Menschen zu Ende. Das Uner­hörte ist geschehen: Der Unsichtbare wird sicht­bar. Der unendlich Ferne wird nahe. Der Unbe­greifliche kann erfasst werden. Gott wurde ein Mensch, damit er den Menschen so nahe kom­men könnte wie nur möglich. Und von ihm schreibt ein Augenzeuge, Johannes: „Was da war von Anfang an, was wir gehört, was wir gesehen, was wir mit unseren Händen betastet haben, das Wort des Lebens, es ist sichtbar geworden, das ewige Leben, das beim Vater war, das wir gesehen und gehört haben, das ver­künden wir euch nun." Das ist die Sprache des Augenzeugen. Das ist die Sprache des Apostels, der im Abendmahlsaal an der Seite des Herrn geruht hat. Für die abendländische Christenheit liegt das Schwergewicht der Menschwerdung auf Weihnachten. Wir feiern den 25. Dezember, den Tag des Sol Invictus, der unbesiegten Son­ne, die jetzt wieder länger zu scheinen beginnt. Wir feiern diesen Tag, weil er ein historisches Da­tum ist. An diesem Tage kam das Licht der Welt zur Erde. Die morgenländische Christenheit fei­ert auch diesen Tag, aber sie verbindet ihn mit der Epiphanie, mit dem Erscheinen des Herrn, mit dem Sichtbarwerden seiner großen Herrlich­keit. Gottes Herrlichkeit ist sichtbar geworden, und die Kirche zeigt uns diese Sichtbarkeit in drei Bildern. Erstens in dem Erscheinen der 3 Weisen, zweitens in der Taufe des Herrn im Jor­dan und drittens bei dem Wunderwirken auf der Hochzeit zu Kana.
Die Herrlichkeit Gottes hatte sich einst auf dem Tempel niedergelassen, auf der Bundes­lade, und nur mit Erschütterung betraten die Priester einmal im Jahre das Allerheiligste. Jetzt aber hat sich die Herrlichkeit Gottes niederge­lassen auf dem Menschen Jesus von Nazareth. „Wir haben seine Herrlichkeit gesehen", sagt Johannes, „die Herrlichkeit des Eingeborenen vom Vater." Die erste Weise, wie sich Gott offen­bart, wie seine Herrlichkeit erscheint, ist die Anbetung der Weisen. Ein Stern verkündet die Geburt des neuen Königs, nicht nur von Juda, sondern der ganzen Welt. Wer ist geboren? Der die Welt der Sterne geschaffen hat und der ih­ren Lauf lenkt. Der ist geboren, von dem Johan­nes sagt: „Durch ihn ist alles geworden, und nichts was geworden ist, ist ohne ihn geworden." So wird es weitergehen im Leben dieses Kindes. Die Natur bezeugt, dass ihr Schöpfer gekommen ist. Der Himmel erkannte diesen Gott, indem sie einen Stern sandten. Das Meer erkannte ihn, indem es sich seinen Füßen als tragfähig erwies. Die Erde erkannte ihn, denn sie bebte, als er starb. Die Sonne erkannte ihn, denn sie verbarg sich, als das Leben am Kreuze ver­blich. Die Felsen erkannten ihn, denn sie zer­sprangen bei seinem Tode. Ja sogar die Unter­welt erkannte ihn, denn sie gab ihre Toten her­aus. Aber nicht nur die Natur verkündet die Herr­lichkeit des Sohnes Gottes. Auch die Menschen stimmen in den Lobpreis ein. Gelehrte des Os­tens folgen der Führung des Sternes. Der ist geboren, der in die Herzen hineingreift und sie anregt, sich auf den Weg zu ihm zu machen. Nicht nur schlichte Hirten, auch studierte Män­ner finden den Weg zum Heiland. Der Stern hat sie geführt, aber dass sie dem Stern folgen, das ist darauf zurückzuführen, dass ihr Herz inner­lich berührt wurde, in dem Stern das Zeichen des großen Gottes zu erkennen. Die Weisen fal­len nieder und beten an. Der ist geboren, der ei­nen Namen trägt, der über allen Namen ist. Der ist geboren, in dessen Namen sich alle Knie beu­gen müssen, im Himmel, auf der Erde und unter der Erde. Der ist geboren, von dem gilt: Es ist kein anderer Name den Menschen gegeben, in dem sie selig werden können. Wahrhaftig, das Erscheinen der Magier offenbarte seine Herr­lichkeit.
Das zweite Ereignis ist die Taufe Jesu im Jor­dan. Auch sie offenbart seine Herrlichkeit, denn er ließ sich taufen, obwohl er die Bußtaufe nicht nötig hatte, er, der Sündlose. Er ließ sich taufen, um jede Gerechtigkeit zu erfüllen, um den Men­schen zu zeigen: Man muss gegen Gott bedin­gungslosen Gehorsam beweisen, auch wenn man der Sohn Gottes ist, ja gerade, wenn man der Sohn Gottes ist. Getauft wurden viele. Aber nur bei einem öffnete sich der Himmel und stieg der Geist Gottes wie eine Taube auf ihn herab. Es ertönte eine Stimme: „Dieser ist mein gelieb­ter Sohn, an dem ich mein Wohlgefallen habe." Das heißt: Der himmlische Vater bekennt sich zu seinem Sohn. Das ist Offenbarung seiner Herr­lichkeit. Getauft wurden viele, aber nur zu einem sagt Johannes der Täufer: „Nach mir kommt ei­ner, dem die Schuhriemen aufzulösen ich nicht würdig bin. Er tauft mit Heiligem Geist und mit Feuer."
Das dritte Ereignis, dessen wir gedenken, ist die Hochzeit zu Kana. Hochzeiten im alten Isra­el waren feierliche Geschehnisse. Die ganze Ver­wandtschaft kam, oft Hunderte von Menschen. Auch diesmal werden Viele zugegen gewesen sein, sonst wäre ja der Wein nicht ausgegangen. Sie haben zu viel getrunken, die Gäste. Und des­wegen ist Maria voll Sorge. „Sie haben keinen Wein mehr!" Wie soll es da weitergehen? Wie soll denn da die Freude anhalten? Sie sagt es Ihm, weil sie weiß, Er allein kann Abhilfe schaffen. Und Er tut es. Er tut das, was sonst niemand tun kann, außer Gott. Er verwandelt Wasser in Wein. Er zeigt seine Macht über die Natur, denn Er ist der Herr der Natur. So machte Jesus den Anfang seiner Wunder, offenbarte seine Herrlichkeit und seine Jünger glaubten an ihn. Diesem Wunder werden viele andere folgen, denn seine Wunder­kraft erschöpft sich nicht. Dem Aussätzigen, der ihm sagt: „Wenn du willst, kannst du mich rein machen", antwortet er: „Ich will, sei rein!" Und als das Meer tobt und ein Seebeben entsteht und der Sturm heult, da sagt Er: „Schweig!" „Verstumme!" Und das Seebeben legt sich, und der Sturm fällt zusammen. Meine lieben Freun­de, Wunder sind Tatsachen. Wunder und Natur­gesetz widersprechen sich nicht, sind vielmehr beide Geschöpfe des allmächtigen Gottes. Wunder sind eine Kundgebung der Macht Got­tes. Diese Kundgebung besteht nicht darin, wie man immer wieder polemisch sagt, dass Natur­gesetze durchbrochen werden. Die Naturge­setze werden gar nicht durchbrochen, sondern zu ihnen kommt eine neue Kraft hinzu, das ist ja gerade das Wunder, dass die am natürlichen Vorgang beteiligten Kräfte nicht ausreichen, um das Geschehnis zu bewirken, sondern dass ei­ne neue Kraft sich bemerkbar macht. Die Natur­gesetze bleiben in Kraft, aber eine neue Kraft kommt hinzu. Mit Gottes Macht greift eine über­natürliche Macht in den Geschehensverlauf hin­ein und überlagert ihn. Lassen Sie sich nicht irre­machen, meine lieben Freunde. Wir sind weder wundersüchtig noch wunderflüchtig. Wir sind wundergläubig, weil wir an den glauben, der gesprochen hat: „Es werde Licht!" Und es ward Licht.
Diese Ereignisse sind der Kommentar zu dem, was Johannes im Prolog seines Evangeliums schreibt: „Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt. Und wir haben seine Herrlichkeit gese­hen, die Herrlichkeit des Eingeborenen vom Va­ter, voll der Gnade und Wahrheit." Ich weiß nicht, ob Sie jemals, meine lieben Freunde, die Weih­nachtserzählungen der schwedischen Dichterin Selma Lagerlöf gelesen haben. Sie sind lesens­wert. In einer dieser Geschichten sagt die Groß­mutter zu ihrer Enkelin: „Dies aber sollst du dir merken, denn es ist so wahr, wie ich dich sehe und du mich siehst. Es kommt nicht auf Lichter und Lampen an, und es liegt nicht an Mond und Sonne, sondern was not ist, das ist, dass wir Au­gen haben, Gottes Herrlichkeit zu sehen." Was not ist, dass wir Augen haben, Gottes Herrlich­keit zu sehen. Die Epiphanie, das ist das griechi­sche Wort für Erscheinung, die Epiphanie des Herrn ist der umfassende Ausdruck für die gött­lichen Geheimnisse auf unserer Erde. Die ganze Schöpfung preist seinen Namen. „Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre" heißt es im 18. Psalm. Alle Offenbarung ist Epiphanie. Das Leben Jesu; und die Existenz der Kirche, so verhüllt ihr Glanz sein mag, das ist Epiphanie des großen Gottes. Christus in seiner Geburt, in seinem Wirken, in seinem Sterben und auch in seinem Wieder­kommen, ist die Offenbarung Gottes.
(Quelle: "Erneuerung in Christus", Heft Nr. 1/2/3 2025, S. 4-6, Gaming)   - Salvator-Mundi-Verlag  -  LINK



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