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SECHSUNDZWANZIGSTES HAUPTSTÜCK
Wunder, welche Jesus, Maria und Joseph zu Heliopolis in Ägypten wirkten
Der Prophet Isaias hat gesagt, der Herr werde
«auf einer leichten Wolke nach Ägypten kommen (Js 19,1)»,
um in jenem Reiche Wunder zu wirken. Mag man nun unter dieser Wolke die
heiligste Jungfrau oder die aus ihr angenommene Menschheit verstehen, gewiß
ist, daß der Prophet mit diesem bildlichen Ausdruck sagen wollte,
der Herr werde mittels dieser himmlischen Wolke das unfruchtbare Land,
nämlich die Herzen seiner Bewohner, fruchtbar machen, damit sie von
nun an Früchte der Heiligkeit und Erkenntnis Gottes brächten.
Denn bald nachher verbreitete sich in Ägypten der Glaube an den wahren
Gott, die Abgötterei wurde zerstört und der Weg zum Himmel geöffnet,
der Weg, den Satan bis dahin so sehr versperrt hatte, daß bei der
Ankunft des göttlichen Kindes kaum jemand in diesem Lande den wahren
Gott kannte. Allerdings waren einige wenige durch den Verkehr mit den dort
wohnenden Juden zur Erkenntnis Gottes gelangt, jedoch vermischten sie damit
große Irrtümer, Aberglauben, ja Teufelsdienst, wie früher
die Babylonier getan hatten, die sich in Samaria niederließen (4.
Kön 17,2ff). Seitdem aber die Sonne der Gerechtigkeit Ägypten
erleuchtete und die von aller Sünde reine Wolke, die heiligste Jungfrau
Maria, es fruchtbar machte, brachte es viele Jahrhunderte hindurch reichliche
Früchte der Heiligkeit und Gnade. Man sah dies an den Heiligen, die
dieses Land hervorbrachte, und an den zahlreichen Einsiedlern, die bewirkten,
daß jene Berge den süßesten Honig der christlichen Heiligkeit
träufelten (Joel 3,18). (664)
Heliopolis war sehr bevölkert und voll von Götzenbildern,
Tempeln und Altären Satans. Diese stürzten bei der Ankunft unseres
Herrn mit großem Getöse und zum großen Schrecken der Nachbarschaft
ein. Die ganze Stadt geriet dadurch in große Aufregung und Verwirrung.
Außer sich vor Bestürzung liefen alle zusammen. Von der Neugierde
getrieben, kamen sie, die eben angekommenen Fremdlinge zu sehen und viele
sprachen mit ihnen. Das Gerücht dieser Wunder verbreitete sich
schnell. In kurzer Zeit versammelte sich eine Menge Volkes bei den «fremden
Heiligen». Maria bat ihren heiligsten Sohn, er möge ihr sagen,
was sie mit diesen Leuten tun solle. Das göttliche Kind antwortete,
sie solle alle in der Wahrheit unterrichten, zur Erkenntnis des wahren
Gottes führen und sie belehren, wie man Gott dienen und die Sünde
verlassen müsse. (665)
Dieses Amt einer Lehrerin der
Ägypter übte Maria als Werkzeug ihres heiligsten Sohnes aus.
Er war es, der ihren Worten Kraft verlieh. Darum war auch die Frucht ihrer
Worte in den Seelen so groß. Wenn man alle ihre Wunder beschreiben
und alle Seelen, welche sich während des siebenjährigen Aufenthaltes
der heiligen Familie in jenem Lande zum wahren Glauben bekehrten, aufzählen
wollte, so wären viele Bücher zu schreiben. Das ganze Land wurde
geheiligt und mit Segnungen erfüllt. Wenn U.L. Frau die Leute anhörte
oder ihnen antwortete, nahm sie jedesmal das Jesuskind auf ihre Arme. Es
war ja der Urheber jener Gnadenwirkung wie überhaupt aller Gnaden,
die den Sündern verliehen wurden. Maria sprach zu den Leuten in der
Weise, wie es ein jeder begreifen konnte, um die Lehre des ewigen Lebens
aufzufassen und zu verstehen. Sie unterrichtete über Gott und sagte,
Gott sei nur einer. Es könne unmöglich mehrere Götter geben.
Auch belehrte sie die Leute über alle jene Glaubensartikel und Wahrheiten,
welche die Wesenheit Gottes und die Erschaffung der Welt betreffen. Dann
sagte sie ihnen, daß derselbe Gott die Welt erlösen und wiederherstellen
werde. Sie erklärte ihnen alle die im Dekalog enthaltenen Zehn Gebote
Gottes — diese sind ja Vorschriften des Naturgesetzes — und belehrte sie,
wie sie Gott zu ehren und anzubeten und die Erlösung des Menschengeschlechtes
zu erwarten hätten. (666)
Maria sagte ihnen, daß
es böse Geister gebe, Feinde des wahren Gottes und der Menschen.
Sie deckte ihnen die Irrtümer über die Götzenbilder und
deren trügerische Antworten auf. Sie zeigte
ihnen, wie abscheulich die Sünden seien, zu denen sie von den bösen
Geistern verleitet würden. Diese bösen Geister trieben
sie an, die Orakel zu befragen und verführten nachher durch böse
Einflüsterungen und Erregung ungeordneter Begierden zur Sünde.
Obwohl die Himmelskönigin ganz rein und von jeder Unvollkommenheit
frei war, so verschmähte sie es doch nicht, zur Ehre des Allerhöchsten
und zum Heile der Seelen diese Leute von den schändlichen Sünden
der Unreinheit, in welche ganz Ägypten versunken war, abzuschrecken.
Sie erklärte ihnen auch, daß der Erlöser, welcher den Satan
besiegen und sie von so großen Übeln befreien würde, bereits
gekommen sei. Daß sie ihn aber auf ihren Armen trage, sagte sie nicht.
Damit die Leute diese Lehre besser annähmen
und für die Wahrheit noch mehr gewonnen würden, bekräftigte
U.L. Frau diese durch große Wunder. Sie heilte alle Arten von Krankheiten
und auch Besessene. Manchmal ging sie auch in die Spitäler und erwies
dort den Kranken wunderbare Wohltaten. Überall tröstete
sie die Betrübten, ermutigte die Leidenden und half den Bedrängten.
Alle fesselte sie durch sanfte Liebe, ermahnte sie mit milder Strenge und
gewann sie durch Wohltaten. (667)
Was die Pflege der Kranken und Verwundeten betrifft, so schwankte
die Himmelskönigin zwischen zwei Gefühlen, dem der Liebe, das
sie anzog, die Wunden der Kranken eigenhändig zu pflegen und dem der
Sittsamkeit, um derentwillen sie niemand berühren wollte. Damit beiden
Rechnung getragen würde, sagte ihr Gottessohn, sie solle die Männer
nur durch Worte heilen, während sie diese ermahne. Dagegen könne
sie die Frauen eigenhändig pflegen, indem sie deren Wunden berühre
und reinige. So tat sie auch von dieser Zeit an und übte so das Amt
einer Mutter und Krankenwärterin aus, bis
nach zwei Jahren auch der heilige Joseph anfing, Kranke zu heilen.
Maria half den Frauen mit unvergleichlicher Liebe. Sie besorgte deren Wunden,
auch wenn diese voll von Geschwüren waren. Sie legte eigenhändig
die nötigen Verbände an mit solchem Mitleid, als litte sie selbst
die Schmerzen einer jeden Kranken. Manchmal bat sie ihr heiligstes Kind
um die Erlaubnis, es in die Wiege legen zu dürfen, um die Kranken
zu pflegen. Aber auch hiebei war der Herr der Armen mit seiner liebevollen
und demütigen Mutter. Und o Wunder! Bei all diesen Liebesdiensten
schaute die sittsamste Jungfrau niemals in das Gesicht eines Mannes oder
einer Frau. Selbst wenn die Wunden sich im Gesicht befanden, sah sie nur
auf die Wunde und hätte nachher niemand von Angesicht gekannt, wenn
ihr nicht durch ein inneres Licht alle bekannt gewesen wären. (668)
Die Krankheiten waren in Ägypten häufig und gefährlich
wegen der übergroßen Hitze und wegen der vielen Ausschweifungen
dieses unglücklichen Volkes. Überdies herrschte während
des Aufenthaltes des Jesuskindes und seiner Eltern einige Male die Pest
in Heliopolis und an anderen Orten. Durch die Not angezogen und durch den
Ruf der Wunder strömten eine Menge Leute aus dem ganzen Land zu Jesus
und Maria und kehrten dann gesund an Leib und Seele zurück. Damit
aber die Gnade des Herrn sich noch reichlicher über die Einwohner
ergieße und Maria in den Werken der Barmherzigkeit einen Gehilfen
habe, ordnete Gott auf ihre Bitte an, daß auch der heilige Joseph
das Amt zu lehren und Kranke zu heilen ausübe. Die heilige
Jungfrau erlangte ihm hiefür besondere innere Erleuchtung und besondere
Gnaden der Heiligkeit. Er unterrichtete und heilte gewöhnlich die
Männer, die heiligste Jungfrau dagegen die Frauen. Durch diese ununterbrochenen
Wohltaten, namentlich durch die wirksame Gnade, die von den Lippen strömte,
brachten sie unglaubliche Früchte hervor, da alle, durch die Bescheidenheit
und Heiligkeit Mariens angezogen und gewonnen, ihr von Herzen zugetan waren.
Man bot ihr oft Geschenke an. Doch sie nahm nie etwas für sich selbst
an und bewahrte auch nichts, sondern wollte immer mit ihrem heiligen Bräutigam
von ihrer Hände Arbeit leben. Fand sie es manchmal schicklich, eine
Gabe anzunehmen, so verteilte sie alles unter die Armen und Notleidenden.
Nur zu diesem Zweck nahm sie manchmal Gaben frommer Personen zu deren Troste
an. In solchen Fällen schenkte sie den Gebern zum Dank eine von ihr
verfertigte Arbeit. Aus dem Gesagten kann man schließen, wie viele
und große Wunder Jesus, Maria und Joseph während der sieben
Jahre in Ägypten gewirkt haben. Alle aufzuzählen ist unmöglich.
(669)
Lehre, welche mir die Himmelskönigin Maria gab
Meine Tochter, du staunst über die Werke der Barmherzigkeit,
welche ich in Ägypten an so vielen armen Kranken geübt habe.
Wie sich diese Verrichtung mit meiner Sittsamkeit und Liebe zur Zurückgezogenheit
vertragen hat, wirst du verstehen, wenn du auf die unermeßliche Liebe
siehst, mit der mein heiligster Sohn jenem Lande Hilfe bringen und in dessen
Bewohnern die ersten Funken des Liebesfeuers entzünden wollte, welches
in seinem Herzen für das Heil der Menschen glühte. Diese Liebe
teilte er mir mit und machte mich zum Werkzeug seiner Liebe und Macht.
Aus mir selbst hätte ich mich nicht zu so vielen Werken erkühnt,
da ich immer geneigt war, zu schweigen und mit niemandem zu verkehren.
Aber der Wille meines Sohnes und Herrn war in allem die Richtschnur meines
Verhaltens. Von dir, meine Freundin, verlange ich, daß du nach meinem
Beispiel am Wohl und am Heile deines Nächsten arbeitest, und zwar
soviel als möglich mit der Vollkommenheit und in der Weise, wie ich
dies getan habe. Du hast die Gelegenheiten dazu nicht zu suchen, der Herr
wird sie dir senden. Nur wenn ein wichtiger Grund es nötig erscheinen
läßt, wirst du selbst dich dazu anbieten. In allen Gelegenheiten
erleuchte und belehre mit Hilfe des dir verliehenen Lichtes, so viele du
nur kannst, nicht als hättest du das Amt einer Lehrerin, sondern wie
jemand, der trösten will und Mitleid hat mit seinen leidenden Brüdern
und der von ihnen Geduld lernen will, so daß große Demut und
kluge Zurückhaltung mit der Übung der Liebe Hand in Hand gehen.
(670)
Deine Untergebenen sollst du ermahnen, zurückweisen und zu
dem anleiten, was das Vollkommenste und Gottgefälligste ist. Nächst
der Vollkommenheit ist das Wichtigste, was du für den Herrn tun kannst,
nach deinen Kräften und mit Hilfe der dir verliehenen Gnade auch andere
hiezu anzuleiten und zu ermuntern. Für diejenigen, mit denen du nicht
sprechen kannst, bete beständig, auf daß sie zum Heile gelangen.
So kannst du die Liebe auf alle ausdehnen. Weil du auswärtige Kranke
nicht pflegen kannst, so ersetze dies an den Kranken deines Hauses. Leiste
selbst ihnen diese Dienste, mach ihnen Freude und sorge für die Reinlichkeit.
Du sollst dich aber hiebei nicht als Oberin der Kranken betrachten. Du
bist für sie die Mutter und sollst dies durch mütterliche Sorge
und Liebe für alle zeigen. Im übrigen hast du dich immer als
die Geringste anzusehen. Die Welt
verwendet gewöhnlich die Ärmsten und Verachtetsten zur
Pflege der Kranken, da sie in ihrer Unwissenheit die Erhabenheit dieses
Dienstes nicht kennt. Da du arm und die Geringste bist, so gebe auch ich
dir das Amt der Krankenwärterin. Folge mir in diesem Dienste nach.
(671)
(Quelle: Maria von Agreda:
"Das Leben der jungfräulichen Gottesmutter Maria")