Was Jesus Christus an Seele und Leib gelitten (Vierte Betrachtung im Buch des Lebens) |
Durch göttliche
Erleuchtung schaute Angela von Foligno, was Christus an Seele und Leib
gelitten; wie Jesus gelitten und warum Jesus Christus all das auf sich
genommen hat:
2.
Was Jesus Christus an seinem Leib gelitten
„Gleich nach seiner
Geburt ward er nicht in ein Bad oder Federbett gelegt, noch in Felle eingewickelt,
sondern auf das Heu in einem Stall, in eine harte Krippe gelegt. Kaum geboren,
fing das Kindlein an, am Leibe schon körperliche Mühseligkeiten
zu erdulden. Dann machte er mit Maria und Josef die Wanderung durch weite
Wüsten bis nach Ägypten. Auch reiste er als Knabe nach der Vorschrift
des Gesetzes nach Jerusalem, immer zu Fuß gehend, obwohl Nazareth
mehrere Tagreisen von Jerusalem entfernt war. Nach seiner Taufe im Jordan
fastete er in der Wüste vierzig Tage. Er ging durch die Dörfer
und Städte, litt Hunger, Durst, ertrug Regen, Hitze, Kälte und
Mühseligkeiten ohne Zahl bis - zum Tod am Kreuze.
Sie zerrten an seinen
Händen und Füßen, spannten seinen ganzen Leib, rissen die
Glieder aus den Gelenken, so daß man sie zählen konnte. Man
warf sie auf das Kreuz und nagelte sie an. Besonders leidvoll waren die
Nägel, denn seine Feinde nahmen große, kantige Nägel, die
seine Hände und Füße grausam durchbohrten. „Einmal dachte
ich nach über den großen Schmerz, den Christus am Kreuz erduldete,
als er angenagelt wurde. Da hörte ich sagen, daß die Nägel
etwas aus den Händen und Füßen mithinein ins Holz gerissen
haben. Da entstand in mir ein solcher Schmerz über diese Pein Christi,
daß ich mich nicht aufrecht halten konnte."
3.
Wie Jesus Christus gelitten hat
„Und bei all dem,
was der Heiland der Welt, der Gottmensch Jesus Christus litt, drohte er
nicht, lästerte er nicht, verteidigte er sich nicht, rächte er
sich nicht. Da sein Angesicht bespien wurde, verbarg er es nicht; da seine
Hände und Arme ausgespannt wurden, zog er sie nicht zurück; da
er
zum Tode gesucht wurde, versteckte er sich nicht, sondern gab sich ihrem
Willen hin, daß er das Werk der Erlösung vollbrachte. Im Leiden
gab er das Beispiel der Geduld. Durch den Schmerz, den sie ihm antaten,
leistete er Genugtuung, versöhnte er sie mit dem Vater, öffnete
die Pforten des Paradieses, versetzte uns alle in den Stand der Gnade und
machte uns zu Kindern Gottes."
4.
Warum Jesus Christus gelitten hat
Christus hat gelitten,
um den, der am Baum des Paradieses gesiegt hat, zu besiegen. Er hat gelitten,
a) um uns das Beispiel der Geduld in Trübsal und Leid zu geben, damit
wir den Feinden das Böse
nicht nur nicht vergelten, sondern ihnen aus Liebe zu Jesus Gutes tun.
b) Er hat gelitten,
um uns den rechten Weg zu zeigen: „Er beteuerte auch ganz und gar, daß
auf
keinem anderen Weg und auf keine andere Weise als durch Leid und Trübsal
jemand die ewige
Herrlichkeit erlangen könne. Denn das ist wahrhaft der königliche
Weg, den Gott selbst
gegangen; und sehr töricht, wer da zweifelt oder säumig ist,
seinem Herrn und Erlöser zu folgen,
nachdem der Sohn Gottes, unser Schöpfer, darauf gegangen ist."
c) Er hat gelitten,
um anzudeuten, daß in Erduldung von Leid und Trübsal das Glück,
die Ehre der
Menschen bestehe. Er wußte wahrhaftig, wieviel Gutes in Leid und
Trübsal verborgen liegt.
Darum nahm er sie auf sich. Wer wäre so töricht, am Segen von
Leid und Schmerz zu zweifeln!
Seit der Sohn Gottes so große Mühsal auf sich genommen hat.
5.
Und wir?
O wir Unglücklichen
und Elenden, die wir sogar jene Leiden verschmähen, die uns vom allerweisesten
Arzt Jesus Christus angeboten werden. Wenn uns ein wenig Kälte befällt,
suchen wir gleich die Wärme des Feuers und verdoppeln die Kleider;
wenn Hitze kommt, sucht man Kühlung; wenn wir Kopf- oder Magenweh
haben, schreien und seufzen wir, laufen zum Arzt, suchen Hilfe, gebrauchen
delikate Sachen, bestürmen, um Linderung zu erhalten, Gott und die
Heiligen, geloben Wallfahrten und Gebete, um solche heilsame von Gott gesandte
Leiden und Schmerzen von uns abzuwenden. Wenn wir aus Fügung oder
Zulassung Gottes um unseres Heiles willen von jemandem Widerwärtigkeit
erleiden, dann werden wir sogleich verwirrt, zürnen, klagen, urteilen
bös, verleumden, fluchen und rächen uns, so daß wir keine
Trübsal, die uns vom himmlischen Arzt zugedacht ist, mit Geduld ertragen.
Wie sinnet und müht man sich, allen Widerwärtigkeiten auszuweichen,
die Gott uns aus Barmherzigkeit sendet oder zuläßt. Sie wären
ohne Zweifel heilsamer als viele andere Bußwerke, die nach eigenem
Gutdünken übernommen werden. Denn der himmlische Arzt weiß
besser, welche Widerwärtigkeiten notwendig sind, um die Seele zu läutern,
zu unterweisen und vollkommen zu machen. Bußwerke, die aus eigener
Wahl gesucht und übernommen werden, geben manchmal der eitlen Ehre
Raum. Kommen sie aber auf Grund göttlicher Anordnung und werden sie
mit Geduld und Freude angenommen, können sie zum Heile sein. Ich sage
also, daß wir Kälte, rauhe Witterung, Wärme, Hitze und
auch andere Schmerzen geduldig ertragen; und daß wir nicht allzu
besorgt darauf bedacht sind, uns davon zu befreien. Auch sage ich, wenn,
aus Anordnung oder Zulassung Gottes, Armut, Unterdrückung, Verfolgungen,
Beraubung oder derlei Unfälle uns begegnen, so wollen wir sie mit
Geduld ertragen und sie bereitwillig von unserem Arzt und Erlöser
annehmen, der sie uns aus Liebe zugeteilt hat. Wir Armseligen! Was wollen
wir sagen, da wir die Schmerzen und Trübsale, die uns Gottes Weisheit
und Barmherzigkeit zuteilt, fliehen. Denn Tag und Nacht suchen wir körperliche
Freuden und Annehmlichkeiten und sind auf Vergnügen bedacht. Wahrlich,
das ist nicht das Leben des Gottmenschen Jesu Christi. Ich sage das nicht
nur im Hinblick auf Dinge dieser Welt. Ich sage es auch von den geistlichen;
denn im Dienste Gottes sollen wir uns nicht viel um Tröstungen kümmern.
Hat denn Maria, die geliebte Mutter Jesu, als sie ihren geliebten Sohn
sterben sah, von ihm etwa Trost verlangt? - So soll es auch in unserer
Seele sein. Gott gefällt der Dienst des Armen, der ihm aus Liebe treu
dient ohne Hoffnung auf Wiedervergeltung.
(Quelle: "Dienst
am Glauben", Heft 2-2006, S. 42ff., Höttinger Gasse 15a, A-6020 Innsbruck,
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