Christoph M. Hagen, Bernkastel-Kues |
Was sich die heilige
Klara unter Kontemplation (betrachtendes Gebet) vorstellt, findet ihren
Ausdruck im Bild des Spiegels. Davon spricht sie im vierten Brief, den
sie an Agnes von Prag richtet.
1. Was versteht Klara
von Assisi unter »Spiegel«?
Die heilige Klara
versteht unter »Spiegel« das, was etwas Verborgenes, Unsichtbares
sichtbar macht.
So ist Gott, der -
wie wir aus dem Katechismus wissen - reiner Geist ist, nur in seinen Werken
und Wundertaten zu erkennen.
Am klarsten und reinsten
- ohne jede Trübung - ist Gott in Jesus Christus zu erkennen. Denn
er ist ja die zweite göttliche Person, die aus der Jungfrau Maria
unsere Menschennatur angenommen hat und uns in allem gleich geworden, außer
der Sünde.
2. Wen erkennen wir
in diesem »Spiegel«?
Nicht nur Gott ist
in diesem Spiegel zu erkennen, von dem Klara schreibt; vielmehr erkennt
der Mensch in ihm auch sich selbst.
In jenem Spiegel,
der Christus ist, erkennt er sich wirklich. In ihm sieht er sich nicht
länger so, wie seine Eigenliebe ihn gerne hätte.
Schaut der Mensch
in diesen Spiegel, so sieht er sich so, wie Gott ihn sieht: Wie er vor
dem allwissenden Gott steht - und das ist das einzige, worauf es ankommt.
Ziel des Christenlebens und besonders des Ordenslebens ist es, Christus
immer ähnlicher zu werden.
3. Um was geht es
also?
Wenn man sich das
Ziel setzt, Christus immer ähnlicher zu werden, dann muß man
danach streben, Jesus Christus
und sich selber
immer besser zu erkennen.
Habe ich mir das Ziel gesetzt, Jesus Christus (soweit möglich) ähnlich
zu werden, dann muß ich das Wesen Christi zu ergründen suchen,
denn ich muß ja wissen, wie Jesus Christus ist, welche Eigenschaften
Jesus hat.
Dann muß ich
mich auch selbst erkennen, um feststellen zu können, wie weit ich
dem angestrebten »Original« bereits entspreche; und was in
mir diesem »Original« entgegengesetzt ist, was mich von ihm
unterscheidet.
Habe ich etwas erkannt,
wo ich ihm wenigstens ansatzweise auch nur entfernt gleich bin, dann muß
ich das pflegen und immer mehr in mir zur Entfaltung bringen. Anderseits
muß ich das, was mich von meinem Vorbild unterscheidet, mit unbarmherziger
Härte und Unnachgiebigkeit unterdrücken und ausrotten.
Mit diesem »In-den-Spiegel-schauen«,
werden wir in diesem Erdenleben nie zu Ende kommen.
4. In diesen Spiegel
schaue täglich!
Die heilige Klara
fordert von uns, die wir heute aus den Quellen ihrer Theologie schöpfen,
die tägliche Betrachtung
das tägliche
»In-den-Spiegel-schauen« -
die tägliche
Bestandsaufnahme unserer
Fortschritte, oder
auch, was hoffentlich
nicht zutrifft, unseres
Stillstandes oder
gar Rückschrittes
im geistlichen Leben.
Diese Forderung spricht
Klara in ihrem Brief an Agnes von Prag so aus: »In diesen Spiegel
schaue täglich, o Königin und Braut Jesu Christi: Und schaue
in ihm Dein eigenes Gesicht. So wirst Du ganz, außen und innen, geschmückt
und umgeben mit den schönsten Blumen und Kleidern aller Tugenden,
wie es sich ziemt. Du Tochter und vielgeliebte Braut des höchsten
Königs!«
5. Die Betrachtungsmethode
der heiligen Klara
Klara bedient sich
in der Betrachtung einer eigenen Methode, die wir ihrem zweiten Brief an
Agnes von Prag entnehmen können:
»Laß Dich
treffen von ihm!
Erwäge!
Schaue Jesus Christus
voll Verlangen, ihn
nachzuahmen!« Betrachtung (betrachtendes Gebet) ist nach der heiligen
Klara ihrem Wesen nach Geschenk
geschenktes Schauen
Erschauen des Kernes
des Betrachtungsgegenstandes.
Sodann das immer tiefere
Eindringen in den Betrachtungsgegenstand. Vielleicht ist hier das Bild
vom Taucher passend: Wie ein Taucher ganz vom Wasser umgeben ist,
und noch immer tiefer
taucht bis er zum Grund des Gewässers vordringt, so soll der Betrachtende
ganz von seinem Betrachtungsgegenstand umgeben sein,
all seine Gedanken,
alle Sinne auf ihn
ausrichten,
und so immer tiefer
in ihn eindringen.
Betrachtendes Gebet
ist also »durstiges«
und »hungriges«
Ausschöpfen der tiefsten Tiefen des zu Betrachtenden.
Den dritten Schritt
bildet das »Sich-satt-sehen« am Erschauten.
Aus dieser Betrachtung
fließt, sozusagen als ihre notwendige Konsequenz, das Umsetzen des
Geschauten im Alltagsleben.
Zum Beispiel: Habe
ich den Heiland in seiner äußersten Demut betrachtet, so darf
ich nicht dabei stehen bleiben, diese Demut bloß zu loben; bin ich
dann noch eingebildet und hochnäsig, so zeigt das nur, daß ich
in Wirklichkeit gar nichts von Betrachtung verstanden habe. So eine Handlungsweise
wäre, wie ich meine, überhaupt nicht verdienstlich, sondern sündhaft.
Vielmehr muß
aus dieser Betrachtung sich für mich persönlich ergeben, daß
ich alles in mir fördere, was demütig ist; und alles zunichte
mache, was der Demut Christi, dessen Spiegelbild ich ja zu werden beabsichtige,
entgegensteht.
Merksatz: Kontemplation
muß in die aktive Nachfolge Christi münden - nur dadurch wird
sie segensreich und in ihm vollendet!
6. Betrachtendes Gebet
- »Das eine Notwendige«!
Kontemplation ist
von großer Wichtigkeit für die Kirche. Alle äußeren
Aktivitäten sind zu nichts nütze, wenn sie nicht das Ergebnis
und die Frucht der Kontemplation sind.
Davon ist auch die
heilige Klara felsenfest überzeugt, was wir daran erkennen, das sie
in ihrem dritten Brief an Agnes von Prag ganz deutlich von diesem »Einen
notwendigen« spricht; was ein unmißverständlicher Hinweis
auf Lukas 10/42
ist, wo es heißt: »Eines nur ist notwendig. Maria hat den besten
Teil erwählt, der wird ihr nicht genommen werden.«
Das hat nicht nur
Geltung für die Klarissen, sondern kann, im Rahmen der Standespflichten,
auch von jedem aus uns in die Tat umgesetzt werden.
(Quelle: "Dienst
am Glauben", Heft 3 - 1994, S. 68-70, Innsbruck)