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Die Immaculata als vollendeter
Spiegel der Heiligsten Dreifaltigkeit
Dr. Gabriele Waste
1.
Die Vorzugsstellung der Immaculata als geschöpflicher Spiegel des
göttlichen Seins
Alles geschaffene Sein verweist auf seinen Schöpfer, den Dreifaltigen
Gott, und ist dementsprechend ein geschöpflicher Spiegel des göttlichen
Seins. Diese Widerspiegelung des göttlichen Seins in den Geschöpfen
ist jedoch in den einzelnen Schöpfungsbereichen verschieden: Die Kirchenväter,
vorab Thomas von Aquin im Anschluss an Augustinus, sehen in der ganzen
Schöpfung, auch im unbelebten Stoff, lediglich eine Spur, aber nur
in den vernunftbegabten Geschöpfen, die über Verstand und einen
freien Willen verfügen, ein Abbild der Heiligsten Dreifaltigkeit.1
In der letzteren Kategorie, wozu die personalen Geschöpfe Engel
und Mensch gehören, besteht jedoch ein wesentlicher Unterschied zwischen
der natürlichen und der übernatürlichen Abbildlichkeit der
Trinität:
Der Mensch, der von Natur aus seinem Leibe nach als Verkörperung
einer göttlichen Idee ein vestigium Dei [Spur Gottes], seinem Geiste
nach als Abbild des göttlichen Geistes eine imago Dei ist, wird durch
die heiligmachende Gnade zur similitudo Dei, d. h. einem höheren,
übernatürlichen Grad der Gottverähnlichung erhoben.2
Die Erhebung vom natürlichen, anerschaffenen
Zustand in die Übernatur ist an eine Prüfung geknüpft, in
dem sich der Mensch bewusst und freiwillig für Gott entscheiden muss.
Da die Stammeltern in der Prüfung im Paradies versagten, gingen sie
der heiligmachenden Gnade und damit der similitudo Dei verlustig. Erst
durch das Erlöserleiden Jesu Christi und das Taufsakrament kann das
gefallene Menschengeschlecht wiederum mit der heiligmachenden Gnade ausgestattet
werden. Während die Kirchenväter -vorab Augustinus - bereits
das natürliche Geistesleben des Menschen als dreifaltiges betrachteten,
das sich etwa in den Triaden Gedächtnis, Verstand und Willen oder
Geist, Liebe und Erkenntnis kundtut, vollendet sich der Mensch als similitudo
Dei folglich erst dann, wenn sich Gott im Gnaden- und Glorienleben der
Seele selbst hingibt.3
Ähnlich gelagert ist der Fall bei den reinen geschaffenen Geistern,
den Engeln. Auch sie wurden von Gott gut erschaffen
und in eine Prüfung hineingestellt, in der sie ihren freien Willen
bewähren und sich für oder gegen Gott entscheiden mussten.4
Ob man nun der Lehre des Petrus Lombardus und der mittelalterlichen Franziskanerschule
folgt, wonach die Engel ohne übernatürliche Ausstattung erschaffen
wurden und sich mit Hilfe aktueller Gnaden auf den Empfang der heiligmachenden
Gnade vorbereiten sollten5 oder wie Thomas von Aquin und Augustinus von
der Annahme ausgeht, dass die Engel bereits in den Gnadenstand hineinerschaffen
wurden, welcher der Prüfung und der Erhebung in die Glorie vorausgeht6,
spielt keine Rolle.
Eine Ausnahmestellung im Vergleich zu allen anderen Geschöpfen
hat die Immaculata inne: Sie war im Gegensatz zu den übrigen Menschen
bereits von ihrer Empfängnis an vollendetes Bild und Gleichnis Gottes
(imago et similitudo Dei). Dieses Privileg begründet auch die besondere
Rolle der Unbefleckten Empfängnis als vollendeter geschöpflicher
Spiegel der Trinität, der auf diesem Bild und Gleichnis Gottes aufbaut,
aber darüber hinausgeht, sofern er die gesamte Schöpfung - Engel,
Mensch und Stoff - umfasst. Diese besondere Rolle der Immaculata im Heilsplan
Gottes lässt sich ausgehend von Schrift und Tradition belegen.
2. Die Unbefleckte
Empfängnis nach dem Lehramt und den Offenbarungsquellen
Die Freiheit Mariens von der Erbsünde
und der ungeordneten Begierlichkeit sowie die Freiheit von jeder persönlichen
Sünde sind Ausdruck einer besonderen göttlichen Gnadenwahl, gefolgt
von völliger „Selbstüberantwortung" an den Dreifaltigen Gott,7
und wurde von der Kirche feierlich zum Glaubenssatz
erklärt.
2.1. Der Inhalt des Dogmas
Papst Pius IX. hat am 8. Dezember 1854 in der Bulle Ineffabilis
Deus das Dogma von der Unbefleckten Empfängnis mit folgenden Worten
verkündet:
Die seligste Jungfrau Maria wurde im ersten Augenblick ihrer Empfängnis
durch die einzigartige Gnade und Bevorzugung des allmächtigen Gottes
im Hinblick auf die Verdienste Christi Jesu, des Erlösers des Menschengeschlechtes,
von jeglichem Makel der Urschuld unversehrt bewahrt.8
Der Inhalt dieses Dogmas ist die Bewahrung der Allerseligsten Jungfrau
vor der Erbsünde, und zwar als ein Privileg, das nur ihr durch die
Allmacht Gottes als bewirkender Ursache gewährt wurde. Es handelt
sich also nicht um eine nachträgliche Befreiung und Reinigung, sondern
um eine echte Bewahrung (praeservatio) vom Augenblick ihrer passiven Empfängnis
an, d.h. von jenem Zeitpunkt, in dem die Seele von Gott erschaffen und
der Leibesmaterie eingegossen wurde. Maria trat also bereits im Zustand
der heiligmachenden Gnade ins Dasein und blieb vom Makel der Erbsünde
verschont, der formaliter in dem durch den Sündenfall Adam verschuldeten
Mangel der ursprünglichen Heiligkeit und Gerechtigkeit besteht. Die
Bewahrung vor jedem Makel schließt aber auch das quasi Materiale
der Erbsünde, nämlich die ungeordnete Begierlichkeit mit ein.
Die Verdienstursache für dieses Privileg Mariens ist die Erlösungstat
Jesu Christi. Maria war genauso wie alle Nachkommen Adams erlösungsbedürftig
und unterstand daher der Notwendigkeit, sich die Erbsünde zuzuziehen,
wurde aber mit Rücksicht auf die Erlösungsverdienste Christi
davor bewahrt. So wurde auch Maria durch die Gnade Christi erlöst,
jedoch auf vollkommenere Weise als alle übrigen Menschen, nämlich
vorerlöst (praeredempta) im Hinblick auf ihre Gottesmutterschaft und
den damit verbundenen spezifischen Personalcharakter als Glied Christi,
des zweiten Adam.9
Die
Person Mariens ist in sich selbst, materiell und abstrakt betrachtet, d.h.
nach ihrem menschlichen Ursprung und Wesen als Produkt der natürlichen
Zeugung [...], dem Gesetze der Gemeinschaft der Sünde unterworfen
und der Verstrickung in dieselbe ausgesetzt. Aber formell, konkret und
schlechthin betrachtet, d.h. nach ihrem übernatürlichen Personalcharakter
oder als diese bestimmte gottgeweihte Person, als Produkt eines besonderen
schöpferischen Ratschlusses Gottes, ist sie jenem Gesetz entzogen
und der Verstrickung in die Sünde unzugänglich.10
Diese mit unfehlbarer Autorität verkündete
Lehre von der Unbefleckten Empfängnis ist eine Offenbarungswahrheit,
die zumindest einschlussweise in Schrift und Tradition enthalten sein muss.
2.2. Die Offenbarungsquellen 2.2.1. Hl.
Schrift11
Die Lehre von der Unbefleckten Empfängnis ist zwar nicht ausdrücklich
in der Heiligen Schrift ausgesprochen, nach Auslegung zahlreicher Theologen
aber einschlussweise in folgenden Stellen enthalten:
a) Gen 3, 15 (Protoevangelium): „Feindschaft
will ich setzen zwischen dir und der Frau, und zwischen deinem Samen und
ihrem Samen; er (der Same der Frau) wird dir den Kopf zertreten, und du
wirst ihrer Ferse nachstellen."
Dem wörtlichen Schriftsinn nach bedeutet diese Stelle, dass
zwischen dem Satan und seinem Anhang und Eva mit ihren Nachkommen ein beständiger
Kampf sein wird. In dieser Nachkommenschaft Evas ist Christus als der Messias
eingeschlossen, in dessen Kraft die Menschheit den Sieg über den Satan
erringen wird. Daher ist diese Stelle auch dem Literalsinn nach bereits
indirekt messianisch.
Bezieht sich allerdings das Protoevangelium von der Höhe der
neutestamentlichen Deutung aus vorrangig auf Christus, so ist der Frau
in erster Linie Maria als Mutter des Erlösers zu verstehen. Nach dieser
direkt messianisch-marianischen Auslegung, die seit dem 2. Jahrhundert
von einzelnen Kirchenvätern vertreten wird, steht Maria zusammen mit
Christus in einer vollendeten Feindschaft gegen die Schlange und ihren
Anhang. Dieser Sieg wäre aber nicht vollkommen,
wenn Maria auch nur einen Augenblick befleckt unter der Herrschaft des
Satans geständen wäre. Die Bulle Ineffabilis erwähnt
diese letztere Auslegung zustimmend, ohne sie allerdings authentisch zu
erklären.
b) Lk 1, 28: „Gegrüßt seist du,
Begnadete!" Dieser Ausdruck vertritt in der Anrede des Engels den
Eigennamen und muss daher als Wesensmerkmal Mariens verstanden werden.
Diesen Gruß deuten die Väter und Theologen als Ausdruck der
vollkommensten Begnadung, die einem Geschöpf zuteilwerden kann. Vollendet
ist sie aber nur, wenn Maria nie mit dem Makel der Erbsünde befleckt
war.
c) Lk 1, 41f: Elisabeth spricht, vom
Heiligen Geist erfüllt, zu Maria: „Gesegnet
bist du unter allen Frauen, und gesegnet ist die Frucht deines Leibes."
Der Segen Gottes, der auf Maria ruht, wird in Verbindung gesetzt zum Segen
Gottes, der auf Christus seiner Menschheit nach ruht. Dieser Übereinstimmung
zwischen Maria und der Frucht ihres Leibes legt nahe, dass Maria ebenso
wie die Frucht ihres Leibes von Anfang an frei von aller Sünde war.
d) Die Kirche wendet in ihrer Liturgie auch alttestamentliche Texte
in allegorischer Deutung auf Maria an:12
Spr 8, 22: „Der Herr besaß mich im Anfang
seiner Wege, ehe er etwas schuf von Anbeginn her." Diese Schriftstelle
gilt dem Wortsinn nach der göttlichen Weisheit, kann aber auch auf
Maria als Mutter der menschgewordenen Weisheit angewendet werden. Ihre
damit zum Ausdruck gebrachte Auserwählung wird aber nur verständlich,
wenn Maria nie durch die Erbsünde oder eine persönliche Sünde
von Gott getrennt war.
Im Hohelied, das allegorisch die Vermählung des göttlichen
Bräutigams mit der Menschheit schildert, ist in der Braut vorzugsweise
Maria mit angesprochen, weil sich in ihr die geistige Vermählung der
Menschheit mit Christus vollzogen hat. Einzelne Stellen sind sogar unmittelbar
auf die unbefleckte Jungfrau zu beziehen:
Hld 2, 2: „Wie eine Lilie unter den Dornen,
so ist meine Freundin unter den Töchtern."
Hld 4, 7: „Vollkommen schön bist du,
meine Freundin, und kein Makel ist in dir."
Hld 5, 2: „Öffne mir, meine Schwester,
meine Freundin, meine Taube, meine Unbefleckte!"
2.2.2. Tradition und dogmengeschichtliche
Entwicklung"
Weder die griechischen noch die lateinischen Kirchenväter lehren
die Unbefleckte Empfängnis ausdrücklich (explicite), sondern
nur einschlussweise (implicite), was sich anhand von einzelnen Grundgedanken
nachverfolgen lässt, die später zur Dogmatisierung führten:
a) Die Idee vollkommener Reinheit und Unversehrtheit Mariens:
Der hl. Ephram sagt: „Du und Deine Mutter, ihr seid die einzigen,
die in jeder Hinsicht schön sind; denn an Dir, o Herr, ist kein Flecken,
und kein Makel an Deiner Mutter."14 Nach dem Wort des hl. Augustinus müssen
sich alle Menschen als Sünder bekennen, „ausgenommen die heilige Jungfrau
Maria, die ich um der Ehre des Herrn willen ganz aus dem Spiel lassen möchte,
wenn von Sünde die Rede ist".15 Auch nach dem hl. Ambrosius ist Maria
„durch die Gnade frei von allen Flecken der Sünde".16 Bei diesen Kirchenvätern
ist allerdings nur die Rede von persönlichen Sünden und nicht
ausdrücklich von der Erbsünde.17
b) Die Idee sowohl der Ähnlichkeit als auch des Gegensatzes
zwischen Maria und Eva:
Maria ist einerseits ein Abbild Evas in ihrer Reinheit und Unversehrtheit
vor dem Sündenfall; andererseits ist sie ein Gegenbild Evas, die durch
ihren Ungehorsam zur Ursache des Verderbens wurde, während sie durch
ihre Gottesmutterschaft die Ursache des Heils ist. Ephram der Syrer (+
373) nimmt diesen Vergleich ausdrücklich vor: „Beide, Maria und Eva,
waren in Unschuld und Einfalt; aber die eine wurde die Ursache unseres
Heiles, die andere die Ursache unseres Todes."18
c)
Maria als Antitypus der unbefleckten Erde: Die unbefleckte Erde, aus der
Adam gebildet wurde, ist ein Typus der Unbeflecktheit Mariens. Dieser Gedanke
findet sich vor allem bei Irenaus: Wie Adam aus der Erde gebildet wurde,
die noch rein und jungfräulich war, so ging Christus, der zweite Adam,
aus dem Schoß der jungfräulichen Mutter hervor.19
Die weitere Entwicklung knüpft an das Fest der Empfängnis
der seligen Jungfrau Maria an, das ursprünglich „Empfängnis der
hl. Anna" hieß und bei den Griechen am 9. Dezember gefeiert wurde.
Gegenstand des Festes war aber nicht die Unbefleckte Empfängnis, sondern
nach dem apokryphen Johannesevangelium die wunderbare Ankündigung
der Empfängnis Mariens durch einen Engel. Dieses Fest verbreitete
sich über Süditalien auch im Abendland. Mit der Einführung
dieser Feier begannen jedoch die Theologen nach deren genauen Sinn zu fragen,
was die bekannte Kontroverse über die Unbefleckte Empfängnis
auslöste:
Die britischen Benediktinermönche Eadmer (+ 1124), ein Schüler
des hl. Anselm von Canterbury, und Osbert von Cläre (+ nach 1130)
verfassten die ersten scholastisehen Traktate über die Unbefleckten
Empfängnis.20 Der hl. Bernhard von Clairvaux hingegen warnte anlässlich
der Einführung des Festes in Lyon (um 1140) die Kanoniker in einem
bekannten Brief (Ep. 174) davor als vor einer unbegründeten Neuerung.
Er lehrte aber auf jeden Fall, dass Maria bereits im Mutterschoß
geheiligt worden sei, aber erst nach ihrer Empfängnis. Unter seinem
Einfluss sprachen sich die führenden Theologen des 12. und 13. Jahrhunderts,
Petrus Lombardus, Alexander von Haies, Bonaventura, Albert der Große
und vor allem Thomas von Aquin gegen diese Lehre aus. Es gelang ihnen nämlich
noch nicht, die Freiheit Mariens von der Erbsünde mit der Allgemeinheit
der Erbsünde und mit der Erlösungsbedürftigkeit der Menschen
in Einklang zu bringen.21
Die entscheidende Wende in dieser Kontroverse erfolgte durch den
Franziskaner Wilhelm von Ware und vor allem seinen großen Schüler
Johannes Duns Scotus (+ 1308), der die Lehre von der Unbefleckten Empfängnis
wissenschaftlich solide begründete. Er erkannte nämlich ganz
klar, dass die Beseelung (animatio) nicht zeitlich {ordo temporis), sondern
nur begrifflich (ordo naturae) der Heiligung (sanetificatio) vorangehen
müsse. Der von ihm eingeführte Begriff „Vorerlösung" (praeredemptio)
als der vollkommensten Art der Erlösung, die Christus ausschließlich
seiner Mutter gewährte, ermöglichte ihm, die Freiheit Mariens
von der Erbsünde mit ihrer Erlösungsbedürftigkeit zu vereinbaren.22
Die Lösung dieser Frage ermöglichte eine raschere Verbreitung
der Lehre und der Verehrung der Unbefleckten Empfängnis. Das Konzil
von Basel sprach sich 1439 in der 36. Sitzung, die jedoch keine ökumenische
Geltung hat, zugunsten der Unbefleckten Empfängnis aus. Papst Sixtus
IV. (1471-1484) gewährte anlässlich dieses Festes mehrere Ablässe
und verbot in der Konstitution Cum praeexcelsa (1477) die gegenseitige
Zensurierung der streitenden Parteien.23 Das Konzil von Trient fügte
dem Dogma von der Allgemeinheit der Erbsünde die Erklärung bei,
„es sei nicht seine Absicht, die selige und makellose Gottesmutter in dieses
Dekret einzubeziehen".24 Papst Pius V. verurteilte 1567 den Satz des Baius,
niemand außer Christus sei von der Erbsünde frei gewesen und
demzufolge seien der Tod und die Trübsale Mariens eine Strafe für
die Erbsünde und aktuelle Sünden gewesen.25 Die Päpste Paul
V. (1616) und Gregor XV. (1622) untersagten die mündliche und schriftliche
Verteidigung der gegenteiligen Lehre. Papst Alexander VII. wies schließlich
in der Bulle Sollicitudo omnium ecclesiarum (1661) alle diesbezüglichen
noch bestehenden Einwände definitiv zurück.26 Schließlich
definierte Papst Pius IX. das Dogma von der Unbefleckten Empfängnis
am 8. Dezember 1854 durch die Bulle Ineffabilis Deus.
Im Rahmen der dogmatischen und lehramtlichen Entwicklung ist es
das bleibende Verdienst des Franziskaners Duns Scotus, die Lehre von der
Unbefleckten Empfängnis nicht nur auf ein wissenschaftlich schlüssiges
Fundament gestellt, sondern auch Ansatzpunkte für eine weitere Vertiefung
dieses Dogmas wie etwa unter dessen trinitarischem Aspekt im Hinblick auf
die gesamte Schöpfung geliefert zu haben.
3. Die Immaculata
als Spiegel der Trinität im Hinblick auf die Gesamtschöpfung
Das Wesen des Dreifaltigen Gottes ist die sich selbst verschenkende
Liebe, die ganz im Du und im Wir lebt. An dieser Liebe sollten nach dem
Plan Gottes alle Geschöpfe nach dem Maß ihrer Gotteserkenntnis
und ihrer Willenseinigung mit der Trinität teilhaben. Der verkehrte
Willensentscheid eines Teiles der Geschöpfe, Engel wie Menschen, bewirkte
jedoch einen Bruch in der ursprünglichen Schöpfung und verhinderte
ihr übernatürliches Einswerden mit Gott. Die Folgen davon waren
der Engelsturz und die Erbsünde.
In diesem Plan des Dreifaltigen Gottes kommt der Immaculata ein
besonderes Vorrecht zu: Sie wurde nie in eine Prüfung bzw. Entscheidung
für oder gegen Gott hineingestellt, wie sie selbst den Engeln abverlangt
wurde. Sie war daher die Gnadenvolle vom ersten Augenblick ihrer Empfängnis
an, was ihre je spezifische Stellung im Hinblick auf die Menschheit, die
Engelwelt und den Stoff der Schöpfung im Heilsplan Gottes begründet.
3.1.
Die Immaculata im Hinblick auf die Menschheit: Sühneträgerin
und Miterlöserin
Maria war bereits von ihrer Unbefleckten Empfängnis an die
Gnadenvolle und damit als einziges Geschöpf nicht nur Bild, sondern
auch Gleichnis Gottes von Anfang an.2/ Sie besaß daher schon „vor
der Empfängnis Christi die heiligmachende Gnade in solcher Vollendung,
dass sie für die Würde der Gottesmutterschaft vollgenügend
vorbereitet war".28 Wenn sie auch vollkommener
Spiegel der Heiligsten Dreifaltigkeit - zuerst im Hinblick auf
die Menschheit - ist, so war sie von der Verkündigung Christi an ihrem
göttlichen Sohn, den sie leiblich tragen durfte, als Gehilfin an seinem
Erlösungswerk am innigsten verbunden. Dadurch wird sie auch zum Vorbild
aller mit Christus durch die Gnade geeinten Seelen, nur eben mit dem Vorrecht,
dass sie im Unterschied zu diesen einer späteren Reinigung nicht bedurfte:
Das göttliche Leben, das sich in der Gott liebenden Seele entfaltet,
kann kein anderes sein als das reifaltige der Gottheit. Es ist ja der Dreieinige,
dem sie sich hingibt. Sie übergibt sich dem Vaterwillen Gottes, der
gleichsam in ihr aufs Neue den Sohn erzeugt. Sie eint sich dem Sohn und
möchte in ihm verschwinden, damit der Vater in ihr nichts mehr sehe
als den Sohn. Und ihr Leben eint sich dem Heiligen Geist, es wird zur göttlichen
Liebesausgießung.29
Maria war infolge ihrer Unbeflecktheit nach ihrem göttlichen
Sohn, dem Gottmenschen Jesus Christus, die bevorzugte menschliche, geschöpfliche
Trägerin des göttlichen Heilsplanes. Sie befand sich demnach
zeit ihres Lebens im Stand der Pilgerschaft (statu viae) und nicht in jenem
der beseligenden Anschauung Gottes (visio beatifica), der mit dem von ihr
bei der Verkündigung geforderten Glauben (Lk 1,45) unvereinbar gewesen
wäre. Sie konnte daher in ihrem irdischen Pilgerstand als reiner Mensch
Verdienste erwerben und an Heiligkeit zunehmen:
Sie verdiente durch ihre Tugendakte de condigno die Vermehrung des
übernatürlichen Habitus und der himmlischen Seligkeit in einem
ihrer Würde und Heiligkeit und der höchsten Innigkeit ihrer Gottesliebe
entsprechenden einzigartigen Maß.30
Zwischen dem Modus, Verdienste zu erwerben, bestand jedoch zwischen
Maria und den übrigen Menschen ein wesentlicher Unterschied: Ihren
Verdiensten ging niemals ein Entscheid für oder gegen Gott voraus,
da ihr Wille stets aufs Vollkommenste mit dem göttlichen Willen eins
war:
Maria spürte also nie in ihrem Leben die Sünde oder die
Versuchung zu ihr aus ihrer eigenen Wesenstiefe heraufsteigen. Sie musste
sich nicht aus den Verstrickungen der Sünde in die Freiheit der Kinder
Gottes durchringen. Sie hatte keine Gelegenheit, das Böse in sich
niederzukämpfen.31
Diese Einheit Mariens mit dem Willen des Dreifaltigen Gott ist nur
denkbar, wenn sie nie von einem Makel der Erbsünde befleckt war wie
etwa auch Johannes der Täufer, der allerdings bereits im Mutterschoß
durch die Eingießung der heiligmachenden Gnade davon gereinigt wurde
(Lk 1,15: „Und er wird mit dem Heiligen Geiste erfüllet
werden schon vom Mutterleibe an"). Doch auch der Vorläufer
Christi, der eben nicht unbefleckt empfangen wurde, hatte die Möglichkeit,
sich gegen Gott zu stellen, nicht aber die Immaculata: Ihr Wille war von
ihrer Empfängnis an ganz in den Willen Gottes eingegangen. Im Gegensatz
zu allen übrigen vernunftbegabten Geschöpfen erfolgten daher
die Prüfungen im Hinblick auf ihre Verdienste niemals im Bereich des
freien Willens und damit in der Vertikale, d.h. für oder gegen Gott,
sondern immer nur in der Horizontale, d. h. in stellvertretender Sühne
für die Menschheit in völliger Hingabe an Gott:
Indes auch ihr Leben war durchlebt von Kämpfen und Siegen.
Sie liegen nicht im Felde, auf dem Sünde und Tugend, Heiligkeit und
Unheiligkeit aufeinanderstoßen, sondern innerhalb der Grenze des
Gehorsams und der Liebe. Ihr Leben war immer Bereitschaft und Hingabe
an Gott. Aber am Schicksal ihres Sohnes, das ihr zum Schicksal wurde, wuchs
ihre hinopfernde Liebe zu immer größerer Kraft und Innigkeit
heran.32
Vor dem Hintergrund ihrer Unbefleckten Empfängnis
erscheint auch die Rolle Mariens als Miterlöserin
in einem neuen Licht: Sie war der einzige Mensch, der nicht mit
der Erbsünde befleckt und daher fähig war, die Gnadenströme
vom Kreuz ihres göttlichen Sohnes herab aufzufangen und an die Schöpfung
weiterzuleiten. Als unbefleckte Miterlöserin kommt ihr daher eine
zweifache Aufgabe zu: Sie ist sowohl Spiegel des Erlöserwillens Gottes
gegen die gefallene Menschheit zu als auch Spiegel der Antwort aller gottgeeinten
Menschen in der Nachfolge Christi, die sie dem Dreifaltigen Gott entgegenhält.
Die Immaculata ist der Brennpunkt aller Gnadenströme zwischen Himmel
und Erde; ihre Heilssendung als Mittlerin aller Gnaden ist auch in den
Lehrschreiben mehrerer Päpste erwähnt.33
Die bevorzugte Stellung der Unbefleckten Empfängnis erschöpft
sich jedoch nicht in der Mitwirkung im Erlösungsgeschehen, sie erstreckt
sich in abgewandelter Form auch auf die Engelwelt.
3.2.
Die Immaculata als Königin der Engel und Braut des Heiligen Geistes
Maria als Unbefleckte Empfängnis steht nicht nur über
allen Menschen, sondern als Königin auch über der gesamten Engelwelt.
Denn während sich die Engel erst in ihrer Prüfung entscheiden
mussten, ob sie an Gott festhalten oder sich von Ihm abwenden wollten,
war Maria nie mit einer solchen Bewährungsprobe der jedem Geschöpf
mitgegebenen Freiheit ausgesetzt: Sie war die Gnadenvolle
und gottgeeint vom ersten Augenblick ihrer Empfängnis an - ein Vorzug,
der sie über alle Engel erhebt.
Da jedoch die heiligen Engel nach ihrer Prüfung ein für
alle Mal in die beseligende Gottesschau eingegangen sind und die gefallenen
nicht mehr erlöst werden können, hängt die Stellung Mariens
gegenüber der Engelwelt nicht mit deren Heilsstatus zusammen, wohl
aber mit deren Eigenart als rein geistige Geschöpfe. Als solche sind
sie im Vergleich zur Menschenwelt und zur stofflichen Schöpfung besonders
dem Heiligen Geist zugeordnet, dem Träger und Garanten der Heiligkeit
und reinen Geistigkeit Gottes: In ihnen hat „der Heilige Geist eine geschaffene
Nachbildung erfahren".34 Mehr aber noch als die Engel
ist die Unbefleckte vom Heiligen Geist geprägt, und zwar in zweifacher
Hinsicht. Zunächst darf man annehmen, dass sie als Königin
der Engel auch Anteil an deren Wesenheit hatte und nicht ausschließlich
der Menschwelt angehörte. Folglich war die Immaculata auch bevorzugtes
Gefäß des Heiligen Geistes und Spiegel seiner reinen Geistigkeit,
weshalb auch die Empfängnis Christi, und zwar sowohl seinem natürlichen
als auch seinem übernatürlichen Leben nach, unter der Mitwirkung
des Heiligen Geistes, d. h. auf rein geistige Weise erfolgen musste:
Der
Heilige Geist wird der Jungfrau geistig eingeflößt als der Träger
göttlicher, zeugender Kraft; weil diese aber geistig ist, bleibt die
Jungfrau unversehrt. [...] Deshalb wird der Heilige Geist auch der göttliche
Samen genannt, der in die Jungfrau eingeht, um ihr göttliches Leben
zu bringen.
Als Königin der Engel ist die Unbefleckte
daher zugleich Braut des Heiligen Geistes, aber auch Mutter der Kirche
als Trägerin der Heiligkeit Gottes und Hüterin des wahren Gottesbildes,
nämlich der reinen, d. h. nicht mit der Schöpfung verwobenen
Geistigkeit Gottes. Aus dieser Würde als Tempel des Heiligen
Geistes fließen nicht nur die Verdienste Mariens und der Wert ihrer
Tugenden:36 Im Geheimnis der Immaculata ist letztlich
das Leben und die Unzerstörbarkeit der heiligen Kirche verankert,
die von den Mächten der Unterwelt nicht überwältigt werden
kann. Auch der Dienst der heiligen Engel an Kirche und Schöpfung sowie
das Schutzengelamt am Menschen hängt aufs innigste mit der Immaculata
zusammen: Denn in der Unbefleckten sind die Engel auf die geheiligte Menschheit
hingeordnet.
Die Immaculata als vollendeter Spiegel der
Trinität bezieht schließlich auch die stoffliche Schöpfung
mit ein.
3.3. Die Immaculata
als Mutter der reinen Schöpfung
Maria war als Gottesträgerin auch dem Leibe nach von der Erbsünde
ausgeschlossen, wie bereits die Kirchenväter lehrten. So sagte beispielsweise
Johannes Damascenus:
Maria ist jene unverdorbene, niemals verfluchte Erde, sondern eine
Erde, die der Herr gesegnet, und daher frei von aller Befleckung durch
die Sünde.37
Der Leib Mariens war also nie dem Tod und
der Verwesung als Folgen der Sünde anheimgegeben und bedurfte daher
keines Läuterungsprozesses. In Maria war der Stoff der Schöpfung
daher in einem Zustand, wie er nur im Paradies gegeben war und einst erst
in der endzeitlichen Verklärung nach dem Jüngsten Gericht im
Himmlischen Jerusalem sein wird. In der Unbefleckten Empfängnis
ist somit auch die leibliche Himmelfahrt Mariens begründet.
Maria war infolge ihrer leiblichen Unversehrtheit aber auch die
einzige Kreatur, der von ihrer Empfängnis an das Vorrecht beständiger
Gottunmittelbarkeit zukam. Sie bedurfte nicht der sakramentalen Vermittlung
wie alle übrigen Menschen, um gerechtfertigt zu werden und die heiligmachende
Gnade zu erlangen: Die Immaculata als die „reine Erde" bzw. reine Schöpfung
durfte den Sohn Gottes leiblich, unmittelbar tragen. In ihr ist durch die
Segenskraft der heiligen Kirche auch aller Stoff geheiligt. Als
Mutter der reinen Erde vollendet so die Immaculata den Spiegel des Dreifaltigen
Gottes über der gesamten Schöpfung.
(Quelle: "Dienst am Glauben",
Heft 2, April-Juni 2018, S. 52-61, A-6094 Axams)
Bete
täglich auch den von Jesus selbst diktierten Rosenkranz zur Göttlichen
Barmherzigkeit! - doc