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Simeon nahm das Kind in seine Arme und pries
Gott mit den Worten: Nun läßt du, Herr, deinen Knecht, wie du
gesagt hast, in Frieden scheiden. Denn meine Augen haben das Heil gesehen,
das du vor allen Völkern bereitet hast, ein Licht, das die Heiden
erleuchtet, und Herrlichkeit für dein Volk Israel.
(Lk 2, 28-32)
„Vom Heiligen Geist getrieben kam er in den Tempel"
Zum ersten Mal zieht der Herr in den Tempel ein. Zum ersten Mal gibt
seine Mutter ihn aus ihren Händen. Stellvertretend für das ganze
Volk Israel, das sehnsüchtig auf seinen Erlöser wartet, empfängt
ihn der greise Simeon.
„Simeon" bedeutet „Erfüllung". Der diesen Namen hier trägt,
ist ein Mensch, der in Jesus Christus Erfüllung gefunden hat, dem
er allein genügt. Nichts Geringeres vermag ihn zufriedenzustellen,
und über ihn hinaus verlangt er nach nichts andrem mehr.
Wir erfahren zunächst einiges über die Person Simeons
und über die Vorgeschichte seiner Begegnung mit dem Herrn.
„Er war gerecht", sagt der Evangelist von ihm; das heißt:
Er entsprach Gott und lebte in einem ständigen inneren Hingekehrtsein
zu ihm. Seine Gedanken waren an Gottes Gedanken ausgerichtet; sein Tun
war nicht regiert von seinem eigenen Willen, sondern von dem Willen Gottes.
Wenn er dann noch „gottesfürchtig" genannt wird, so besagt
das, daß er um die überwältigende Größe und
Heiligkeit Gottes und um seine eigene Armut vor ihm wußte und ihm
in ehrfürchtiger Scheu diente.
In einer Scheu aber, die ohne Angst, vielmehr voll Hoffnung und
Vertrauen war: „Er wartete auf den Trost Israels."
Simeon hat Gott als den erfahren, der hilft und tröstet, der
alle Tränen trocknet und das Leben derer, die ihm gehören, aus
der Heillosigkeit in den Frieden lenkt. Nun wartet er auf die Vollendung
dessen, was er anfanghaft schon erfahren durfte; auf das volle Heil, auf
den Messias, welcher der Trost schlechthin ist, den Gott zu geben versprochen
hat.
Simeon erwartet ihn nicht nur für sich selbst, sondern für
das ganze Volks Israel. Die Wachheit des Herzens, welche ihm geschenkt
ist, sein Hunger und Durst nach dem Heil, kommt von Gott her, der einem
Menschen dergleichen nie nur für sich allein gibt, sondern immer zugleich
auch für die andern. Menschen wie Simeon haben die Aufgabe, stellvertretend
für alle jene mit zu warten, die nicht mehr zu warten wissen, die
sich verschlossen haben in ihre Sorgen und Traurigkeiten oder auch in ihre
kleinen Freuden.
Simeon hat vom Heiligen Geist nicht nur die Sehnsucht nach dem Heil
erhalten, sondern auch die Zuversicht, daß dieses Sehnen in Erfüllung
gehen wird, die „Zusage, daß er den Tod nicht schauen werde, bevor
er den Gesalbten des Herrn gesehen hätte".
„Vom Geist getrieben kam er
in den Tempel." Wer sich dem Heiligen Geist überläßt,
wird von ihm dorthin geführt, wo er Jesus Christus begegnet.
„Und die Eltern brachten das Kindlein Jesus
herein." Ob wohl der fromme Simeon den Messias so erwartet hatte:
als winziges, hilfloses Kind von Eltern, die zu arm sind, auch nur das
vorgeschriebene Opfer aufzubringen? Simeon ist doch ein Mensch des Alten
Bundes und seiner Messiaserwartung.
In der Begegnung mit Jesus Christus aber wird er zum Menschen des
Neuen Bundes: Ohne den kleinsten Augenblick des Zögerns schließt
er voll Liebe seinen Erlöser in die Arme. Er achtet nicht auf die
unerwartete Gestalt, sondern er erkennt in ihr den, auf den er gehofft
hat und nimmt ihn in diesem Kindlein an. Er will nicht etwas, was er sich
selbst erdacht hat, sondern er will wirklich ihn, so, wie er selbst sich
schenken will.
Wer Jesus Christus sucht wie Simeon, der findet ihn, der darf ihn
in seine Arme schließen und in den Lobpreis einstimmen, mit dem Simeon
den langen Tag seines Lebens beschließt: Er dankt Gott, weil er ihm
als sein Knecht dienen durfte und nun aus diesem Dienst entlassen wird
in eine noch größere Freiheit, in den unsagbaren Frieden dessen,
der alles aus den Händen legt, weil er Jesus Christus für immer
umfangen darf.
Die Kirche legt uns das Preislied Simeons täglich in den Mund
für jenen Augenblick, in dem wir wenigstens für einige Stunden
alle unsere Dinge aus den Händen legen und uns Gott so überlassen,
wie wir es beim Sterben einmal vollständig und endgültig zu tun
hoffen. Mit dem „Nunc dimittis" beten wir uns jeden Abend in die Haltung
Simeons hinein und erfahren wie er den Frieden, der denen geschenkt wird,
die Jesus Christus schauen durften und die darüberhinaus nichts mehr
verlangen.
(Quelle: "Bote von Fatima"
Nr. 1/2, Jgg. 74, Jan./Febr. 2016, S. 3f., Regensburg)