Zum Irrtum der sogenannten „Religionsvielfalt" |
Dr. Gabriele Waste
1. Die Ursache der sogenannten
„Religionsvielfalt": Die Degradierung des Glaubens zum Mythos
Die moderne Diktion von der Religionsvielfalt
in dem Sinne, dass alle Religionen gleichwertig seien oder dass sich Gott
in den einzelnen Religionen auf verschiedene Weise offenbare, wäre
dann zutreffend, wenn Religion und Glaube synonyme, deckungsgleiche Größen
darstellten. Allerdings wird schon in einer historischen Rückschau
auf den Religionsbegriff deutlich, dass der behaupteten Religionsvielfalt
sowohl ein heterogener Vorstellungskomplex als auch eine reduzierte Sicht
des Glaubens zugrunde liegt.
Ursprünglich wird das Wort religio von Cicero aus relegere
(wieder lesen, sorgfältig beobachten) hergeleitet, weil es den cultus
deorum (Götterkult) bezeichne, später vom Christen Lactantius
aus religare (zurückbinden), da in ihm die Rückbindung an den
zu verehrenden Gott gemeint sei. Letztere Begriffsbestimmung übernimmt
Augustinus, der von der vera
religio spricht, der Verehrung
für den schon durch die Vernunft erkennbaren wahren Gott. Diese
vernunftgemäße Begründung der Religion drückt sich
auch in der Glaubensdefinition des Kirchenvaters aus, die sich der selige
Wilhelm von St. Thierry und die auf ihn folgenden Scholastiker, vor allem
Thomas von Aquin, zu eigen machten: credere est cum assentione cogitare
(Glauben bedeutet eine Überlegung mit Zustimmung). Im
Gefolge von Patristik und Scholastik steht der Religionsbegriff bis ins
16./17. Jahrhundert in unlösbarem Zusammenhang mit der göttlichen
Offenbarung und dem christlichen Glauben. Erst ab dieser Epoche
erfährt er eine Verschiebung, indem er im Plural gebraucht wird. Friedrich
Schleiermacher löst ihn schließlich aus der Verbindung mit Metaphysik
und Moral und weist ihm den Bereich der Anschauung und des Gefühls
zu. Im 19. Jahrhundert beschränkt ihn Ludwig Feuerbach ausschließlich
auf die Sphäre der Immanenz, indem er religiöse Vorstellungen
nur als Projektionen betrachtet. Im Gefolge seiner Religionskritik wurde
die ontologische Seite der Religion und damit der Glaube völlig ausgeklammert.
Die auf ihn zurückgehende rein empirische Religionswissenschaft bedeutet
daher einen Rückfall vom Glauben in den Mythos
im Sinne einer „Synthese von Imagination und Reflexion" unter Ausschaltung
der metaphysischen Wahrheitsfrage. Und nur auf dieser
Ebene, nämlich eines zum Mythos reduzierten Glaubens, lässt sich
die These einer Gleichheit oder Vielfalt von Religionen aufstellen.
Diese mythische, unreflektierte Weltdeutung als unterscheidendes
Merkmal aller vorchristlichen und heidnischen Religionen war zwar durch
die griechische Philosophie sowie durch die natürliche und übernatürliche
Gotteserkenntnis im Prinzip überwunden. Doch durch die sogenannte
Reformation erfuhr der Glaube im christlichen Abendland einen Rückfall
in den Mythos, der über die moderne Religionsphilosophie und deren
Ausläufer bis in unsere Tage andauert und eine Rückbesinnung
auf die Logizität der Offenbarung sowie auf das Trinitätsmysterium
erfordert.
2. Die geschlossene Welt des
Mythos als glaubenslose Welt
Das Wort Mythos bezeichnet eine Göttererzählung,
von der zumindest in späterer Zeit im Allgemeinen zwar angenommen
wird, dass sie nur metaphorisch gemeint ist und keiner wahren Begebenheit
entspricht, aber eine bestimmte Wahrheit darstellen will. Daher
lässt sich der Mythos im weiteren Sinn als Versuch erklären,
„Moralisches, Existentielles [...] in Symbolen zu gestalten". Ungeachtet
der kulturellen und inhaltlichen Verschiedenheiten weisen jedoch alle Mythen
dieselbe Grundstruktur auf, indem sie das Bestreben der Natur veranschaulichen,
sich zum Geist zu entwickeln bzw. zu erheben: Denn gemäß der
inhärenten Gesetzlichkeit des Mythos ist „die Verfinsterung des Geistes
im Fleische beinahe vollkommen, und man muss vom Fleisch ausgehen, um die
geistige Freiheit wiederzufinden". Da sich jedoch
der Geist nicht aus der Materie entwickeln kann, sondern seinsmäßig
darüber steht, kann der Mythos nicht über die rein natürliche
Sphäre hinausgehen und ist folglich Indiz einer rein materialistischen
Weltanschauung. Dieser entspricht im theologischen Bereich der erbsündliche
Zustand des Menschen.
2.1. Der Mythos als Ausdruck
einer materialistischen und naturalistischen Weltsicht
Die kosmogonischen Mythen, die von der Entstehung der Welt berichten,
sind nach dem gleichen Schema konstruiert: Auf das anfängliche Nichts
folgen naturhafte Gewalten - Wasser, Erde, Eis -, aus denen nicht in freier
Schöpfungstat, sondern aus Naturnotwendigkeit die Urmutter Erde hervorgeht.
Aus dem Walten der Natur, die über sich hinausgerissen wird, entsteht
die junge Göttergeneration, die sich gegen die alte erhebt. Und aus
dem Leib der erschlagenen Urmutter wird der Mensch geformt, der wiederum
zum Sklavendienst an den jungen Göttern bestimmt ist. Da aber die
Natur selbst Ursprung des Geistes ist, bleiben sowohl Menschen wie Götter
an ihre Herkunft gebannt und können den natürlichen Bereich nicht
überschreiten: „Die einmal unterworfenen eigenwilligen Naturmächte
widerstreiten ständig neu dem Selbstbesitz des Geistes. Die errungene
Freiheit eröffnet dem Geiste nur die Einsicht in die Notwendigkeit
der ständigen Unterwerfung der eigenmächtigen Natur."
Der Mythos weist daher auch eine enge Beziehung zum Kult auf: Um
die bestehende Ordnung zu sichern, muss der Mensch in der Kraft des Anfanges,
in der Teilnahme am Werk der Götter, die Erschaffung der Welt durch
rituelle Teilhabe wiederholen: „Jeder Arbeitsakt wiederholt den kosmogonischen
Akt, die Erschaffung der Welt, den Übergang vom Chaos zum Kosmos."
Dieser Kult bedeutet zugleich Vernichtung der profanen Zeit und damit Aufhebung
der menschlichen Einzelexistenz im Werdegang der Natur zum Geist, der letztlich
aber doch in einem Sieg der ursprünglichen Natur endet. Der
Mythos ist daher Ausdruck einer monistischen Weltsicht, die auf
die Materie eingegrenzt bleibt, aber auch der erbsündlichen Gebrochenheit
des Menschen, der den Bereich der weltgebundenen Immanenz nicht zu überschreiten
vermag.
2.2. Der Mythos als Ausdruck
des Polytheismus und der Erbsünde
Die Welt des Mythos ist jener Ort, worin der Mensch stets auf sich
und die ihn beherrschende Natur zurückgeworfen ist und folglich keinen
Ausblick auf die Transzendenz im bewusstseinsunabhängigen Sinn und
auf die Gnade bzw. Übernatur kennt. Denn die in den verschiedenen
Mythen auftretenden Göttergestalten, die selbst aus der Natur hervorgehen
und in den Werdegang von der Natur zum Geist auf dialektische Weise verspannt
sind, stellen keine selbständigen Personen dar, sondern nur vorübergehende
Momente bzw. Projektionen der menschlichen Vorstellungswelt, die nicht
über das eigene Bewusstsein hinauskommt. Diese Göttergestalten
erweisen sich damit als reine Fiktionen und können keinesfalls den
Anspruch erheben, der Sphäre des rein Geistigen bzw. Göttlichen
anzugehören. Daraus lässt sich a priori die Schlussfolgerung
ziehen, dass alle polytheistischen Religionen nichts anderes als Mythen
sind, in denen der Mensch nur sein eigenes durch Materie und Triebwelt
konditioniertes Spiegelbild wiederfindet. Was daher
in den Mythen als Mysterium definiert oder gar rituell gefeiert oder geopfert
wird, besitzt somit keinesfalls den Charakter des Geheimnisvollen im eigentlichen
Sinn, sondern ist nichts anderes als das Produkt einer dämonisch gesteuerten
menschlichen Vorstellungswelt (vgl. 1 Kor 10,20: „Was die Heiden opfern,
das opfern sie den bösen Geistern und nicht Gott"). Denn aus theologischer
Sicht entspricht dem Mythos die Erbsünde, d. h. der durch die Sünde
Adams verschuldete Mangel der heiligmachenden Gnade und der übernatürlichen
Gaben sowie die damit einhergehende Verwundung der menschlichen Natur,
wodurch der Mensch aus der Gemeinschaft mit Gott herausfällt:
Die [Erb]sünde sprengte das Band, mit welchem die Gaben der
Integrität die ungeordneten Regungen und Strebungen
der körperlichen Sinnlichkeit unter der ordnenden
Herrschaft des Geistes zusammengehalten hatten, und
die entfesselte Sinnlichkeit begann mit den in ihr liegenden Kräften
den Kampf wider den Geist.
Diese gnadenlose Welt des Mythos, des Aufbäumens
gegen den Geist, ist daher der Herrschaftsbereich des „Fürsten dieser
Welt" bzw. dämonischer Art. Aus dieser Kondition vermag sich der Mensch
nicht aus eigener Kraft zu befreien. Doch selbst im Stand der Erbsünde
bleibt ihm die Willensfreiheit, vor allem aber die Möglichkeit natürlicher
religiöser Erkenntnis als Voraussetzung für die Wiedererlangung
der übernatürlichen Gemeinschaft mit dem überweltlichen
Gott.
3.
Der Ausstieg aus dem Mythos:
Die natürliche Gotteserkenntnis
und ihre Voraussetzungen
Die natürliche Gotteserkenntnis stand allen Menschen, und zwar
auch den ungetauften und in mythologischen Systemen eingeschlossenen, zu
allen Zeiten offen: Sie besteht in der Fähigkeit, Gott als Schöpfer
von Mensch und Welt aus den geschaffenen Dingen mit Hilfe der natürlichen
Vernunft zu erkennen und ist daher noch nicht Glaube im religiösen
Sinn. Infolge dieses ihres rein geistigen Charakters bedarf die natürliche
Gotteserkenntnis auch keinerlei wie immer gearteter Riten und nicht durchschaubarer
Mysterienkulte.
In systematischer Form tritt sie erstmals in der griechischen Philosophie
als Ablöse vom Mythos ansatzweise zutage und gründet auf einer
klaren Unterscheidung der Seinsbereiche von Geist und Materie sowie auf
der Einheit und Mitteilbarkeit eines unendlich Seienden. Da
jedoch der Schöpfungsgedanke, der letztlich ein mitteilbares ewiges
Sein impliziert, im rein philosophischen Diskurs nicht fassbar ist, kann
die natürliche Gotteserkenntnis erst auf dem Boden der christlichen
Offenbarung, und zwar als Vorläuferin der übernatürlichen
Gotteserkenntnis, zur Vollendung gelangen.
3.1. Die Abgrenzung gegenüber
dem Mythos: Die Einheit des Seins
Die für den Mythos charakteristische dialektische Verspannung
von Geist und Materie, die naturalistische Konditionierung von Welt und
Mensch wird durch die griechische Philosophie einer Lösung zugeführt:
Das aristotelische Denken erklärt das Sein als aus sich selbst seiend:
„Kraft der Unmittelbarkeit seines Selbstbewusstseins bringt der Geist sich
zielbewusst als die Vollendung des Seins im Sinne der höchsten Wahrheit,
Güte und Schönheit hervor." Gott ist also nicht mehr das Endprodukt
eines im materiellen Bereich ansetzenden Entwicklungsprozesses: Das göttliche
Sein ist vielmehr die Vollendung des Seins, sofern es durch sich selbst
existiert. Dieses vollkommene Sein ist daher für Aristoteles reiner
Geist und reines Denken, das sich selbst denkt. Er begreift das göttliche
Seiende auch als reine Wirklichkeit, reine Aktualität ohne Beimischung
von Potentialität, schließlich als reine, nicht dem Werden unterworfene
Form und damit zugleich als Ursache für die unveränderliche Wesensform
aller Dinge. Diese Form wurde jedoch als geistige Wirklichkeit verstanden,
zu der die Materie nicht ergänzend hinzukam, sondern lediglich als
Einschränkung verstanden wurde: „Gott kann nach griechischer Auffassung
auch nicht die Materie gemacht haben. Er hätte sich als höchste
Vollkommenheit mit etwas ihm nicht Adäquatem, nämlich mit Mangelhaftem
befasst." Eine positive Sicht der Materie war
erst auf der Grundlage der christlichen Schöpfungslehre möglich.
Im rein philosophischen Bereich, also unter vorläufiger Ausklammerung
des Schöpfungsgedankens, verteidigt auch Thomas von Aquin im Anschluss
an die griechische Metaphysik die Vollkommenheit und Einheit bzw. Einzigartigkeit
des göttlichen Seins: In Gott ist jeder Mangel und jegliche Form von
Nichtsein, die allem geschöpflichen Sein anhaftet, ausgeschlossen.
Er ist also das in jeder Hinsicht vollkommene Sein, aus dem alles Unvollkommene
hervorgeht, reiner Akt, der keinerlei Potenzen zu seiner Verwirklichung
bedarf, und daher auch reiner Geist. Es ist jedoch
unmöglich, dass es zwei höchste Güter dieser Art oder mehrere
Götter im Sinne eines vollkommenen, durch sich selbst existierenden
Seienden gibt. Denn diese würden sich dann durch nichts mehr voneinander
unterscheiden. Da zudem die göttliche Natur infolge ihrer reinen Geistigkeit
nicht Form einer Materie ist, kann sie auch nicht im Hinblick auf die Teilbarkeit
der Materie geteilt werden. Daher kann es nur einen Gott und nicht mehrere
Götter geben. Darüber hinaus betrachtet Thomas Gott als Ursache
allen Seins, wodurch er sich deutlich von den alten Naturphilosophen abgrenzt,
für die Gott nur die Ursache der Bewegung mancher Dinge war. Durch
den Gedanken an diese Wirkursächlichkeit Gottes ist bereits auf philosophischer
Ebene der Schöpfungsgedanke im Sinne einer Schöpfung aus dem
Nichts zumindest implizit vorhanden. Dieser wiederum setzt notwendigerweise
die Mitteilbarkeit des göttlichen Seins voraus.
3.2. Der Übergang zur übernatürlichen
Gotteserkenntnis: Die Mitteilbarkeit des Seins
Das Charakteristikum des Schöpfungsgedankens
besteht in der Freiheit der Schöpfungstat, dass Gott nämlich
nicht naturnotwendig, sondern durch einen Willensentscheid wirkt.
Denn ein naturnotwendiges Handeln wäre mit der reinen Geistigkeit
Gottes nicht vereinbar und würde eine Abkehr in mythische Denkmuster
und damit in den Pantheismus bedeuten. Da jedes willentlich
Wirkende die Wirkung gemäß der Verfasstheit seines Verstandes
erzeugt, bringt Gott die Dinge durch die Weisheit seines Verstandes ins
Sein:
Da nun in Gott nur geistige Erkenntnis ist
und er nur erkennt, indem er sich selbst erkennt - und ihn erkennen ist
weise sein -, ergibt sich, dass Gott alles nach seiner Weisheit wirkt.
Die Schöpfung bzw. die Erschaffung aus
dem Nichts ist daher eine personale Tat, da nur eine Person mit Verstand
und freiem Willen ausgestattet ist. Folglich ist das göttliche Sein
ein personales Sein, und zwar als rein geistiges Sein „in der höchsten
Form der Personalität" und in der „Seinsweise der reinen Aktualität"
in der Einheit von Selbstbesitz und Selbsthingabe:
Diese reine Aktualität ist zugleich ein Ausgehen von sich selbst
[...]: Gottes Sein ist ein dauerndes Sichverströmen.
[...] Gott bleibt bei sich, indem Er von sich ausgeht, Er bewahrt sich,
indem Er sich verströmt.
Das Sichbewahren ist ein intellektuelles und willensmäßiges
Sich-selbst-besitzen, dem Ausgehen hingegen entspricht die Freiheit der
göttlichen Schöpfungstat:
Das Ausgehen aus sich selbst ist ebenfalls intellektuelles Ausgehen,
erkenntnismäßiges Eingehen in die Dinge, aber ein Eingehen,
das ein Sichverschenken ist, das aus der Fülle des eigenen Seins den
Dingen ihr Sein zumisst; damit ist es zugleich ein produktives Wollen,
das die Dinge ins Dasein setzt, sie in ihrem Dasein bejaht und bewahrt.
Die Schöpfungstat als freies Ausgehen Gottes aus sich selbst,
als freies Sichverschenken aus der eigenen Fülle, impliziert im weitesten
Sinn die Mitteilbarkeit des Seins bzw. die Fähigkeit des Seins, über
sich frei zu verfügen und damit die Unterscheidung von Wesen und Person
in Gott: „Neben die Wesensordnung des unmittelbar mit sich selbst identischen
Seins tritt die Freiheit der Personalität und Individualität,
die Art und Weise, wie dieses Sein existiert." Die
Schöpfungstätigkeit Gottes ist daher nur als Werk des Dreifaltigen
Gottes denkbar, in der Einheit des Wesens und in der Verschiedenheit der
Personen. Sie gehört daher zu jenem Fragenkomplex, der weder durch
Erfahrung noch durch philosophische Einsicht gelöst werden kann, sondern
bereits auf die göttliche Offenbarung verweist. Da
also die Mitteilbarkeit des Seins letztlich nur auf der Grundlage des Trinitätsglaubens
denkbar ist, bedeutet jede andere Form von Monotheismus, der sich als sogenannter
„reiner Eingottglaube" präsentiert, letztlich nichts anderes als eine
naturalistische Verformung des Gottesbildes und damit einen Rückfall
in den Mythos, der sich keinesfalls auf irgendeine Form von göttlicher
Offenbarung berufen kann. Und weil das Trinitätsmysterium
sowohl als einzig mögliche Form von Offenbarung wie auch als Vollendung
der Schöpfungslehre nur auf dem Boden von Heiliger Schrift und kirchlicher
Überlieferung denkbar ist, bildet es eine unüberschreitbare Grenze
gegenüber allen anderen sogenannten Religionen. Daher ist es unhaltbar,
die These von irgendwelchen „Gemeinsamkeiten" oder gar Vergleichsmomenten
unter den Religionen aufzustellen, da die vorchristlichen und heidnischen
Religionen infolge ihrer mythologischen Konditionierung nicht einmal an
die natürliche Gotteserkenntnis heranreichen. Umgekehrt lässt
sich sagen, dass ausschließlich der Katholizismus keinerlei wie immer
gearteten „Entmythologisierung" oder gar der Aufklärung im rationalistischen
Sinn bedarf, weil er die einzige vernunftbegründete Religion ist.
4.
Die übernatürliche Gotteserkenntnis als eigentliche Glaubenserkenntnis
Von der natürlichen Gotteserkenntnis unterscheidet sich die
übernatürliche bzw. Glaubenserkenntnis durch das Erkenntnisprinzip
(die durch den Glauben erleuchtete Vernunft), das Erkenntnismittel (die
göttliche Offenbarung) und das Formalobjekt (Gott, wie er durch die
Offenbarung erkannt wird). Der Hauptgegenstand des
übernatürlichen Glaubens sind die Glaubensgeheimnisse, die nur
aufgrund der göttlichen Offenbarung bekannt sein können und wozu
die rein natürliche Vernunft nicht fähig ist. Voraussetzung
für die übernatürliche Gotteserkenntnis ist daher das Taufsakrament,
da der Mensch im Zustand der Erbsünde mit den Mitteln der bloßen
Vernunft keinen Zugang zum Trinitätsmysterium als der Grundlage aller
übrigen Glaubensgeheimnisse hat.
4.1. Voraussetzung: Tilgung der
Erbsünde und sakramentale Gegenwärtigsetzung
Die Erbsünde
besteht ihrem Wesen nach im Verlust der Gnade und damit in jenem Zustand,
der durch die freie Sündentat Adams hervorgerufen und auf seine Nachkommen
vererbt wurde. Daher bezeichnet das Konzil von Trient die Erbsünde
als „Tod der Seele", d. h. als Fehlen des übernatürlichen Gnadenlebens
bzw. der heiligmachenden Gnade. Die Tilgung der Erbsünde erfolgte
durch das Erlöserleiden und den Sühnetod Jesu Christi gemäß
Röm 5,18f: "Wie
also durch des einen Sünde auf alle Menschen die Verdammnis kam, so
kommt auch durch des einen Gerechtigkeit auf alle Menschen Rechtfertigung
zum Leben. Wie nämlich durch den Ungehorsam des einen Menschen die
vielen zu Sündern geworden sind, so werden auch durch den Gehorsam
des einen die vielen zu Gerechtigkeit gemacht."
Durch Christi Tod und Auferstehung ist das
Erlösungswerk ein für allemal vollzogen und die Erlösungsfähigkeit
aller Menschen grundgelegt. Die Zuwendung der Erlösung, d. h. die
Rechtfertigung, besteht jedoch in der individuellen Tilgung der Erbsünde
durch die Eingießung der heiligmachenden Gnade im Taufsakrament.
Dieses gründet wie alle übrigen Sakramente in der Gegenwärtigsetzung
des Erlöserleidens Christi und dadurch in der Grundlegung bzw. Vermehrung
des übernatürlichen Gnadenlebens. Die
Sakramente als „Zeichen
für eine heilige Sache und die sichtbare Gestalt der unsichtbaren
Gnade", d. h. in ihrer Einheit von sichtbarer und unsichtbarer Dimension,
sind folglich auch der einzige Modus zur Teilhabe am göttlichen Leben.
Dabei deutet das sichtbare Zeichen an, dass auch die durch die Erbsünde
in Mitleidenschaft gezogene Natur der Erlösung zugeführt wird
und damit eine Aufwertung gegenüber dem rein philosophischen Denken
erfährt. Daraus lässt sich eine wichtige Schlussfolgerung ziehen:
Da im Unterschied zu den Sakramenten
die natürliche Gotteserkenntnis, wie bereits erwähnt, keinerlei
wie immer gearteter Riten oder der Einbeziehung der Materie zu ihrem Vollzug
bedarf, sind alle anderen kultischen Handlungen außerhalb der Gegenwärtigsetzung
des Erlösungswerkes einschließlich aller esoterischen Praktiken
mythologischer und damit widernatürlicher, d. h. dämonischer
Art. Das Taufsakrament hingegen öffnet durch die Tilgung der
Erbsünde den Weg zur übernatürlichen Gotteserkenntnis und
zu den Geheimnissen des Glaubens.
4.2. Erkenntnisgegenstand: Das
Trinitätsmysterium als „Ur"-Mysterium des Glaubens
Der Terminus Geheimnis in seiner weitesten Begriffsbestimmung bezeichnet
etwas, das in seinem innersten Wesen nicht zu begreifen und zu ergründen
ist. In seiner absoluten Form ist es eine Wahrheit, über deren Wirklichkeit
sich die Kreatur außer dem Glauben an Gottes Wort nicht vergewissern,
deren Inhalt sie nicht direkt, sondern bloß indirekt durch Vergleichung
mit ungleichartigen Dingen sich vorstellen und begreifen kann.
Dieses Geheimnis in seiner absoluten Form ist eben das christliche
Geheimnis, d. h. „das durch die göttliche Offenbarung im fleischgewordenen
Worte der Welt zum Glauben vorgelegte Geheimnis". Dieses
können wir mit der Vernunft nicht erreichen, und nachdem wir
es durch den Glauben erreicht haben, mit den Begriffen unserer Vernunft
nicht ausmessen. Zu seiner Kenntnis sind wir daher
ausschließlich auf die Offenbarung verwiesen.
Das primäre Erkenntnisobjekt der übernatürlichen
Offenbarung betrifft nicht nur das Dasein Gottes wie im Falle der natürlichen
Gotteserkenntnis, sondern das Wesen Gottes selbst bzw. das Mysterium der
Heiligsten Dreifaltigkeit, d. h. die Wesensgleichheit der drei verschiedenen
göttlichen Personen. Denn nur im Trinitätsmysterium, genauer
gesagt in der Reihenfolge der innertrinitarischen Relationen, findet der
formalphilosophische Gedanke eines überweltlichen, rein geistigen
Gottes auch seine inhaltliche Erfüllung. Der
Schwerpunkt liegt dabei auf der Stellung und Rolle des Heiligen Geistes:
Die dritte göttliche Person ist nämlich das Siegel der geistigen
Einheit, welche Vater und Sohn als ein Geist untereinander haben, dass
sich in ihr die absolute Geistigkeit der andern Personen am klarsten ausspricht
und wie in ihrer Spitze kulminiert.
Der Heilige Geist stellt also die geistige
Einheit Gottes dar, die geistige Natur zwischen Vater und Sohn, „und zwar
nicht als Vermittlerin, sondern als Blüte und Spitze derselben".
Er geht daher nicht durch Zeugung wie der Sohn, sondern durch Hauchung
aus dem Vater und dem Sohn als einem einzigen Prinzip hervor:
Die dritte Person [geht] nicht aus dem Schoße, sondern aus
dem Herzen der beiden andern Personen hervor, indem aus der Liebe und mit
der Liebe dieser beiden Personen auch deren ganzes Leben in dieselbe hineingelegt
wird.
Durch die Hauchung des Geistes wird offenbar,
dass Gottes Wesen die verschenkende Liebe in ihrer höchsten Form und
zugleich Ausdruck der reinen Geistigkeit Gottes ist. Jede Verschiebung
oder Schmälerung der innertrinitarischen Relationen würde daher
das gesamte Gottesbild in Richtung Mythos und Pantheismus verzerren, vor
allem aber der göttlichen Geistnatur Abbruch tun. Diese Offenbarung
dieser höchsten Liebe und Geistigkeit ist gewissermaßen das
Urmysterium des Glaubens, von dem sich alle anderen Geheimnisse ableiten
lassen und das nur im Glauben zugänglich ist.
4.3. Das übernatürliche
Erkenntnisprinzip: Der Glaube
Der Glaube im religiösen Sinn richtet sich auf das Unsichtbare,
auf das für die menschliche Vernunft nicht ausschöpfbare Mysterium:
„Der Glaube ist der Habitus des Geistes, mit dem das ewige Leben in uns
beginnt und der den Verstand bestimmt, Nicht-Erscheinendem zuzustimmen."
Am Glaubensakt ist daher nicht nur der Verstand beteiligt,
sondern in gleicher Weise die Liebe:
Da nun der Glaube
dem Verstand eigen ist, sofern er vom Willen bewegt und beherrscht ist,
ist das, was auf die Seite der Erkenntnis gehört, gleichsam das Materiale
darin; seine Formung aber ist von der Seite des Willens her zu verstehen.
Und da die Liebe das Vollendunggebende beim Willen ist, wird der Glaube
von der Liebe
geformt.
Der eigentliche Eintritt ins Mysterium, die
Rechtfertigung erfolgt also in letzter Instanz durch die den Willen bewegende
Liebe. Gerade durch dieses willentliche Moment unterscheidet sich der christliche
Glaube wesentlich von jeglicher Form von mythologischer Weltsicht, die
den Menschen nur als Teil eines evolutiven Prozesses ansieht, der keine
selbständigen Willensentscheidungen freier Personen zu seiner Verwirklichung
erfordert. Abgesehen aber davon, dass sich der übernatürliche
Glaube in erster Linie auf das Geheimnis der Heiligsten Dreifaltigkeit
richtet, ist auch der Glaubensakt durch seine Vollendung in der Liebe letztlich
trinitarisch strukturiert:
Erkenntnis und Liebe sind im Geist, sind also
eins mit ihm, sind sein Leben. Und doch sind sie von ihm und voneinander
unterscheidbar. Die Erkenntnis wird aus dem Geist geboren, und aus dem
erkennenden Geist geht die Liebe hervor. So kann man Geist,
Erkenntnis und Liebe als Abbild des Vaters, des Sohnes und des Hl. Geistes
ansehen.
(Quelle: "Dienst am Glauben",
Heft 3-Juli-2016, S. 87-95, A-6094 Axams)