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Mirjam von Abellin - eine große Mystikerin und eine große Selige

Seitdem Franz von Assisi, der berühmte umbrische Heilige, 1224 auf dem Alverna die Wundmale Christi empfing, werden die körperlichen Zeichen des Leidens Christi Stigmata genannt. Christentum heißt ja Nachfolge Christi und die Stigmatisierten sind die Elite auf der Via Dolorosa, auf dem Weg des Leidens. Zu ihnen zählt auch Mirjam von Abellin, geboren in Galiläa, der Heimat Jesu, und wie Er im 33. Lebensjahr gestorben...

Welche Kraft in der katholischen Mystik verborgen liegt, zeigt das Leben dieser begnadeten Karmelitin, die dem Lamme folgte, wohin es auch ging. Mystik bedeutet ja die Einheit von Leben und Lehre, von Theologie und Frömmigkeit, von Natur und Übernatur, von Diesseits und Jenseits. Mirjam von Abellins Leben spiegelt den übernatürlichen Reichtum der Kirche wieder und lässt uns ein wenig hinter den Schleier schauen, der über der unsichtbaren Welt ausgebreitet ist... Und nichts scheint mir geeigneter, um in das Leben und Wirken dieser großen Mystikerin einzuführen, als Fabers Worte aus seinem Buch "Bethlehem": "Es gibt eine kleine Welt verborgener Seelen in der Kirche. Aber sie liegt tief unten, und ihre Bewohner werden selten ans Licht gebracht, selbst nicht durch die Ehren der Heiligsprechung. Es ist eine unterirdische Welt, die Diamantengrube der Kirche, aus deren unendlichen Tiefen ein Stein von wunderbarem Glänze dann und wann herausgenommen wird, um unseren Glauben zu nähren, um uns die überreichen, wenn auch verborgenen Wirkungen der Gnade zu offenbaren und uns zu trösten..." Mirjam von Abellin zählt zu den großen Mystikerinnen der neueren Kirchengeschichte. Was im Leben dieser begnadeten Karmelitin in erster Linie auffällt, sind außerordentliche, jedoch sehr gut bezeugte Phänomene. Die Zahl, die Mannigfaltigkeit und das Ausmaß der Charismen, mit denen Mirjam von Abellin geradezu überschüttet wurde, sind beeindruckend. Viele Prophezeiungen betreffen die Kirche, die sie den "Ölbaum" nannte, und Frankreich, das sie den "Rosenstrauch" nannte. So kündigte sie beispielsweise auch den Tod Pius IX. sowie den Namen seines Nachfolgers, des späteren Leo XIII., an...
Bei Mirjam von Abellin findet man in enger Verbundenheit mit der Gabe der Prophetie auch das Charisma der Unterscheidung der Geister und das Wissen um Ereignisse, von denen sie nach menschlichem Ermessen unmöglich Kenntnis haben konnte. Nicht weniger bemerkenswert als das Charisma der Herzens-Kenntnis ist die Gabe der Schau von Ereignissen, die in weiter Ferne stattfinden. Im Karmel von Mangalore wohnte sie beispielsweise der Hinrichtung der Geiseln der Kommune in Frankreich bei. In den Klöstern von Pau und Mangalore sah sie die Verfolgungen und Massenmorde in China. 1877 schaute und erlebte sie die Hungersnot, von der die Bevölkerung Indiens damals heimgesucht wurde, und nahm durch ihre Ängste an all diesem Elend teil... Mirjam von Abellin, die von Papst Johannes Paul II. am 13. November 1983 seliggesprochen wurde, hat gelitten, namenlos gelitten. Sie ist vom Berg Tabor herabgestiegen, um tief in den Garten von Gethsemane einzudringen: "Ich wünsche zu leiden - bis ans Ende der Welt, damit die Kirche den Sieg davonträgt..."
Mirjam von Abellin machte außerordentliche Prüfungen durch, andererseits besaß sie alle Charismen, alle Gaben des Geistes wie Ekstasen, Levitationen, Erscheinungen, Prophetien, Kenntnis verborgener Dinge, Bilokation. Sie trug die Wundmale Christi, hatte die Gabe der Seelenschau und die Gabe der Prophetie. Das größte Wunder aber war, daß diese Mystikerin, für welche das Übernatürliche ganz natürlich geworden war, das einfachste, demütigste und gehorsamste Geschöpf blieb, das sich mit heroischer Hingabe vom Heiligen Geist zu einem Kunstwerk von einmaliger Schönheit ummodeln ließ...
Mirjam von Abellin, die in den Annalen der christlichen Heiligkeit ein einzigartiger Fall bleiben wird, ist ein Licht vom Tabor, das unsere unheilige und dunkle Welt an den Vater der Lichter und an die Verklärung des auferstandenen Herrn und Heilands, Jesus Christus, erinnert. Sie öffnet uns den Zugang zu einer unsichtbaren Welt, die dem gewöhnlichen Auge verborgen bleibt... "Eine Seele frei von Trug, reif für den Himmel." Mit diesen Worten hat Maurice Barres Mirjam von Abellin, die begnadete Karmelitin, charakterisiert. Und Rene Schwöb hat es mit wenigen Worten auf den Punkt gebracht, wenn er in seiner Biographie schreibt: "Kurz bevor die reine, und man könnte sagen: Vor Wundern behütete Heiligkeit der beiden Karmelitinnen Teresia vom Kinde Jesus in Lisieux und Elisabeth von der Dreifaltigkeit in Dijon aufblühte, vollendete sich eine der wunderbarsten Existenzen der katholischen Kirchengeschichte, nämlich das in Pau, Mangalore und Bethlehem verbrachte Leben einer kleinen Araberin, Mirjam Bauardy von Abellin, die im Karmel Schwester Maria von Jesus dem Gekreuzigten genannt wurde..."
Schon von der Wiege an mit außerordentlichen Gnaden bedacht, war Mirjam von Abellin schon der heiligen Teresa von Avila ähnlich, bevor sie noch deren Tochter wurde. Die mystischen Gaben und Gnaden, die Gott über Teresa von Avila in verschwenderischer Fülle ergoß, ließ er im neunzehnten Jahrhundert in Mirjam von Abellin wieder aufleben. Sie trug die Wundmale Christi an der Seite, an Händen und Füßen; um ihre Stirn zeichnete sich unter den Stichen unsichtbarer Dornen eine blutige Krone. Ihre Ekstasen und Visionen waren etwas Alltägliches, da sie das Feuer der göttlichen Liebe nicht zurückhalten konnte.
Die Worte, die von ihren Lippen strömten, die Gesänge, die sie zum Lob des Allmächtigen improvisierte, erinnern an die Lehren und Hymnen der großen spanischen Mystikerin und Reformatorin des Karmels. Und, wie Teresa von Avila, ist auch Mirjam von Abellin eine echte Tochter der Kirche. Für sie ist die Kirche die Gemeinschaft der Heiligen und die Gemeinschaft der Bewohner des Himmels, des Fegfeuers und der Erde... Die von der Kongregation für die Heiligsprechungen ernannten Experten, P. Garrigou-Lagrange OP, ein berühmter Mariologe und international bekannter Thomist, der am Angelicum in Rom lehrte, und P. Mager OSB, sind am Schluß ihrer eingehenden Untersuchungen über die Zustände von Schwester Maria von Jesus dem Gekreuzigten einmütig zu folgendem Ergebnis gekommen: Es handelt sich dabei um die passive Läuterung, wie die Theologen der Mystik sagen. Die beiden Ordenspriester hatten das Leben der begnadeten Karmelitin im Licht der Lehre des großen Lehrers der Mystik, Johannes vom Kreuz, studiert. Pater Garrigou-Lagrange schreibt: "Die starken Anfechtungen erscheinen als eine dieser Seele von Gott zu ihrer völligen Läuterung auferlegte Prüfung, damit sie durch die Mitwirkung am Heil der Sünder hohe Verdienste erwerben und sich auf eine innige Vereinigung mit dem Herrn vorbereiten konnte..."
Es handelt sich hier um eine der schwersten Prüfungen, die während der passiven Läuterung vorkommen können. Johannes vom Kreuz, der große Mystiker und Heilige, schreibt in der "Dunklen Nacht": "Es findet hier ein offener Kampf zwischen zwei Geistern statt. Je nach dem Maß oder der Art und Weise, wie Gott eine Seele an sich ziehen will, gibt er dem Teufel Erlaubnis, solchermaßen gegen sie vorzugehen..." Mirjam von Abellin hat das Schwere und Leidvolle in ihrem Leben aus der Kraft des Glaubens bewältigt. Und was sie vor allem auszeichnete, war ihre heroische Gottes-und Nächstenliebe, ihr grenzenloses Gottvertrauen, ihr blinder Gehorsam, ihre Regeltreue. An ihr erfüllt sich das Wort der Schrift: "Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht..." Wahrhaft: Mirjam von Abellin wird in den Annalen der christlichen Heiligkeit ein einzigartiger Fall bleiben. Das Leben dieser begnadeten Karmelitin ist ein großes Geschenk an die Kirche, weil hier eine Heiligkeit aufleuchtet, die blendet, wie die Apostel auf dem Berg Tabor geblendet wurden.
Ihr Leben ist ein leuchtendes Zeichen der Fruchtbarkeit des Evangeliums. Die Passio Christi, das Leiden des Herrn, wird so zur Offenbarung Gottes, der die Liebe ist. Und Mirjam von Abellin begegnet uns als Abbild des heiligen Herzens Jesu, das in der Litanei als "Feuerherd der Liebe" angerufen wird. Sie führt die Seelen zum Feuer, das immer brennt, und zur Liebe, die immer glüht...
Otto ZISCHKIN

(Quelle: "Der Gefährte" Nr. 5, 1999, S. 3 - 5, St. Andrä)
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