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FÜNFZEHNTES HAUPTSTÜCK
Aufenthalt der Heiligen Familie im Stall zu Bethlehem.
Die Mutter Gottes wußte durch die ihr eingegossene Kenntnis
der Heiligen Schrift (Ps 71,10) wie durch erhabene Offenbarungen, daß
die Heiligen Drei Könige aus dem Morgenland kommen würden, um
ihren heiligsten Sohn als wahren Gott anzuerkennen und anzubeten. Insbesondere
war ihr dies Geheimnis näher enthüllt worden durch die Botschaft
eines Engels an die Könige. Dem hl. Joseph war dieses Geheimnis verborgen.
Maria hatte ihm ihr Geheimnis nicht mitgeteilt, weil sie, umsichtig in
allem, die Weisung Gottes abwarten wollte. Joseph schlug jetzt vor, diesen
armen Ort zu verlassen, weil er weder für das göttliche Kind
noch für sie geeignet sei und man jetzt zu Bethlehem ein Obdach finden
werde. Dorthin wollten sie sich bis zur Darstellung des Kindes im Tempel
zurückziehen. Er fürchtete, seiner Armut wegen möchte dem
Kinde und der Mutter die vollständige Pflege abgehen, die er für
beide wünschte. Doch fügte er sich in allem dem Willen seiner
Braut. (540)
Maria antwortete, ohne ihm das Geheimnis zu entdecken: «Mein
Bräutigam, ich gehorche deinem Befehle und werde dir mit grösster
Freude folgen, wohin du willst. Bestimme, was du für das Beste hältst.»
Maria hatte aber eine gewisse Zuneigung zu der Höhle, weil diese so
arm und elend und durch die Geheimnisse der Geburt und Beschneidung geheiligt
war. Sie sollte noch geheiligt werden durch die bevorstehende Ankunft der
heiligen Könige. Zu welcher Zeit diese Ankunft erfolgen sollte, war
der seligsten Jungfrau nicht bekannt. Die Zuneigung Mariens zur Krippenhöhle
war durch Frömmigkeit und Ehrfurcht geheiligt. Gleichwohl zog sie
den Gehorsam ihrer persönlichen Zuneigung vor und fügte sich
demselben, um in allem Muster und Vorbild der höchsten Vollkommenheit
zu sein. Gerade diese gleichmütige Ergebung versetzte den hl. Joseph
in noch größere Sorge. Er hätte gewünscht, daß
seine Braut entscheide. Da antwortete Gott durch die beiden Himmelsfürsten
Michael und Gabriel, die in körperlicher Gestalt zum Dienste ihres
Gottes und ihrer großen Königin gegenwärtig waren. Diese
sagten: «Der göttliche Wille hat angeordnet, daß an diesem
Orte der menschgewordene Sohn Gottes angebetet werde von den drei Königen,
die, um den König des Himmels zu suchen, aus dem Morgenland kommen
werden. Sie sind bereits zehn Tage unterwegs. Sie werden bald hier ankommen.
So erfüllen sich die Weissagungen der Propheten.» (541)
Der hl. Joseph war voll Freude, daß er durch diese Mitteilung
den Willen Gottes erkannte. Maria aber sagte zu ihm: «Dieser Ort,
den Gott für so erhabene Geheimnisse auserwählt hat, ist zwar
arm und unpassend in den Augen der Welt. In den Augen der göttlichen
Weisheit aber ist er reich und kostbar, ja der erhabenste auf Erden, da
der König des Himmels sich mit ihm begnügt und ihn durch seine
göttliche Gegenwart geheiligt hat. Er kann durch seine Allmacht bewirken,
daß wir an diesem Ort, der ein Land der Verheißung ist, seiner
Anschauung uns erfreuen. Ist es sein heiliger Wille, so wird er uns während
der Tage, die wir hier noch zubringen, gegen die Unbilden der Witterung
schützen.» Diese Worte gaben dem hl. Joseph großen Trost
und Mut. Er meinte, das göttliche Kind werde wohl das Gesetz der Darstellung
im Tempel erfüllen, wie es auch das der Beschneidung erfüllt
habe. Darum könnten sie bis zu jenem Tage hier bleiben, ohne erst
nach Nazareth zurückzukehren. (542)
Maria fügte sich ganz dem Willen ihres Bräutigams. Ihr
Verlangen ging ohnehin dahin, dieses «heilige Gezelt», welches
heiliger und ehrwürdiger war als das Allerheiligste des Tempels, nicht
zu verlassen, bis die Zeit zur Darstellung im Tempel gekommen wäre.
Unterdessen tat sie alles mögliche, um das göttliche Kind gegen
die rauhe und kalte Witterung zu schützen. Sie reinigte auch die Grotte
aufs neue und bereitete sie für die Ankunft der Könige vor, so
weit der arme, niedrige Ort dies zuließ. Doch ihre Hauptsorge ging
dahin, das göttliche Kind immer in ihren Armen zu halten, wenn sie
nicht gezwungen war, es zu verlassen. Wenn der Winter seine Strenge besonders
fühlen ließ, machte sie von ihrer Macht als Königin aller
Geschöpfe Gebrauch. Sie gebot dann der Kälte, den Winden, dem
Schnee und dem Eis, ihrem Schöpfer nicht wehe zu tun, sondern ihre
rauhen Einflüsse an ihr geltend zu machen. Die Himmelskönigin
sagte dann: «Haltet euren Zorn zurück
vor eurem Schöpfer und Erhalter, vor eurem Herrn, der euch Dasein,
Kraft und Wirksamkeit verliehen hat. Ihr habt eure Strenge durch die Sünde
erhalten, um den Ungehorsam des ersten Adam und seiner Nachkommenschaft
zu strafen. Dem zweiten Adam gegenüber, der kommt, um diesen Fall
gutzumachen, und der an demselben keinen Teil hat, müßt ihr
ehrfurchtsvoll und höflich sein und dürft ihm kein Leid antun.
Ich gebiete euch dies in seinem Namen! Bereitet ihm keine Beschwerde!»
(543)
Der bereitwillige Gehorsam dieser vernunftslosen Geschöpfe
gegen Gottes Willen verdient von uns bewundert und nachgeahmt zu werden.
Wenn Maria es befahl, blieben Schnee und Wasser zehn Ellen weit von ihnen
entfernt, die Winde hielten sich zurück, die Luft in der Umgebung
milderte sich und nahm eine gemäßigte Wärme an. Zu diesen
Wundern kam ein anderes. Während das göttliche Kind Linderung
fühlte, empfand die jungfräuliche Mutter die Kälte und die
Unbilden der Witterung in dem hohen Grade, weil sie ihr in allem gehorchten.
Sie selbst wollte sich dem Leiden nicht entziehen. Der hl. Joseph genoß
dasselbe Vorrecht, wie das göttliche Kind. Auch er fühlte die
Milderung der rauhen Elemente, doch wußte er nicht, daß dies
das Werk der Macht seiner Braut war. Denn sie sagte ihm von diesem ihrem
Vorrechte nichts, da sie von Gott keinen Auftrag hiezu erhalten hatte.
(544)
Was die Ordnung und Weise betrifft, in der Maria ihrem Kinde die
Nahrung reichte, so bot sie ihm dreimal im Tage ihre jungfräuliche
Brust. Sie tat es stets mit solcher Ehrfurcht, daß sie zuvor um Erlaubnis
bat und um Verzeihung ihrer Unwürdigkeit. Viele Zeit hielt sie ihr
Kind auf den Armen und betete es kniend an. Mußte sie sich setzen,
so bat sie es immer um Erlaubnis. Dieselbe Ehrfurcht bezeigte sie, wenn
sie es dem hl. Joseph übergab oder es von ihm entgegennahm. Oft küßte
sie ihm die Füße. Wollte sie es aber im Gesicht küssen,
so bat sie innerlich um seine wohlwollende Zustimmung. Das süßeste
Kind aber erwiderte die Liebkosungen seiner Mutter nicht nur, indem es
sie mit freundlicher Miene, aber voll Majestät annahm, sondern auch
durch Gebärden, die es nach Art der übrigen Kinder, nur mit mehr
Ernst und Würde, machte. Gewöhnlich schmiegte es sich liebevoll
an die Brust seiner reinsten Mutter, zuweilen an die Schultern, wobei es
ihren Hals mit seinen göttlichen Ärmchen umfaßte. Maria
benahm sich mit solcher Umsicht und Überlegung, daß sie das
göttliche Kind weder durch kindische Zärtlichkeiten, wie andere
Mütter, dazu anlockte, noch durch Furcht davon abhielt. In allem war
sie ganz weise und vollkommen, ohne je zu wenig oder zuviel zu tun. Die
größte Liebe, die ihr heiligstes Kind ihr kundgab, hatte nur
die Wirkung, sie bis in den Staub zu verdemütigen und mit tiefster
Ehrfurcht zu erfüllen. Diese Ehrfurcht war es, die alle ihre Gefühle
regelte und ihnen den Glanz der höchsten Vollkommenheit verlieh. (545)
Es fand aber noch eine andere, erhabenere Art von Liebesbezeigungen
zwischen dem göttlichen Kinde und seiner jungfräulichen Mutter
statt. Während sie ihr Kind auf den Armen trug, wurde ihr oftmals
noch eine neue Gnade zuteil. Die Menschheit Christi zeigte sich ihr wie
ein Kristall. In ihr schaute sie dann die persönliche Vereinigung
der Gottheit und Menschheit, die Seele des göttlichen Kindes und alle
Akte, welche es, zum himmlischen Vater für das Menschengeschlecht
betend, verrichtete. Diese Akte und Bitten ahmte dann Maria nach, wobei
sie in ihren Sohn ganz versenkt und umgestaltet wurde. Das göttliche
Kind aber genoß im Anschauen der Mutter eine außerwesentliche
Seligkeit und Wonne. Es fand sozusagen seinen Trost darin, eine solche
Reinheit in einem Geschöpf zu erblicken, und freute sich, daß
Maria erschaffen war und daß seine Gottheit sich mit der Menschheit
vereinigt hatte. Bei diesem Geheimnis fiel mir ein, was die Hauptleute
zu Holofernes sagten, da sie die schöne Judith auf den Gefilden von
Bethulien sahen: «Wer soll das Volk der Herbräer
verachten, das so schöne Weiber hat, daß wir nicht schon um
ihretwillen wider sie streiten müßten»? (Judith 10,18).
Diese Rede scheint geheimnisvoll und wahr im Munde des menschgewordenen
Gottes; denn er konnte mit viel mehr Recht dasselbe zu seinem ewigen Vater
und zu allen Geschöpfen sagen: «Wer wollte
leugnen, daß ich recht getan, vom Himmel auf die Erde zu kommen,
die menschliche Natur anzunehmen, den Satan, die Welt und das Fleisch zu
überwinden und zu vernichten, da unter den Kindern Adams sich eine
solche Frau findet, wie meine Mutter?» — O meine süße
Liebe! Du Kraft meiner Kraft, du Leben meiner Seele, liebevoller Jesus!
Sieh, wie Maria, die heiligste Jungfrau, allein so große Schönheit
in der menschlichen Natur besitzt. Sie ist die Einzige, die Auserwählte,
dir, o mein Herr, so vollkommen wohlgefällig, daß sie deinem
ganzen übrigen Volke nicht nur gleichkommt, sondern dasselbe unvergleichlich
übertrifft, und daß sie allein die Häßlichkeit der
ganzen Nachkommenschaft Adams aufwiegt. (546)
Während das göttliche Kind solche Freuden genoß,
wurde seine jungfräuliche Mutter ganz vergeistigt und aufs Neue in
Gott umgestaltet. Ihre reinste Seele nahm einen so hohen Aufschwung, daß
sie gar oft die Bande des irdischen Leibes zerrissen und durch die Glut
der Liebe sein Leben verzehrt und ihn verlassen hätte, wenn sie nicht
durch ein Wunder gestärkt und erhalten worden wäre. Sie sprach
zu ihrem heiligsten Sohne innerlich und äußerlich so erhabene
und inhaltsschwere Worte, daß unsere Sprache sie nicht wiedergeben
kann. Was immer ich auch davon sage, wird weit zurückbleiben hinter
dem, was mir geoffenbart wurde. «O meine süße Liebe»,
sprach sie zu ihm, «du Leben meiner Seele, wer bist du und wer bin
ich? Was willst du aus mir machen, daß du in deiner unermeßlichen
Größe dich herablässest, unnützen Staub so sehr zu
begünstigen? Was soll deine Dienerin dir zuliebe tun, wie soll sie
dir den schuldigen Dank abstatten? Was soll ich dir vergelten für
so vieles, das du mir gegeben hast? Mein Wesen, mein Leben, meine Kräfte,
meine Sinne, meine Wünsche und Seufzer, alles ist dein! Tröste
deine Dienerin und Mutter, damit sie angesichts ihres Unvermögens,
dir zu dienen, wie sie es glühend verlangt, nicht verschmachte und
vor Liebe zu dir sterbe! O wie beschränkt ist die Fähigkeit des
Menschen, wie eingeengt ist sein Vermögen, wie schwach sind seine
Gefühle, da sie deine Liebe nicht nach Gebühr erwidern können!
Immer wirst du deinen Geschöpfen gegenüber Sieger bleiben durch
deine Großmut und Barmherzigkeit. Immer wirst du Triumphe der Liebe
feiern. Wir aber müssen uns dir dankbar unterwerfen und uns als durch
deine Macht besiegt erklären. Wir werden uns erniedrigen bis in den
Staub, deine Größe aber wird erhöht und verherrlicht werden
in alle Ewigkeit.»
Manchmal schaute Maria in der Erkenntnis ihres heiligsten Sohnes
die Seelen, die sich während der Zeit des Neuen Bundes durch die göttliche
Liebe besonders auszeichnen würden. Sie schaute die Werke, die sie
vollbringen und die Martern, die sie in der Nachfolge des Herrn leiden
sollten. Bei diesem Schauen wurde ihr Herz im Wetteifer von solch gewaltiger
Liebe entzündet, daß das Martyrium ihrer Sehnsucht schmerzlicher
war als das tatsächliche Martertum aller übrigen Märtyrer.
So erfuhr sie an sich selbst, was der Bräutigam im Hohenlied gesagt
hat, daß der Eifer der Liebe stark sei wie der Tod und hart wie die
Hölle (Hohel 8,6). Auf dieses Liebessehnen seiner Mutter antwortete
ihr Sohn: «Setze mich wie ein Siegel auf dein Herz, wie ein Siegel
auf deinen Arm», indem er ihr zugleich das Verständnis und die
Wirkung dieser Worte mitteilte. Durch dieses heilige Martyrium war Maria
Martyrin vor allen andern Märtyrern. Jesus aber, das sanfteste Lamm,
«weidete unter diesen Lilien, bis der Tag der Gnade anbrach und die
Schatten des alten Gesetzes sich neigten». (547)
Das göttliche Kind genoß, so lange es an der jungfräulichen
Brust seiner heiligsten Mutter genährt wurde, keine andere Speise.
Die Milch war seine einzige Nahrung. Diese war ebenso süß, lieblich
und kräftig, als der Leib der seligsten Jungfrau rein, vollkommen,
von jedem Fehler, von jeder Unordnung, von jedem Übermaß frei
war. Kein anderer Leib kam ihm gleich an Gesundheit und Vollkommenheit.
(548)
Joseph freute sich nicht nur als Augenzeuge über die Liebkosungen,
die zwischen der heiligsten Mutter und ihrem göttlichen Kinde stattfanden.
Er selbst wurde auch gewürdigt, solche von Jesus unmittelbar zu empfangen.
Maria gab ihm sehr oft das Kind in die Arme, wenn eine Arbeit es ihr unmöglich
machte, es zu behalten. Er empfand dabei immer göttliche Einwirkungen
in seiner Seele. Das Jesuskind schaute ihn sehr freundlich an, schmiegte
sich an seine Brust und liebkoste ihn, zwar mit königlicher Würde
und Majestät, aber doch auch mit liebevoller Zärtlichkeit, wie
andere Kinder bei ihren Eltern tun. Es tat dies beim heiligen Joseph nicht
so häufig und auch nicht mit solcher Zärtlichkeit, wie bei seiner
jungfräulichen Mutter. (549)
Lehre, welche mir Maria, die heiligste Königin, gab
Meine liebe Tochter, im vorletzten Hauptstück wurdest du ermahnt,
nichts auf übernatürlichem Wege vom Herrn auszuforschen, weder
um einem Leiden zu entgehen, noch aus natürlicher Neigung, am allerwenigsten
aus eitler Neugier. So oft du deine geistigen Kräfte oder deine leiblichen
Sinne betätigst, mußt du deine Neigungen bezähmen und ihnen
nie geben, was sie verlangen, auch nicht unter dem Schein der Tugend und
Frömmigkeit. Mein Verlangen, in der Höhle zu bleiben, wo die
Geburt und Beschneidung meines heiligsten Sohnes stattgefunden, war von
Frömmigkeit beseelt. Trotzdem wollte ich dieses Verlangen nicht kundgeben.
Ich zog den Gehorsam vor und wußte, daß es für die Seelen
sicherer und Gott wohlgefälliger ist, wenn wir seinen heiligen Willen
nach dem Rat und Gutdünken anderer suchen. Der unwissende und engherzige
Mensch hängt sich mit seinen Neigungen und kleinlichen Wünschen
gar leicht an geringfügige Dinge, er läßt sich von einer
Kleinigkeit so einnehmen, als wäre sie eine wichtige Sache. Und was
nichts ist, scheint ihm etwas Großes zu sein. Hiedurch beraubt er
sich vieler Gnaden, Erleuchtungen und Verdienste und macht sich zum Empfange
derselben unfähig. (550)
Diese und alle anderen Lehren präge deinem Herzen ein. Lege
dir ein Gedenkbuch an von allem, was ich getan, um es nachzuahmen. Achte
namentlich auf die Ehrfurcht, Liebe, Sorgfalt, auf die Umsicht, womit ich
meinen Sohn behandelte. Diese Sorgfalt war mir immer eigen gewesen. Nachdem
ich aber den Sohn Gottes in meinem Schoß empfangen hatte, verlor
ich ihn niemals aus den Augen und ließ niemals die Liebe erschlaffen,
die er mir damals mitteilte. Bei diesem glühenden Verlangen, ihm stets
mehr zu gefallen, ruhte mein Herz nicht. Es war so weit entfernt, sich
an etwas Irdisches zu hängen oder einer sinnlichen Neigung zu folgen,
daß ich in dieser Hinsicht lebte, als ob ich nicht von der allgemeinen,
menschlichen Natur wäre. Wenn aber die anderen Menschen von Leidenschaften
nicht frei sind oder diese nicht in dem Grad überwinden, wie sie könnten,
so sollen sie sich nicht über ihre Natur beklagen, sondern über
ihren eigenen Willen. Die schwache Natur könnte sich vielmehr beklagen,
weil die Menschen mit ihrer Vernunft sie leiten und beherrschen könnten
und es nicht tun. Angesichts dieser Abgründe, welche das menschliche
Leben darbietet, warne ich dich, meine Teuerste: Begehre und suche nichts
Irdisches, mag es auch notwendig sein oder ganz gerecht erscheinen. Und
was du notwendig brauchst, wie die Kleidung, Nahrung, die Zelle, das gebrauche
alles im Gehorsam, mit Gutheißung der Obern. Der Herr verlangt dies,
und ich billige es, damit du alles zum Dienste des Allmächtigen gebrauchest.
Nach diesen meinen Regeln muß sich dein ganzes Verhalten richten.
(551)
SECHZEHNTES HAUPTSTÜCK
Die Anbetung der Könige
Die drei Könige, welche kamen, um das neugeborene göttliche
Kind zu suchen, waren gebürtig aus Persien, Arabien und Saba, also
aus Ländern östlich von Palästina. Ihre Ankunft hatte David
vorhergesagt (Ps 71,10) und vor ihm schon Balaam, als er nach Gottes Willen
das Volk Israel segnete, obwohl der Moabiterkönig Balak ihn gerufen
hatte, es zu verfluchen. Bei diesem Segen hatte Balaam gesagt, er werde
Christus, den König, sehen, aber nicht sogleich; er werde ihn schauen,
aber nicht nahe. Er sah ihn aber nicht selbst, sondern durch seine Nachkommen,
die Weisen, auch nicht sogleich, sondern nach mehreren Jahrhunderten. Er
sagte, daß ein Stern aus Jakob aufgehen werde, um den anzuzeigen,
der geboren werde, um ewig im Hause Jakobs zu herrschen. (552)
Diese drei Könige waren in den Naturwissenschaften sehr bewandert
und in den heiligen Schriften des Volkes Gottes sehr belesen. Deswegen
wurden sie «Weise» genannt. Durch ihre Kenntnis der Heiligen
Schrift und durch Unterredungen mit einigen Hebräern waren sie zu
einem gewissen Glauben an die Ankunft des Messias gelangt. Sie waren außerdem
aufrichtige, wahrheitsliebende Männer und äußerst gerecht
in der Regierung ihrer Staaten. Da diese nicht so ausgedehnt waren wie
die heutigen Reiche, konnten sie diese leicht selbst regieren. Als weise,
kluge Könige waren sie gerecht, denn das ist die eigentliche Aufgabe
eines Königs. Darum sagt der Heilige Geist, daß Gott des Königs
Herz in seiner Hand habe, um es wie Wasserleitungen auf das hinzulenken,
was er will (Sprichw 21,1). Sie waren auch großherzig, edelmütig
und frei von Habsucht, die das Herz der Fürsten so tief erniedrigt.
Die Staaten dieser Weisen grenzten aneinander. Sie wohnten nahe beieinander,
kannten sich gegenseitig und förderten einander in den sittlichen
Tugenden sowie in ihren Kenntnissen, indem sie sich alles Wichtige mitteilten,
was sie erfuhren. Kurz, sie standen im treuesten freundschaftlichen Verkehr.
(553)
Diese Könige sind durch den Dienst der heiligen Engel von der
Geburt des Erlösers benachrichtigt worden. Einer von den Schutzengeln
unserer Königin, von höherem Range, wurde von der Grotte abgesandt.
Als höherstehender Engel erleuchtete er die Schutzengel der Könige
und teilte ihnen den Willen und die Botschaft des Herrn mit, auf daß
sie, ein jeder seinem Schutzbefohlenen, das Geheimnis der Menschwerdung
und der Geburt Christi, unseres Erlösers, kundgeben möchten.
Sie taten es zur nämlichen Stunde, während die Könige schliefen.
So gehen die Offenbarungen der Engel gewöhnlich vor sich; sie gelangen
von Gott durch die Engel an die Seelen. Die Könige erhielten dabei
ein umfassendes, klares Licht über die Geheimnisse der Menschwerdung.
Sie wurden belehrt, daß der König der Juden als wahrer Gott
und Mensch geboren sei; daß er der Messias und Erlöser sei,
den sie erwarteten, und den die Prophezeiungen ihrer heiligen Schriften
verhießen. Jener Stern, welchen Balaam vorherverkündigt, sei
ihnen gegeben. Jeder der Könige wurde auch inne, daß die beiden
anderen dieselbe Nachricht erhielten. Diese wunderbare Gnade sei ihnen
nicht verliehen, um furchtlos zu bleiben, sondern damit sie nach der Weisung
des göttlichen Lichtes handelten. Sie erglühten von großer
Liebe und von sehnsüchtigem Verlangen, den menschgewordenen Gott kennenzulernen,
ihn als ihren Schöpfer und Erlöser anzubeten und ihm mit höchster
Vollkommenheit zu dienen. Hiezu verhalfen ihnen die erworbenen sittlichen
Tugenden. Durch sie waren sie wohl vorbereitet, um das göttliche Licht
zu empfangen. (554)
Auf diese himmlische Offenbarung hin erwachten die Könige.
Sie warfen sich auf die Erde nieder, und in den Staub gebeugt beteten sie
den unveränderlichen Gott im Geist an. Sie priesen seine unendliche
Barmherzigkeit und Güte, daß das göttliche Wort von einer
Jungfrau Fleisch angenommen, um die Welt zu erlösen und den Menschen
das ewige Heil zu verleihen. Dann faßten sie, von dem nämlichen
Geiste geleitet, den Entschluß, ohne Verzug nach Judäa abzureisen,
um das göttliche Kind zu suchen und anzubeten. Sie richteten die Gaben
her: Gold, Weihrauch und Myrrhen. Sie waren in allem auf geheimnisvolle
Weise geleitet und trafen dieselben Anordnungen, ohne sich darüber
verständigt zu haben. Um rasch abreisen zu können, versahen sie
sich mit den für die Reise nötigen Kamelen, Vorräten und
Bediensteten. Sie achteten nicht darauf, daß das Volk verwundert
sein werde, noch daß sie in ein fremdes Reich zögen mit so wenig
Ansehen und Pracht. Ohne genau den Ort zu wissen und ohne Zeichen, um das
Kind zu erkennen, beschlossen sie alsbald voll brennenden Eifers und glühender
Liebe, abzureisen und es zu suchen. (555)
Der heilige Engel, der von Bethlehem zu den Königen gekommen
war, bildete zu gleicher Zeit aus Luft einen hellschimmernden Stern, der
aber nicht so groß war, wie die Sterne des Firmamentes. Er erhob
sich nicht höher, als nötig war, um die heiligen Könige
zu der Grotte zu führen. Sein Glanz war außergewöhnlich
und von dem Glanze der Sonne und der anderen Sterne verschieden. Er leuchtete
mit seinem wunderschönen Licht in der Nacht wie eine hellbrennende
Fackel. Bei Tag zeigte er sich im Licht der Sonne mit außerordentlicher
Lebhaftigkeit. Jeder der drei Könige sah beim Heraustreten aus seinem
Haus diesen Stern, und zwar jeder denselben. Sie folgten ihm und trafen
darum in kurzer Zeit zusammen. Dann näherte sich ihnen der Stern,
indem er um viele Grade herabstieg, so daß sie in noch größerer
Nähe seines Glanzes sich erfreuen konnten. Sie besprachen die ihnen
zuteil gewordenen Offenbarungen sowie ihre Absichten und stimmten in allem
überein. Dabei wurde ihr Verlangen, das neugeborene göttliche
Kind anzubeten, noch glühender, und voll Staunen priesen sie den Allmächtigen
in seinen erhabenen, geheimnisvollen Werken. (556)
Die Weisen setzten, von dem Stern geleitet, ihre Reise fort. Sie
verloren den Stern nie mehr aus den Augen, bis sie nach Jerusalem kamen.
Als er hier verschwand, vermuteten sie, daß der wahre König
in dieser Stadt, der Hauptstadt der Juden, geboren sei. Sie traten also
in die Stadt ein und fragten öffentlich: «Wo
ist der neugeborene König der Juden? Denn wir haben im Morgenlande
den Stern gesehen, der seine Geburt verkündet, und wir kommen, um
ihn zu sehen und anzubeten» (Matth 2, 1 ff) - Diese Neuigkeit
gelangte auch zu den Ohren des Herodes, der damals, obwohl widerrechtlich,
in Judäa regierte und zu Jerusalem lebte. Als der ungerechte König
hörte, daß ein rechtmäßiger König geboren sei,
erschrak er und ward sehr verwirrt und erzürnt. Die ganze Stadt wurde
mit ihm unruhig, die einen aus Schmeichelei gegen Herodes, die anderen
aus Furcht vor Wirren. Herodes ließ, wie der heilige Matthäus
berichtet, sogleich die Hohenpriester und Schriftgelehrten zusammenkommen
und fragte sie, wo Christus, den sie gemäß ihren Schriften erwarteten,
geboren werden sollte. Sie antworteten ihm nach dem Propheten Michäas:
zu Bethlehem im Stamme Juda, denn es stehe geschrieben, von dort werde
der Fürst hervorgehen, der das Volk Israel regieren soll.
(557)
Nachdem Herodes den Geburtsort des neuen Königs der Juden erfahren
hatte, plante er, ihn durch List aus dem Wege zu räumen. Er entließ
also die Priester und berief heimlich die Könige, um die Zeit zu erforschen,
da sie den Stern gesehen hatten. Diese gaben ihm die Zeit aufrichtig an.
Nun wies sie Herodes nach Bethlehem und sprach mit verstellter Bosheit:
«Gehet hin und forschet nach dem Kinde; und wenn ihr es gefunden
habt, so zeiget es mir an, damit auch ich hinkomme, ihm zu huldigen und
es anzubeten.» So reisten die Weisen ab. Der heuchlerische König
aber war wegen dieser unfehlbaren Anzeichen in Unruhe und Angst. Er hätte
sich mit dem Gedanken beruhigen können, daß ein neugeborenes
Kind nicht so bald zur Regierung gelangen kann. Allein so schwach und trügerisch
ist das irdische Glück, daß selbst ein Kind es umstürzt,
oder eine von ferne drohende Gefahr, ja nur eine eingebildete, allen Trost
und alle Freude verdirbt, welche dasselbe zu bieten scheint. (558)
Als die Weisen Jerusalem verließen, sahen sie den Stern wieder,
den sie beim Eintritt in diese Stadt aus den Augen verloren hatten. Sie
folgten seinem Licht und gelangten nach Bethlehem zur Geburtsgrotte. Über
ihr stand der Stern still, ließ sich dann nieder, schwebte, sich
verkleinernd, in die Höhle hinein über das Haupt des Kindes und
überströmte es mit seinem Licht. Darauf löste er sich auf
und verschwand.
Maria war über die Ankunft der Könige vom Herrn unterrichtet
worden. Als sie hörte, daß diese sich der Grotte näherten,
teilte sie es dem heiligen Joseph mit, damit er ihr zur Seite stehe. Das
heilige Evangelium sagt dies nicht, weil es nicht notwendig zu dem Geheimnis
gehört. Es war nicht nötig, daß Joseph sich entfernte;
denn die Weisen wußten durch himmlische Erleuchtung, daß die
Mutter eine Jungfrau, das Kind selbst aber wahrer Gott und nicht der Sohn
des heiligen Joseph sei. Wie hätte sie auch Gott zur Anbetung herführen
und dabei zulassen können, daß sie aus Mangel an Unterweisung
sich in einer so wesentlichen Sache geirrt hätten. Sie waren bei ihrer
Ankunft über alles erleuchtet und von den erhabensten, solch großen
Geheimnissen entsprechenden Gefühlen beseelt. (559)
Das göttliche Kind auf den Armen, erwartete die heiligste Mutter
die frommen Könige. Unaussprechlich waren ihre Sittsamkeit und Anmut.
Bei all ihrer Demut und Armut strahlte sie eine mehr als menschliche Majestät
aus und ihr Antlitz leuchtete. Das göttliche Kind verbreitete einen
solchen Lichtglanz, daß die ganze Höhle in einen Himmel umgewandelt
wurde. Als die morgenländischen Könige eintraten, waren sie beim
ersten Anblick des Kindes und der Mutter eine geraume Zeit hindurch von
Bewunderung hingerissen. Sie warfen sich zur Erde nieder und beteten in
dieser Haltung das Kind mit Ehrfurcht an, indem sie es als wahren Gott
und wahren Menschen und als den Erlöser des Menschengeschlechtes anerkannten.
Durch den Anblick und die Gegenwart des süßen Jesuskindes wurden
sie aufs Neue innerlich erleuchtet. Sie schauten die Menge der himmlischen
Geister, die als Diener des Königs der Könige, des Herrn der
Herren mit Ehrfurcht und Zittern zugegen waren. Dann richteten sie sich
auf und brachten Maria ihre Glückwünsche dar, daß sie die
Mutter des Sohnes des ewigen Vaters geworden sei. Sie bezeigten ihr auch
ihre Ehrfurcht, indem sie die Knie beugten. Auch wollten sie ihr die Hand
küssen, wie dies in ihrem Reiche Königinnen gegenüber Sitte
war, aber die weiseste Herrin zog ihre Hand zurück und bot ihnen die
des Erlösers der Welt an mit den Worten: «Mein Geist frohlocket
in dem Herrn, und meine Seele lobpreist ihn, weil er unter allen Nationen
euch auserwählt und berufen hat, mit euren Augen den zu sehen, den
viele Könige und Propheten vergebens zu sehen verlangten, den menschgewordenen,
ewigen Sohn Gottes. Lasset uns seinen Namen loben und preisen wegen der
geheimnisvollen Erbarmungen, die er seinem Volke erwiesen hat. Lasset uns
die Erde küssen, die er durch seine königliche Gegenwart geheiligt
hat!» (560)
Auf diese Worte der heiligsten Jungfrau warfen sich die Könige nochmals nieder, beteten das Jesuskind an und dankten für die große Wohltat, daß ihnen die Sonne der Gerechtigkeit so frühzeitig erschienen war, um ihre Finsternis zu erleuchten. Darauf sprachen sie mit dem heiligen Joseph und priesen ihn glücklich, daß er der Bräutigam der Mutter Gottes sei. Sie waren voll Staunen und zugleich voll Mitleid wegen der so großen Armut, in der die größten Geheimnisse des Himmels verborgen waren. Nachdem sie drei Stunden zugebracht, baten sie die heiligste Jungfrau um Erlaubnis, sich in der Stadt ein Obdach zu suchen. Sie hatten einiges Gefolge; allein das Licht und die Gnade waren nur in den Königen wirksam. Die anderen hatten nur acht auf das Äußere, sahen den geringen, armen Stand der Mutter und ihres Bräutigams, und obwohl sie etwas verwundert waren über dieses ungewöhnliche Schauspiel, erkannten sie doch das Geheimnis nicht. Als Maria und Joseph mit dem Kinde wieder allein waren, priesen sie den Herrn mit neuen Lobgesängen, weil nun zum ersten Male sein Name von den Heiden erkannt und angebetet worden war. (561)
Lehre, welche mir die Himmelskönigin gab
Meine Tochter, diese Ereignisse bieten den Kindern der heiligen Kirche
große Lehren. Die bereitwillige Frömmigkeit und Demut der drei
Weisen sollen sie nachahmen, die gottlose Verhärtung des Herodes aber
sollen sie fürchten. Sie alle ernteten die Frucht ihrer Werke; die
Könige ernteten die Frucht ihrer Gerechtigkeit und ihrer vielen Tugenden,
Herodes die seines blinden Ehrgeizes und Stolzes sowie anderer Sünden,
zu welchen ihn seine ungezügelte Leidenschaft fortriß. Diese
Lehre genügt für jene, die in der Welt leben. Du aber mußt
die Lehre auf dich anwenden und beachten. Was du aus der Heiligen Schrift
und aus anderen frommen Büchern, die zur Tugend anleiten, liest oder
hörst, mußt du deinem Herzen tief einprägen und dir zunutze
machen. Diesem heiligen Glauben muß dann die Ausführung folgen,
damit du reich werdest an guten Werken, in beständiger Hoffnung auf
die Ankunft und die Heimsuchung des Allerhöchsten (Tit 2,13). (562)
Bei solcher Gesinnung wird dein Wille bereit und behende sein, wie
ich ihn wünsche, damit Gottes Wille in dir die Gefügigkeit und
Unterwerfung finde, die nötig ist, um seinen Einsprechungen nicht
zu widerstehen, sobald du sie erkannt hast. Tust du hierin deine Schuldigkeit,
dann werde ich dein Stern sein und dich auf den Pfaden des Herrn leiten,
damit du schnell voranschreitest bis du auf Sion das Angesicht deines Gottes
schauen und das höchste Gut genießen wirst.
In dem, was den frommen Königen des Morgenlandes begegnete,
ist eine für das Heil der Seelen entscheidende Wahrheit enthalten,
die jedoch sehr wenig gekannt und noch weniger befolgt wird. Die
Einsprechungen Gottes halten gewöhnlich folgende Ordnung ein: die
ersten treiben an, einige Tugenden zu üben; entspricht man ihnen,
dann sendet Gott neue und größere Gnaden, um in der Tugend noch
mehr Fortschritte zu machen. Indem man also die einen benützt, bereitet
man sich zu anderen vor und erhält immer neue, kräftigere Gnadenhilfen.
Und in dieser Ordnung nehmen die Gnaden des Herrn in dem Maße zu,
als die Seele ihnen entspricht. Hieraus wirst du zwei Dinge erkennen:
erstens welch großen Verlust es bringt, wenn man die Übung einer
Tugend geringschätzt und den göttlichen Einsprechungen nicht
entspricht; zweitens, daß Gott den Seelen gar oft große Gnaden
gäbe, wenn sie zuerst mit den geringeren mitwirken würden; denn
er ist hiezu bereit, ja er wartet sozusagen, daß man es ihm möglich
mache, seinen gerechten Ratschlüssen gemäß zu handeln.
Weil man aber auf diese Ordnung und dieses Verhalten Gottes nicht achtet,
hält Gott seinen Gnadenstrom zurück und gibt nicht, was er geben
möchte, und was die Seelen empfangen würden, wenn sie kein Hindernis
entgegenstellten. (563) Die Heiligen Drei
Könige und Herodes gingen ganz entgegengesetzte Wege. Jene entsprachen
den ersten Gnadenhilfen und Eingebungen durch gute Werke und machten sich
durch Übung vieler Tugenden fähig, durch göttliche Offenbarung
zur Erkenntnis der Geheimnisse der Menschwerdung des göttlichen Wortes
und der Erlösung des Menschengeschlechtes berufen und geleitet zu
werden. Von diesem Glück stiegen sie zu dem weiteren empor, heilig
und vollkommen zu werden auf dem Weg zum Himmel. Das Gegenteil war bei
Herodes der Fall. Hartherzig vernachlässigte er es, mit der Gnade
Gottes Gutes zu tun. Dies führte ihn zu so maßlosem Stolz und
Ehrgeiz. Diese Laster aber stürzten ihn in den tiefsten Abgrund der
Grausamkeit. Er war der erste unter allen Menschen, der dem Erlöser
der Welt das Leben nehmen wollte, wobei er noch Frömmigkeit und Liebe
heuchelte. Um den Herrn zu treffen, ermordete er in seinem Zorne sogar
die unschuldigen Kinder, damit seine fluchwürdigen Pläne nicht
vereitelt würden. (564)
SIEBZEHNTES HAUPTSTÜCK
Die Opfergaben der Heiligen
Drei Könige
Von der Geburtsgrotte zogen die drei Könige zu einer Herberge
in der Stadt Bethlehem. Dort besprachen sie sich während eines großen
Teiles der Nacht unter Tränen über das, was sie gesehen hatten,
und was ein jeder in seinem Herzen empfunden und an dem göttlichen
Kind sowie an seiner heiligsten Mutter bemerkt hatte. Dadurch wurden sie
noch mehr von Liebe zu Gott entzündet. Sie staunten über die
Majestät und den Glanz des Jesuskindes, über die Weisheit, den
Ernst und die Sittsamkeit der Mutter, über die Heiligkeit des Bräutigams
Joseph, über die Armut aller drei sowie über die Niedrigkeit
des Ortes, an dem der Herr des Himmels und der Erde hatte geboren werden
wollen. Die heiligen Könige fühlten ihre Herzen von solcher Liebesglut
zu Gott entflammt, daß sie diese nicht zurückhalten konnten
und sie durch Worte, durch Akte tiefster Verehrung und Liebe äußerten.
«Was für ein Feuer brennt in uns?» sagten sie. «Wie
groß ist die Macht dieses Königs, der solches Sehnen, solche
Gefühle in uns wachruft? Was werden wir tun im Verkehr mit den Menschen?
Wie werden wir unsere Tränen zurückhalten? Was sollen jene tun,
die ein so tiefes, neues erhabenes Geheimnis erkannt haben? O Größe
des Allmächtigen, die du den Menschen verborgen und in solche Armut
gehüllt bist! O Demut, an die kein Sterblicher gedacht hätte!
O könnten wir doch alle Menschen hieher bringen, damit niemand dieses
Glückes beraubt wäre!» (565)
Bei diesen Unterredungen gedachten die Könige auch der großen
Not, welche Jesus, Maria und Joseph in ihrer Grotte litten. Sie beschlossen
daher, zum Zeichen ihrer Zuneigung Geschenke zu senden, um ihnen wenigstens
auf diese Weise ihr Verlangen, ihnen zu dienen, zu befriedigen. Sie ließen
ihnen also durch ihre Diener viele von den Geschenken überbringen,
welche sie bereithielten. Maria und Joseph nahmen sie mit demütigem
Danke an. Ihr Dank bestand aber nicht in leeren Worten, sondern in reichlichen
Segnungen, die in den Herzen der Könige geistlichen Trost bewirkten.
Mit diesen Geschenken konnte Maria ihren gewöhnlichen Gästen,
den Armen, ein reichliches Mahl bereiten. Arme waren gar oft bei ihr, angezogen
durch die häufigen Almosen, noch mehr aber durch die freundlichen
Worte, die sie zu ihnen sprach. Von unvergleichlicher Freude erfüllt
begaben sich die Könige zur Ruhe. Im Traum gab ihnen der Engel die
Weisung bezüglich der Heimreise. (566)
Am anderen Tage kehrten die Könige frühmorgens zur Grotte
zurück, um dem Könige des Himmels ihre Geschenke anzubieten.
Zur Erde niedergeworfen beteten sie den Sohn Gottes mit tiefster Demut
an. Sie öffneten, wie das Evangelium sagt, ihre Schätze und brachten
ihm Gold, Weihrauch und Myrrhen dar. Sie legten auch der Mutter mancherlei
Fragen vor über die Geheimnisse des Glaubens, über den Zustand
ihres Gewissens und über die Regierung ihrer Staaten. Sie wollten
nicht zurückkehren, ohne vollständig über alles unterrichtet
zu sein, was zu einem heiligen Leben gehört. Maria hörte sie
mit Wohlwollen an. Während sie zu ihr redeten, beriet sie sich innerlich
mit dem göttlichen Kind über die Antworten und Belehrungen, die
sie diesen neuen Söhnen seines heiligen Gesetzes geben sollte. Als
Organ der göttlichen Weisheit antwortete sie dann auf alle vorgelegten
Zweifel, und ihre Antworten waren so weise, so belehrend und heiligend,
daß die Könige, von Bewunderung der Weisheit und Güte der
Himmelskönigin hingerissen, sich nicht von ihr trennen konnten. Darum
mußte ein Engel des Herrn ihnen ankündigen, es sei der Wille
Gottes und unumgänglich notwendig, daß sie in ihre Heimat zurückkehrten.
Es ist nicht zu verwundern, daß die heiligen Könige so erstaunt
waren; denn bei den Worten Mariens wurden sie vom Heiligen Geist erleuchtet
und nicht nur über das, worüber sie fragten, sondern auch über
viele andere Dinge mit himmlischem Lichte erfüllt. (567)
Maria nahm die Geschenke der Könige in Empfang und bot sie
in deren Namen dem Jesuskinde an. Durch die Freundlichkeit seines Angesichtes
gab es zu erkennen, daß es die Geschenke annehme. Es erteilte den
Königen seinen Segen, und zwar in einer Weise, daß sie erkennen
konnten, es wolle sie für die dargebrachten Gaben mit überreichen
himmlischen Gütern mehr als hundertfach belohnen. Auch Maria boten
sie, der Sitte ihres Landes gemäß, einige sehr kostbare Kleinodien
an. Doch Maria gab alles, was keine geheimnisvolle Bedeutung und keine
Beziehung zu dem heiligen Geheimnisse hatte, den Königen wieder zurück
und behielt nur die drei Gaben: Gold, Weihrauch und Myrrhen. Um die heiligen
Könige getröstet zu entlassen, gab ihnen Maria einige Windeln,
in welche sie das göttliche Kind gewickelt hatte. Andere sichtbare
Kostbarkeiten, mit welchen sie die Könige hätte beschenken können,
besaß Maria nicht und konnte auch keine kostbareren besitzen. Die
Könige empfingen diese Reliquien mit solcher Hochachtung und Ehrfurcht,
daß sie diese in Gold und Edelsteine fassen ließen und sorgfältig
aufbewahrten. Die Windeln aber verbreiteten zum Zeugnis ihrer hohen Heiligkeit
einen so lieblichen und starken Wohlgeruch, daß man ihn fast eine
Stunde weit verspürte. Aber nur diejenigen nahmen ihn wahr, die an
die Ankunft Gottes in der Welt glaubten. Die Ungläubigen waren von
dieser Gnade ausgeschlossen. Die drei Könige aber wirkten mit dieser
Reliquie in ihrer Heimat große Wunder. (568)
Die Könige boten der Mutter des Jesuskindes an, ihr mit all
ihren Gütern und Besitzungen zu dienen. Falls sie dies nicht annehme
und lieber am Geburtsorte ihres heiligsten Sohnes bleiben wolle, wollten
sie ihr doch zur größeren Bequemlichkeit ein Haus bauen. Die
weiseste Mutter dankte für dieses Anerbieten, nahm es aber nicht an.
Zum Abschied stellten die Könige mit der ganzen Inbrunst ihres Herzens
an die heiligste Jungfrau die Bitte, sie doch niemals zu vergessen. Maria
versprach dies. Dieselbe Bitte stellten sie auch an den heiligen Joseph.
Nachdem sie von Jesus, Maria und Joseph den Segen empfangen hatten, verabschiedeten
sie sich mit so zärtlicher Rührung, daß man hätte
glauben können, sie ließen ihre Herzen in Tränen und Seufzer
aufgelöst an jener Stätte zurück. Sie schlugen einen anderen
Weg ein, um nicht zu Herodes nach Jerusalem zurückzukommen, wie ihnen
der Engel geboten hatte. Sie wurden durch einen Stern auf einem anderen
Wege geführt. Er leitete sie bis zu dem Orte, wo sie zusammengetroffen
waren. Von da kehrte dann jeder in sein Heimatland zurück.
(569)
Das übrige Leben dieser höchst glücklichen Könige
entsprach ihrer göttlichen Berufung, denn sie lebten in ihren Staaten
als Schüler der Lehrmeisterin der Heiligkeit und regierten nach deren
Lehren sowohl ihre Seelen als auch ihre Reiche. Teils durch ihr Beispiel
und ihr Leben, teils durch Belehrungen über den Erlöser der Welt,
führten sie viele Seelen zur Erkenntnis Gottes und auf den Weg des
Heiles. Reich an Jahren und Verdiensten beschlossen sie endlich ihre Laufbahn
in Heiligkeit und Gerechtigkeit, wie im Leben so im Tode von der Mutter
der Barmherzigkeit begünstigt.
Nach der Abreise der Könige brachten die Himmelskönigin
und Joseph dem Allerhöchsten neue Loblieder für seine Wunderwerke
dar. Sie verglichen sie mit der Heiligen Schrift und mit den Weissagungen
der Patriarchen und sahen, wie alles an dem Jesuskinde in Erfüllung
ging. Die weiseste Mutter, die in diese erhabenen Geheimnisse tief eindrang,
bewahrte und erwog sie alle in ihrem Herzen. Die heiligen Engel, die bei
diesen Geheimnissen zugegen waren, wünschten ihrer Königin Glück,
daß ihr heiligster Sohn von den Menschen erkannt und angebetet wurde.
Sie priesen ihn durch neue Loblieder wegen der Erbarmungen, die er den
Menschen erzeigte. (570)
Lehre, welche mir Maria, die heiligste Himmelskönigin, gab
Meine
Tochter, groß waren die Geschenke der Könige, noch größer
aber war die Liebe, mit welcher sie diese hingaben, und das Geheimnis,
welches sie andeuteten. Durch all dies waren sie der göttlichen Majestät
höchst wohlgefällig. Auch du sollst dem Herrn Opfer bringen,
du sollst Dank sagen, daß er dich zum Stand der Armut berufen hat.
Denn ich versichere dich, es gibt vor Gott kein kostbareres Geschenk und
kein wertvolleres Opfer als die freiwillige Armut. Heutzutage
gibt es in der Welt nur sehr wenige Menschen, die von ihren zeitlichen
Gütern einen guten Gebrauch machen und sie mit der Großmut und
Liebe dieser heiligen Könige ihrem Gott und Herrn aufopfern. Die Armen,
deren Zahl groß ist, erfahren und bezeugen, wie grausam und geizig
das Menschenherz geworden ist, da die Notleidenden so wenig Hilfe bei den
Reichen finden. Diese Hartherzigkeit der Menschen schmerzt die Engel und
betrübt den Heiligen Geist, der sehen muß, wie die Würde
der Seelen so tief erniedrigt ist und wie alle mit ihren Kräften und
Fähigkeiten der schändlichen Geldgier dienen. Sie eignen sich
Reichtümer an, als wären diese für sie allein erschaffen
und verweigern sie den Armen, ihren Brüdern, die dasselbe Fleisch
und dieselbe Natur haben. Ja, nicht einmal Gott dem Herrn opfern sie diese
Reichtümer, da doch er es ist, der sie geschaffen hat, sie erhält
und sie geben oder nehmen kann, wie es ihm gefällt. Das Beklagenswerteste
aber ist, daß die Reichen, während sie mit ihrem Vermögen
das ewige Leben erkaufen könnten, sich eben damit ihr Verderben zuziehen.(571)
Diese unselige Weise ist unter den Kindern Adams etwas ganz allgemeines.
Darum ist aber auch die freiwillige Armut so erhaben und gewährt so
große Sicherheit. Wer im Stand der Armut frohen Herzens das Wenige
mit dem Armen teilt, bringt dem Herrn ein großes Opfer. Du kannst
von deinem Unterhalt einen Teil den Armen geben und dabei das Verlangen
hegen, wenn es möglich wäre, allen mit deiner Arbeit und deinem
Schweiße zu Hilfe zu kommen. Dein
beständiges Opfer aber müssen sein: die Werke der Liebe
- dies ist das Gold; beständiges Gebet - das ist der
Weihrauch;
und ruhige Ertragung der Leiden und wahre Abtötung in allen Stücken
-das ist die Myrrhe. Übrigens mußt du alles,
was du für den Herrn tust, mit feuriger Liebe und bereitwilligem Herzen
darbringen, ohne Lauheit und Zagen. Nachlässig verrichtete oder tote
Werke sind kein wohlgefälliges Opfer in den Augen des Herrn. Damit
du aber dem Herrn beständig das Opfer deiner Werke bringest, muß
der Glaube immer in deinem Herzen leuchten und dich auf Gott hinweisen,
um ihn zu loben und zu verherrlichen. Ebenso mußt du auf den Sporn
der Liebe achten, durch den Gott dich immer antreibt, nicht abzulassen
von dieser Übung. (572)
(Quelle: Maria von Agreda:
"Das Leben der jungfräulichen Gottesmutter Maria")