der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel Predigt, die der Papst am 15. August in der Pfarrkirche des heiligen Thomas von Villanova in Castel Gandolfo gehalten hat. |
Verehrte
Brüder im Bischofs- und Priesteramt,
liebe
Brüder und Schwestern!
Im
Magnifikat, dem eben im Evangelium gehörten großen Lobgesang
der Muttergottes, treffen wir auf überraschende Worte. Maria sagt:
"Siehe, von nun an preisen mich selig alle Geschlechter." Die Mutter des
Herrn prophezeit das für alle Zukunft bestehende Marienlob der Kirche,
die Marienverehrung des Gottesvolkes bis an das Ende der Zeiten. Mit dem
Lobpreis Marias hat die Kirche nichts erfunden, was "neben" der Schrift
steht, sondern vielmehr jene Prophezeiung erfüllt, die Maria in jenem
Augenblick der Gnade ausgesprochen hat.
Diese
Worte Marias waren nicht nur persönliche, vielleicht eigenmächtige
Worte. Wie Lukas berichtet, hatte Elisabet, vom Heiligen Geist erfüllt,
ausgerufen: "Selig ist die, die geglaubt hat." Und Maria setzt, ebenfalls
vom Heiligen Geist erfüllt, die Worte Elisabets fort und vervollständigt
sie, indem sie sagt: "Von nun an preisen mich selig alle Geschlechter."
Das ist eine wahre vom Heiligen Geist inspirierte Prophezeiung, in der
Verehrung Marias entspricht die Kirche einem Gebot des Heiligen Geistes
und tut, was sie tun muß.
Wir loben Gott nicht genug, wenn wir über seine Heiligen schweigen, insbesondere über "die Heilige", Maria, die seine Wohnung auf Erden geworden ist. Das einfache und facettenreiche Licht Gottes erscheint uns in seiner Vielfalt und in seinem Reichtum allein auf dem Antlitz der Heiligen, die der wahre Spiegel seines Lichtes sind. Und vor allem im Antlitz Marias können wir die Schönheit Gottes, seine Güte und Barmherzigkeit mehr erkennen als auf andere Art und Weise. Auf ihrem Antlitz können wir das göttliche Licht wirklich wahrnehmen.
"Von nun an preisen mich selig alle Geschlechter." Wir können Maria preisen, sie verehren, weil sie "selig" ist, selig ist für immer. Das ist der Inhalt dieses Festes. Sie ist selig, weil sie mit Gott verbunden ist, mit ihm und in ihm lebt.
Am Vorabend seines Leidens sagte der Herr, von den Seinen Abschied nehmend: "Ich gehe, um im großen Haus des Vaters einen Platz für euch vorzubereiten. Im Haus des Vaters gibt es viele Wohnungen." Und indem sie sagt: "Ich bin deine Magd, dein Wille geschehe", hat Maria die Wohnung Gottes hier auf Erden vorbereitet; mit Leib und Seele ist sie seine Wohnstatt geworden und hat so die Erde dem Himmel geöffnet.
Im Evangelium, das wir soeben gehört haben, gibt Lukas mit verschiedenen Hinweisen zu verstehen, daß Maria die wahre Bundeslade ist, daß das Geheimnis des Tempels, die Einwohnung Gottes hier auf Erden, sich in Maria erfüllt. Gott wohnt wahrhaft in Maria, wird hier auf Erden gegenwärtig. Maria wird das "Zelt Gottes".
Hören wir nochmals die Worte Elisabeths, die im Magnifikat Marias ergänzt werden: "Selig ist die, die geglaubt hat." Der erste und grundlegende Schritt, um Wohnstätte Gottes zu werden und so die endgültige Glückseligkeit zu finden, ist zu glauben, ist der Glaube, der Glaube an Gott, an jenen Gott, der sich in Jesus Christus offenbart hat und sich im göttlichen Wort der Heiligen Schrift an uns wendet.
Glauben bedeutet nicht, eine weitere Meinung anderen hinzuzufügen, und die Überzeugung, der Glaube, daß es Gott gibt, ist nicht eine Information wie jede andere. Bei vielen Informationen spielt es für uns keine Rolle, ob sie wahr oder falsch sind, sie ändern unser Leben nicht. Aber wenn es Gott nicht gibt, dann ist das Leben leer, ist die Zukunft leer. Wenn es Gott aber gibt, ändert sich alles, das Leben ist Licht, unsere Zukunft ist Licht, wir haben einen Orientierungspunkt dafür, wie wir leben sollen. Glauben ist somit die grundlegende Orientierung unseres Lebens.
Glauben, sagen: "Ja, ich glaube, daß du Gott bist, ich glaube, daß du in deinem menschgewordenen Sohn unter uns gegenwärtig bist", gibt meinem Leben Orientierung, veranlaßt mich, mich an Gott zu binden, mich mit ihm zu vereinen und so den Ort zu finden, wo ich leben will, und die Art und Weise, wie ich leben will. Glauben ist nicht nur eine Denkweise, eine Idee; es ist, wie ich bereits angedeutet habe, eine Handlungs-, eine Lebensweise. Glauben bedeutet, dem vom Wort Gottes vorgegebenen Weg folgen.
Diesem fundamentalen Akt des Glaubens, der ein existentieller Akt, eine Stellungnahme für das ganze Leben ist, fügt Maria ein weiteres Wort hinzu: "Er erbarmt sich von Geschlecht zu Geschlecht über alle, die ihn fürchten." Mit der ganzen Heiligen Schrift spricht sie von"Gottesfurcht", ein Wort, das wir vielleicht nicht so recht kennen oder lieben. Aber "Gottesfurcht" ist keine Angst, sondern etwas ganz anderes.
Als Kinder haben wir keine Angst vor dem Vater, wohl aberEhrfurcht vor Gott, die Sorge, jene Liebe zu zerstören, auf die unser Leben gegründet ist. Gottesfurcht ist jenes Bewußtsein für die Verantwortung, das wir haben müssen, Verantwortung für den Teil der Welt, der uns im Leben anvertraut ist. Verantwortung, diesen Teil der Welt und der Geschichte, der wir sind, gut zu verwalten und so dem rechten Aufbau der Welt, dem Sieg des Guten und des Friedens zu dienen.
"Von
nun an preisen dich selig alle Geschlechter": Das bedeutet, daß die
Zukunft, das, was vor uns liegt, Gott gehört, in seinen Händen
liegt, daß Gott siegen wird. Und es ist nicht der Drache,
der siegen wird, der starke Drache, von dem heute die erste Lesung spricht,
der Drache, der alle gewalttätigen Mächte der Welt verkörpert.
Sie scheinen unbesiegbar, aber Maria sagt uns, daß sie nicht unbesiegbar
sind.
Die Frau, so zeigen
uns die erste Lesung und das Evangelium, ist stärker, weil Gott stärker
ist. Sicher,
dem so mächtigen und bedrohlichen Drachen gegenüber erscheint
die Frau, die Maria ist und auch die Kirche, schutzlos und verwundbar.
Und tatsächlich ist Gott in der Welt verwundbar, denn er ist die Liebe,
und Liebe ist verwundbar. Dennoch hat er die Zukunft in der Hand; die Liebe
und nicht der Haß wird siegen, der Frieden wird schließlich
den Sieg erringen.
Das
ist der große Trost, der im Dogma von der Aufnahme Marias mit Leib
und Seele in die Herrlichkeit des Himmels enthalten ist. Danken
wir dem Herrn für diesen Trost, aber sehen wir ihn auch als Verpflichtung
für uns an, auf der Seite des Guten, des Friedens zu stehen. Bitten
wir Maria, Königin des Friedens, um ihre Hilfe, damit der Frieden
siegt, heute: "Königin des Friedens,
bitte für uns." Amen!
(21.11.2003)
Die große Bedeutung des Hochfestes "Mariä Himmelfahrt" - 15. August