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 Jesus wirkt in Judäa - Das Mitwirken Mariä

SIEBENUNDZWANZIGSTES HAUPTSTÜCK

Jesus wirkt in Judäa. Das Mitwirken Mariä.

Nachdem Jesus die erhabenen Ziele seines Fastens und seiner Einsamkeit in der Wüste durch den Sieg über den Satan und alle Sünden glorreich erreicht hatte, verließ er die Wüste, um die Werke der Erlösung fortzusetzen. Er warf sich zur Erde nieder und sagte seinem himmlischen Vater Lob und Dank für alles, was er durch die heiligste Menschheit zur Ehre der Gottheit und zum Heile der Menschen vollbracht hatte. Dann verrichtete er ein inbrünstiges Gebet für alle, die sich jemals, sei es für ihr ganzes Leben, sei es für einige Zeit, vom Lärme der Welt zurückziehen und in die Einsamkeit begeben würden, um der Betrachtung und anderen heiligen Übungen zu obliegen. Der Allerhöchste versprach ihm, daß er diese reichlich begnaden werde, Worte des ewigen Lebens zu ihrem Herzen reden (Of 2,14) und sie mit besonderen Gnadenhilfen und «Segnungen der Süßigkeit» (Ps 20,4) überhäufen werde. Nach diesem Gebet bat Jesus als wahrer Mensch den himmlischen Vater um die Erlaubnis, die Wüste verlassen zu dürfen. Er verließ sie dann unter Begleitung seiner heiligen Engel. (1009)
Nun ging Jesus zum Jordan, wo Johannes noch taufte und predigte. Er wollte, daß der Täufer bei seinem Anblick und in seiner Gegenwart noch einmal Zeugnis ablege für seine Gottheit und für sein Amt als Erlöser. Auch wollte er dem liebevollen Verlangen des Johannes, der ihn nochmals zu sehen und zu sprechen wünschte, willfahren. Seitdem nämlich Johannes den Herrn bei seiner Taufe zum ersten Male gesehen und seiner unmittelbaren Gegenwart sich erfreut hatte, war sein Herz von jener geheimen göttlichen Kraft, welche alles an sich zog, ganz eingenommen und entzündet. Je besser ein Herz vorbereitet ist - und das Herz des hl. Johannes war aufs Beste vorbereitet -, mit um so größerer Kraft und Wirksamkeit greift jenes göttliche Liebesfeuer um sich. So kam also der Heiland zum zweiten Mal zu Johannes. Sobald der Täufer den Herrn erblickte, sprach er: «Seht das Lamm Gottes, das hinwegnimmt die Sünde der Welt!» (Joh 1,29). Während er dies sagte, deutete er auf Jesus hin. Dann wandte er sich an das versammelte Volk und fuhr fort: «Dieser ist's, von dem ich gesagt habe: Nach mir kommt ein Mann, der vor mir ist, denn er war eher als ich. Ich kannte ihn nicht. Aber damit er in Israel bekannt werde, bin ich gekommen, mit Wasser zu taufen.» (1010)
Der Täufer sagte dies, weil er unsern Herrn vor seiner Taufe noch nicht gesehen und auch keine andere Offenbarung über seine Ankunft erhalten hatte als jene, die er bei eben derselben Gelegenheit erhielt. Während nämlich unser Herr in der Wüste war, schickten die Juden von Jerusalem Abgesandte an Johannes und ließen ihn fragen, wer er sei. Johannes antwortete ihnen: «Ich taufe mit Wasser; aber in eurer Mitte ist derjenige
gewesen, den ihr nicht kennt. Dieser ist es, der nach mir kommt, und dessen Schuhriemen aufzulösen ich nicht würdig bin» (Joh 1,26-27). (1011)
Maria schaute von ihrem Betkämmerchen aus diese Vorgänge. Sie sah, mit welcher Treue der Vorläufer bekannte, daß er nicht Christus sei, und wie er Zeugnis von der Gottheit unseres Herrn ablegte. Darum bat sie ihren göttlichen Sohn, er möge seinen Diener Johannes dafür belohnen. Der Allmächtige aber tat dies aufs Freigebigste. Denn er erhob ihn über alle vom Weibe Geborenen. Und weil Johannes die Ehre, als Messias betrachtet zu werden, von sich abgelehnt hatte, beschloß der göttliche Heiland, ihm alle jene Ehre zu erteilen, die er, ohne Messias zu sein, unter den Menschen empfangen konnte. Auch wurde der große Vorläufer mit neuen Gnaden des Heiligen Geistes erfüllt. Einige der Anwesenden waren von seinem Worte: «Sehet das Lamm Gottes» betroffen und fragten ihn, von wem er so spreche. Jesus ließ Johannes seine Zuhörer über die Wahrheit belehren. Er selbst aber ging von dort weg, Jerusalem zu, nachdem er nur sehr kurze Zeit bei dem Täufer gewesen war. Unterwegs besuchte Jesus eine geraume Zeit hindurch andere kleine Ortschaften. Ohne sich zu erkennen zu geben, belehrte er die Leute, daß der Messias bereits in der Welt sei und sandte viele zur Taufe des Johannes, damit sie sich durch die Buße auf die Erlösung vorbereiteten. (1012)
Die Evangelisten erzählen nicht, wo sich Jesus nach dem Fasten aufgehalten habe. Es ist mir aber gesagt worden, der Herr habe sich, ohne nach Galiläa zurückzukehren, ungefähr zehn Monate lang in Judäa aufgehalten, bis er wieder zum Täufer kam und dieser zum zweiten Mal sagte: «Ecce Agnus Dei». Bei dieser Gelegenheit war es, wo Andreas und die ersten Jünger, welche diese Worte des Täufers gehört hatten, unserem Herrn nachfolgten. Während dieser Zeit erleuchtete Jesus die Seelen, damit sie durch seine Lehre und durch außerordentliche Gnaden aus ihrem Schlaf erweckt und vorbereitet würden, beim Beginn seiner Predigten und Wunder den Glauben an den Erlöser williger anzunehmen und ihm zu folgen. Während dieser Zeit sprach unser Herr nicht zu den Pharisäern und den Lehrern des Gesetzes, weil diese nicht geneigt waren, an die Ankunft des Messias zu glauben. Sie nahmen ja diese Wahrheit selbst dann nicht an, als sie durch die Predigt, die Wunder und die deutlichsten Zeugnisse unseres Herrn bekräftigt war. Dagegen sprach er während dieser zehn Monate zu den Niedrigen und Armen; denn diese waren wegen ihrer Demut würdig, die «frohe Botschaft» und das Licht des Glaubens zuerst zu empfangen. Ihnen erzeigte der Herr freigebig seine Barmherzigkeit nicht nur durch seine besondere Lehre und durch innerliche Gnaden, sondern auch durch einzelne, im stillen gewirkte Wunder, um derentwillen sie ihn als einen großen Propheten betrachteten. Auf diese Weise bewegte unser Herr die Herzen unzähliger Menschen, daß sie die Sünde verließen und das Reich Gottes suchten. (1013) Unsere Liebe Frau weilte unterdessen immer in Nazareth. Sie erhielt von allen Werken ihres heiligsten Sohnes Kenntnis, teils durch göttliche Erleuchtung, teils durch die Botschaften ihrer tausend Engel. Um ihren Sohn in allem vollkommen nachzuahmen, verließ sie zur selben Zeit, da Jesus die Wüste verließ, gleichfalls ihre Einsamkeit. Unser Heiland konnte zwar in der Liebe nicht wachsen. Seit seinem Triumph über den Satan offenbarte er sie aber mit größerem Eifer. So war auch die heiligste Jungfrau, als sie ihre Einsamkeit verließ, von noch glühenderem Eifer beseelt, die Werke ihres göttlichen Sohnes zum Heile der Menschen nachzuahmen und die Menschen auf sein öffentliches Auftreten vorzubereiten. Maria ging, von ihren Engeln begleitet, in die Nachbarorte. Mit höchster Weisheit und ihrer Macht wirkte sie dort viele Wunder, jedoch im Verborgenen. Sie lehrte die Menschen, daß der Messias gekommen sei, ohne jedoch zu sagen, wer er sei. Sie zeigte vielen den Weg des Lebens, befreite sie aus dem Stand der Sünde, vertrieb die bösen Geister, verscheuchte die Finsternis der Unwissenheit und des Irrtums und bereitete die Herzen vor, an den Erlöser zu glauben. Außer diesen geistlichen Wohltaten spendete U. L. Frau noch viele leibliche, heilte Kranke, tröstete die Betrübten und besuchte die Armen. Solche Liebeswerke übte sie zwar meistens nur bei Frauen, jedoch geschah es oft auch bei Männern. Wenn sie arm und verachtet waren, so ward auch ihnen das Glück und die Gnade zuteil, von der Königin der Engel besucht zu werden. (1014)
So ahmte Maria ihren Sohn in allem nach. Speise genoß sie während dieser zehn Monate sehr wenig; denn durch jene himmlische Speise, die ihr der göttliche Heiland aus der Wüste zugesandt hatte, war sie so gekräftigt, daß sie nicht nur weite Strecken zu Fuß machen konnte, sondern auch das Bedürfnis nach anderer Nahrung weniger fühlte. Von dem Wirken des Johannes am Jordan, von seinem Predigen und Taufen, war die heiligste Jungfrau gleichfalls unterrichtet. Sie sandte ihm darum zuweilen auch manche von ihren Engeln, damit sie ihn trösteten und zu der Treue, die er seinem Gott und Herrn erzeigte, Glück wünschten.
Bei allen diesen Arbeiten war die liebevolle Mutter von der größten Sehnsucht verzehrt, ihren göttlichen Sohn wieder zu sehen. Das Herz Jesu war durch diese Inbrunst ihres heiligen und keuschesten Sehnens ganz verwundet. (1015)

Lehre, welche mir die heiligste Himmelskönigin Maria gab
Meine Tochter, ich gebe dir zwei wichtige Unterweisungen. Als erstes liebe die Einsamkeit. Bewahre sie mit höchster Sorgfalt, damit du der Segnung teilhaftig werdest, die mein allerheiligster Sohn jenen verdient und verheißen hat, die in der Liebe zur Einsamkeit seinem Beispiel folgen. Trachte immer allein zu sein, sofern du nicht durch den Gehorsam verpflichtet bist, mit den Menschen zu verkehren. Und wenn du die äußere Einsamkeit verlassen mußt, so nimm sie in deinem Herzen mit dir, so daß die äußeren Sinne und deren Gebrauch dich nicht in deiner Sammlung stören. Die äußeren Geschäfte mache wie im Vorbeigehen ab. Sei dagegen beständig in der inneren Einsamkeit und Sammlung. Zu diesem Zwecke versage jeder Vorstellung von Geschöpfen den Zutritt, denn manchmal nehmen diese Bilder den Geist mehr ein als die Sache selbst. Immer aber stören und rauben sie die Freiheit des Herzens. Eine unwürdige Sache wehre ab, wenn du dein Herz an ein Geschöpf hängen würdest, oder wenn eines in deinem Herzen Platz fände. Mein göttlicher Sohn will dein Herz für sich allein, ebenso auch ich.
Das zweite ist, daß du deine eigene Seele hochschätzest und dich bemühst, sie in aller Reinheit und Unschuld zu bewahren. Sodann sorge auch für das Seelenheil aller anderen. Ganz besonders sollst du meinem heiligsten Sohne und mir in der Liebe zu den Armen und zu den von dieser Welt Verachteten ähnlich werden. Diese Kleinen bitten gar oft um das Brot des Rates und der Unterweisung, finden aber niemand, der es ihnen bräche (Klagel 4,4), wie man dies für die Großen und Reichen der Welt tut, denen es nicht an Dienern und Ratgebern gebricht. Arme und Verachtete kommen viele zu dir; nimm sie voll Mitleid auf und tröste sie mit Zärtlichkeit, damit sie das Licht und deinen Rat in ihr aufrichtiges Herz aufnehmen. (1016)

(Quelle: Maria von Agreda: "Das Leben der jungfräulichen Gottesmutter Mariä", Bd. 3)



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