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Nachfolge
CHRISTI
Thomas
von Kempen
FÜNFTES
KAPITEL
Das
Lesen heiliger Schriften
In
den heiligen Schriften ist Wahrheit zu suchen, nicht Beredsamkeit. Jede
geistliche Schrift muss in dem Geiste gelesen werden, in dem sie geschrieben
ist. Wir sollen in solchen Schriften mehr unseren Nutzen suchen als die
Feinheit der Sprache. Ebenso gern müssen wir fromme und einfache Bücher
lesen, wie erhabene und tiefsinnige. Nicht das Ansehen des Verfassers soll
dich einnehmen, ob er mehr oder weniger gelehrt ist, sondern die Liebe
zur reinen Wahrheit ziehe dich zum Lesen.
Frage
nicht, wer dies gesagt hat; sondern achte darauf, was gesagt wird. Die
Menschen vergehen; aber „die Wahrheit des
Herrn bleibt in Ewigkeit" (Ps 116,2). Ohne
Ansehen der Person redet Gott auf mancherlei Weise zu uns. Unser Vorwitz
ist uns oft beim Lesen von Schriften hinderlich; wir wollen ergrübeln
und begreifen, was wir in Einfalt hinnehmen sollten.
Willst
du Nutzen daraus Ziehen, so lies mit Demut, Einfalt und gläubigem
Sinn und wünsche nie, dadurch gelehrt zu werden.
Frage
gern und horche still auf die Worte der Heiligen; auch lass dir die Gleichnisreden
der Alten nicht missfallen, denn sie sind nicht ohne Grund überliefert.
SECHSTES
KAPITEL
Die
ungeordneten Neigungen
Sooft
irgendeine Begierde des Menschen aus der Ordnung gerät, wird er in
seinem Innern sogleich unruhig. Der Hochmutige und Geizige hat nie Ruhe;
wer arm im Geist und von Herzen demütig ist, wandelt in der Fülle
des Friedens. Ein Mensch, der sich selbst noch nicht völlig abgestorben
ist, wird leicht versucht und strauchelt über die geringsten Kleinigkeiten.
Ein ungeordneter Geist, der Lust und den Sinnen verhaftet, kann sich nur
schwer von irdischen Begierden ganz befreien. Und darum wird er oft traurig,
wenn er ihnen einmal entsagen muss; er wird auch leicht unwillig, wenn
ihm jemand widersteht. Wenn er aber erlangt hat, was er begehrt, fühlt
er sich sogleich von Gewissensschuld gedrückt, weil er seiner Leidenschaft
gefolgt ist, die ihm nicht zu dem Frieden verhilft, den er suchte.
Der
wahre Herzensfriede wird dadurch gefunden, dass man den Leidenschaften
widersteht, nicht dadurch, dass man ihnen dient.
Darum
ist kein Friede im Herzen des irdisch gesinnten Menschen, noch in einem
Menschen, der in äusserer Betriebsamkeit aufgeht, sondern in dem,
der mit Eifer dem Gesetze des Geistes dient.
SIEBENTES
KAPITEL
Törichte
Hoffnungen und Hoffart
Töricht
ist, wer seine Hoffnung auf Menschen oder auf Geschöpfe setzt. Schäme
dich nicht, anderen aus Liebe zu Jesus zu dienen und auf Erden gering zu
erscheinen. Verlasse dich nicht auf dich selbst, sondern gründe deine
Hoffnung auf Gott. Tu, was in deinen Kräften steht, und Gott wird
deinem guten Willen beistehen. Vertraue nicht auf dein Wissen oder auf
die Klugheit irgend eines Menschen, vielmehr auf die Gnade Gottes, der
den Demütigen hilft und die Überheblichen demütigt. Rühme
dich nicht des Reichtums, wenn du wohlhabend bist, noch der Freunde, weil
sie Einfluss haben, sondern Gottes, der alles spendet und überdies
danach verlangt, sich selbst dir hinzugeben.
Bilde
dir nichts ein auf den Wuchs und die Schönheit deines Leibes; eine
geringfügige Krankheit verunstaltet und zerstört sie.
Tu
dir nichts zugute auf deine Geschicklichkeit oder Begabung, damit du nicht
Gott missfällst, dem alles gehört, was du von Natur aus an Gutem
hast. Halte dich nicht für besser als andere, damit du nicht etwa
vor Gott, der das Innere des Menschen kennt, für schlechter giltst.
Sei
nicht stolz auf deine guten Werke; Gott urteilt anders als die Menschen.
Ihm missfallt oft, was den Menschen gefällt.
Wenn
du etwas Gutes an dir hast, so glaube von anderen noch besseres, damit
du die Demut bewahrst.
Es
schadet nicht, wenn du dich allen nachsetzest, es schadet aber sehr viel,
wenn du dich auch nur einem einzigen vorziehst.
Der
Demütige hat beständigen Frieden; im Herzen des Hochmütigen
aber wuchert oft Eifersucht und Zorn.
ACHTES
KAPITEL
Allzugrosse
Vertraulichkeit
„Nicht
jedem Menschen offenbare dein Herz" (Sir 8,22),
sondern mit einem Weisen und Gottesfürchtigen berate deine Anliegen.
Vermeide
häufigen Umgang mit jungen und fremden Personen.
Schmeichle
nicht den Reichen und erscheine nicht gerne vor den Grossen dieser Welt.
Geselle
dich zu demütigen und schlichten Menschen, zu Frommen und Gutgesinnten,
und rede mit ihnen von Dingen, die der Erbauung dienen.
Sei
nicht vertraut mit einer Frau, sondern empfiehl Gott das ganze fromme Frauengeschlecht.
Mit Gott allein und seinen Engeln wünsche vertraut zu sein, und meide
die Bekanntschaft mit Menschen. Liebe muss man zu allen haben, aber Vertraulichkeit
ist vom Übel.
Es
kommt nicht selten vor, dass einer, der uns nicht näher bekannt ist,
durch guten Ruf glänzt, aber bei persönlichem Umgang schwindet
dieser vor den scharfen Augen des Beobachters. Wir meinen manchmal, anderen
durch nähere Verbindung zu gefallen, fangen im Gegenteil aber an,
ihnen durch unsere Fehler und Schwächen zu missfallen, die sie jetzt
an uns wahrnehmen.
NEUNTES
KAPITEL
Gehorsam
und Unterwürfigkeit
Es
ist etwas Grosses, im Gehorsam zu stehen, unter einem Vorgesetzten zu leben
und nicht sein eigener Herr zu sein.
Viel
sicherer ist es, Untergebener zu sein als Vorgesetzter. Viele stehen unter
dem Gehorsam mehr aus Zwang als aus Liebe; diese haben viel Plage und murren
leicht. Sie werden die Freiheit des Geistes nicht erlangen, wenn sie sich
nicht ganz aus Liebe zu Gott unterwerfen. Laufe hierhin und dorthin; nirgends
findest du Ruhe als in demütiger Unterwerfung unter die Leitung deines
Obern. Viele sind enttäuscht worden, weil sie auf eine Versetzung
oder andere Verhältnisse ihre Erwartungen setzten. Freilich handelt
jeder gern nach seinem Sinn und fühlt sich mehr zu Gleichgesinnten
hingezogen.
Aber
wenn Gott in unserer Mitte ist, müssen wir auch manchmal unsere eigene
Meinung um des lieben Friedens willen aufgeben. Wer ist so klug, dass er
alles vollkommen durchschauen konnte? Vertraue also nicht zu viel auf deine
Meinung, sondern höre auch gern die Meinung anderer.
Wenn
deine Ansicht gut ist und du doch aus Liebe zu Gott nicht darauf bestehst
und einem anderen folgst, dann wirst du ungleich grösseren Nutzen
davon haben. Ich habe oft sagen hören, es sei sicherer, Rat zu hören
und anzunehmen, als zu geben. Es mag sein, dass deine Meinung so gut ist
wie die des anderen; allein anderen nicht zustimmen wollen, obschon Vernunft
oder Sachlage es fordern, verrät Stolz und Eigensinn.
ZEHNTES
KAPITEL
Unnütze
Reden
Meide
das Treiben der Menschen, soviel du kannst; denn es ist sehr schädlich,
sich auf weltliche Handel einzulassen, auch wenn es in redlicher Absicht
geschieht. Wir werden ja von der Eitelkeit schnell umstrickt und gefesselt.
Ich wünschte, ich hatte öfter geschwiegen und ware den Menschen
fern geblieben. Aber warum reden wir so gern und schwätzen miteinander,
da wir doch so selten ohne Befleckung des Gewissens zum Stillschweigen
zurückkehren?
Wir
reden darum so gern, weil wir durch wechselseitiges Gespräch einander
zu trösten suchen und unserm von so vielen Sorgen gequälten Herzen
Luft machen mochten. Es ist uns höchst willkommen, über das zu
sprechen und nachzusinnen, was wir sehr lieben und uns wünschen, oder
was wir nangenehm finden. Aber leider oft vergeblich und nutzlos. Denn
dieser äussere Trost verbaut den inneren, der nur von Gott kommen
kann.
Darum
lasst uns wachen und beten, dass die Zeit nicht unbenutzt verstreiche.
Ist es erlaubt und nützlich, zu reden, so rede, was der Erbauung dient.
Die
böse Gewohnheit und die Vernachlässigung unseres Strebens nach
Vollkommenheit trägt viel dazu bei, dass wir unsere Zunge nicht im
Zaume halten.
Eine
ernste Unterhaltung über geistliche Dinge tragt indes nicht wenig
zur geistlichen Vervollkommnung bei; besonders wenn sich Personen eines
Sinnes und Geistes in Gott zusammenfinden.
ELFTES
KAPITEL
Herzensfriede
und Tugendeifer
Wir
konnten viel Frieden haben, wenn wir uns nicht um das kümmerten, was
andere reden und tun und was uns eigentlich gar nichts angeht.
Wie
kann der lange in Frieden bleiben, der sich in fremde Sorgen einmischt,
der äussere Zerstreuungen sucht, sich aber selten oder flüchtig
innerlich sammelt? Selig, die in rechter Einfalt des Herzens leben; sie
werden viel Frieden haben. Warum sind manche Heilige zu solcher Vollkommenheit
und zu einer so hohen Beschauung gelangt?
Weil
sie allen irdischen Begierden ganz abzusterben suchten und darum mit aller
Kraft des Herzens Gott anhangen und ohne jede Fessel für ihr Heil
wirken konnten. Wir sind zu sehr von den eigenen Leidenschaften eingenommen
und haben zu viel Sorge um vergängliche Dinge.
Selten
überwinden wir auch nur einen Fehler ganz und bemühen uns nicht,
Tag für Tag besser zu werden; darum bleiben wir kalt und lau.
Wären
wir uns selbst vollkommen abgestorben und unser Herz nicht in Irdisches
verstrickt, dann könnten wir am Göttlichen Geschmack finden und
von himmlischer Beschauung etwas erfahren.
Dies
ist das einzige grosse Hindernis, dass wir von Leidenschaften und Begierden
nicht frei sind und nicht ernst versuchen, den Weg der Heiligen zur Vollkommenheit
zu betreten. Trifft uns auch nur ein kleines Missgeschick, so sind wir
gleich niedergeschlagen und sehen uns nach menschlichem Trost um. Hatten
wir den Mut, wie tapfere Männer im Kampf standzuhalten, so würden
wir ganz sicher die Hilfe des Herrn vom Himmel über uns erscheinen
sehen. Denn er ist ebenso bereit, uns beizustehen, wenn wir kämpfen
und auf seine Gnade hoffen, wie er uns die Gelegenheit zum Kampfe gibt,
damit wir siegen.
Wenn
wir nur von gewissen äusserlichen Andachtsübungen einen Fortschritt
im religiösen Leben erwarten, wird es mit unserer Frömmigkeit
bald zu Ende sein. Legen wir doch die Axt an die Wurzel, dass wir von den
Leidenschaften frei werden und so den Frieden des Herzens erlangen. Wenn
wir in jedem Jahre nur einen Fehler ausrotteten, würden wir bald vollkommen
werden.
Aber
jetzt stellen wir oft gerade das Gegenteil fest, dass wir am Anfang unserer
Bekehrung besser und reiner waren als viele Jahre nachher.
Der
Eifer und der geistliche Fortschritt sollten täglich zunehmen; aber
jetzt erscheint es schon als etwas Grosses, wenn jemand nur ein wenig von
seinem ersten Eifer bewahrt. Würden wir uns im Anfang nur ein wenig
Gewalt antun, dann könnten wir nachher alles mit Leichtigkeit und
Freude vollbringen.
Es
ist schwer, Gewohnheiten abzulegen, noch schwerer aber, gegen den eigenen
Willen anzugehen. Wenn du jedoch das Kleine und Leichte nicht überwindest,
wann wirst du das Schwere bewältigen?
Widerstehe
deinen Neigungen im Anfang und lege die bösen Gewohnheiten ab, damit
sie dich nicht allmählich in grössere Schwierigkeiten bringen.
Wenn
du bedachtest, welch grossen Frieden du dir selbst und welche Freude du
anderen durch dein gutes Verhalten bereiten konntest, dann wärest
du, meine ich, mehr darum besorgt, Fortschritte im geistlichen Leben zu
machen.
ZWÖLFTES
KAPITEL
Der
Nutzen des Leides
Es
tut uns gut, dass uns bisweilen Unangenehmes und Lästiges begegnet.
Wir kommen hierdurch zur Besinnung und erkennen, dass wir auf Erden in
der Verbannung leben und auf nichts in der Welt unsere Hoffnung setzen
dürfen. Es ist gut für uns, dass wir zuweilen Widerspruch erfahren
und man übel und schlecht von uns denkt, auch wenn wir gut handeln
und beste Absichten haben. Das verhilft uns zur Demut und bewahrt uns vor
eitler Überheblichkeit. Denn, wenn wir bei den Menschen Geringschätzung
und Misstrauen erfahren, dann wenden wir uns mehr Gott zu als dem Zeugen
unserer inneren Gesinnung. Darum sollte der Mensch sich so fest an Gott
halten, dass er nicht nötig hatte, viel Trost bei den Menschen zu
suchen.
Wenn
jemand, der guten Willens ist, bedrängt, versucht oder von unguten
Gedanken geplagt wird, dann sieht er ein, wie sehr er Gott nötig hat,
ohne den er nichts Gutes tun kann.
Dann
ist er von Herzen traurig, seufzt und betet wegen der Plagen, die er leidet.
Dann wird er des Lebens überdrüssig und wünscht den Tod
herbei, um aufgelöst zu werden und bei Christus zu sein. Dann erkennt
er ganz klar, dass vollkommene Sicherheit und ungetrübter Friede in
der Welt nicht bestehen kann.
(Quelle:
"Dienst am Glauben", Heft 3 - 2014, S. 71 - 75, Innsbruck)
Vierzehntes Kapitel
Lass andere in Ruhe!
Richte dein Auge auf dich selbst und hüte dich, das Tun anderer
zu richten. Wer andere richtet, macht sich vergebliche Arbeit, irrt sich
oft und sündigt leicht; wer aber sich selbst richtet und erforscht,
dessen Mühe ist allzeit erfolgreich. Wie uns eine Sache am Herzen
liegt, so urteilen wir oft darüber; denn das richtige Urteil verlieren
wir leicht aus Eigenliebe.
Wäre Gott jederzeit das lautere Ziel unseres Verlangens, würden
wir nicht so leicht in Unruhe kommen, wenn uns etwas gegen den Sinn geht.
Aber oft ist etwas in uns verborgen oder wirkt auch von außen
auf uns ein, was uns in gleicher Weise anzieht.
Viele suchen bei ihrem Tun und Lassen heimlich sich selbst und merken
es nicht.
Sie scheinen auch in gutem Frieden zu sein, wenn eine Sache nach
ihrem Wunsch und Sinn läuft.
Geht es aber anders, als sie wünschen, so werden sie schnell
aufgeregt und missmutig. Aus gegensätzlichen Meinungen und Ansichten
entspringen oft Misshelligkeiten unter Freunden und Mitbürgern, unter
Ordensleuten und Frommen.
Eine alte Gewohnheit wird schwer aufgegeben, und niemand lässt
sich gern wider seine eigene Meinung leiten.
Wenn du dich mehr auf deine Vernunft oder Betriebsamkeit als auf
die siegreiche Kraft Jesu Christi verlässt, wirst du selten und nur
sehr langsam ein erleuchteter Mensch, weil Gott will, dass wir uns ihm
vollkommen unterwerfen und uns durch glühende Liebe über alle
Vernunft erheben.
Fünfzehntes Kapitel
Nichts ohne Liebe!
Um nichts in der Welt und keinem Menschen zuliebe darf man etwas
Böses tun; wohl aber soll man ein gutes Werk manchmal unterlassen
oder auch gegen ein besseres austauschen, um einem Bedürftigen zu
helfen.
Denn dadurch geht das gute Werk nicht verloren, sondern wird in
ein besseres umgewandelt.
Ohne Liebe nützt das äußere Werk nichts. Alles aber,
was aus Liebe geschieht, wie gering und unscheinbar es auch sein mag, bringt
reiche Frucht.
Denn Gott sieht mehr auf den Grad der Liebe als auf das Werk, das
einer verrichtet. Viel wirkt, wer viel liebt. Viel wirkt, wer recht wirkt.
Recht wirkt, wer mehr dem Allgemeinwohl als seinem Eigenwillen dient.
Oft scheint etwas Liebe zu sein und ist mehr sinnliche Zuneigung,
weil Neigung, Eigenliebe, Hoffnung auf Vergeltung und Hang zur Bequemlichkeit
im Spiele sind. Wer die wahre und vollkommene Liebe hat, der sucht in keiner
Sache sich selbst, sondern verlangt nur danach, dass Gottes Ehre in allem
geschehe. Er beneidet auch keinen, weil er nicht für sich allein Freude
begehrt und auch nicht in sich selbst sich freuen will, sondern in Gott
über alle Güter beseligt zu werden wünscht. Er schreibt
keinem etwas Gutes zu, sondern führt es ganz auf Gott zurück.
Von diesem Urquell geht alles aus, in diesem Endziel ist die selige Ruhe
aller Heiligen gegründet. Wer nur einen Funken wahrer Liebe kitte,
der würde wahrlich empfinden, dass alles Irdische voll Eitelkeit ist.
Sechzehntes Kapitel
Geduld mit der Umwelt
Was man an sich oder anderen nicht zu bessern vermag, soll man geduldig
ertragen, bis Gott es anders fügt.
Denke nur, so sei es besser für deine Erprobung und Geduld,
ohne die unsere Verdienste nicht hoch zu bewerten sind.
Du musst jedoch bei solchen Hindernissen beten, Gott möge dir
gnädig beistehen, damit du sie mit Gelassenheit ertragen kannst.
Wenn jemand sich auf ein- oder zweimalige Ermahnung hin nicht belehren
lässt, so streite nicht mit ihm, sondern stelle alles Gott anheim,
damit sein Wille und seine Ehre bei all seinen Dienern gefördert werde;
er weiß wohl das Böse zum Guten zu lenken. Bemühe dich,
fremde Fehler und Schwächen in Geduld zu ertragen, weil auch du vieles
an dir hast, was von anderen ertragen werden muss.
Wenn du dich selber nicht so machen kannst, wie du wünschest,
wie wirst du einen anderen nach deinem Gefallen umschaffen können.
Andere wünschen wir gern vollkommen, und doch bessern wir die
eigenen Fehler nicht.
Wir erwarten, dass andere streng zurechtgewiesen werden, und wollen
uns selbst nicht zurechtweisen lassen.
Es missfällt uns, dass anderen so viel gestattet wird, und
doch wollen wir uns selbst nichts versagt wissen, was wir wünschen.
Andere wollen wir durch Satzungen eingeschränkt sehen, aber wir selbst
lassen uns nicht im Geringsten einschränken. Dies zeigt deutlich:
Selten beurteilen wir unsere Mitmenschen so wie uns selbst. Wenn wir alle
vollkommen wären, was hätten wir dann noch von anderen für
Gott zu leiden?
Nun aber hat Gott es so eingerichtet, dass einer des anderen Last
tragen lerne! Denn keiner ist ohne Fehler, keiner ohne Bürde, keiner
genügt sich selbst, keiner ist allein klug genug; wir müssen
uns alle gegenseitig ertragen, trösten, stützen, unterweisen
und ermahnen.
Wie tugendhaft aber jemand ist, das offenbart sich am besten in
einer schwierigen Lage. Solche Gelegenheiten machen den Menschen nicht
schwach, sie zeigen nur, wie er v/irklich ist.
Siebzehntes Kapitel
Im Kloster
Du musst dich selbst in vielem beherrschen lernen, wenn du in Frieden
und Eintracht mit anderen leben willst.
Es ist nicht leicht, in einem Kloster oder in einer Gemeinschaft
zu wohnen, klaglos zu leben und bis zum Tode treu auszuharren.
Selig, wer dort gut lebt und sein Leben selig endet.
Willst du im Guten feststehen und Fortschritte machen, so betrachte
dich als einen Verbannten und Pilger auf Erden.
Du musst um Christi willen ein Tor werden, wenn du ein gottseliges
Leben führen willst. Ordenskleid und Tonsur bedeuten wenig; sittliche
Neugeburt und völlige Abtötung der Leidenschaften machen den
wahren Ordensmann.
Wer etwas anderes sucht als einzig Gott und seiner Seele Heil, der
wird nichts finden als Trübsal und Schmerz.
Auch der kann nicht lange Frieden behalten, der nicht bestrebt ist,
der Geringste zu sein und sich allen zu unterwerfen.
Zum Dienen bist du gekommen, nicht zum Herrschen. Zu dulden und
zu arbeiten, dazu - bedenke es wohl - bist du berufen, nicht zum Müßiggang
und Schwatzen. Hier werden die Menschen erprobt wie Gold im Feuer.
Hier kann niemand bestehen, der sich nicht von ganzem Herzen Gott
zuliebe verdemütigen will.
Achtzehntes Kapitel
Die heiligen Väter unser Vorbild
Betrachte die lebendigen Vorbilder der heiligen Väter, in denen
wahre Vollkommenheit und Gottverbundenheit leuchtet, dann wirst du erkennen,
wie unbedeutend und nichtssagend das ist, was wir tun.
Was ist unser Leben, wenn wir es mit dem ihrigen vergleichen! Die
Heiligen und Freunde Christi dienten dem Herrn in Hunger und Durst, in
Frost und Blöße, in Mühe und Plage, im Wachen und Fasten,
in Gebet und heiliger Betrachtung, in mancherlei Verfolgung und Schmach.
Wie viele und schwere Leiden haben die Apostel, Märtyrer, Bekenner,
Jungfrauen und alle übrigen erduldet, die Christi Fußstapfen
folgten.
Sie haben ihre Seele in dieser Welt gehasst, um sie in der Ewigkeit
zu besitzen.
Welch strenges, entsagungsvolles Leben haben die heiligen Väter
in der Wüste geführt!
Welch anhaltende und schwere Versuchungen bestanden!
Wie oft sind sie vom bösen Feinde bedrängt worden, in
wie vielen inbrünstigen Gebeten haben sie zu Gott gefleht!
Wie streng war ihre Enthaltsamkeit! Welch großen glühenden
Eifer haben sie bei ihrer geistlichen Vervollkommnung gezeigt!
Welch starken Kampf führten sie zur Ausrottung ihrer Fehler,
wie lauter und gradlinig war ihr Streben auf Gott gerichtet!
Ihr Tag war der Arbeit gewidmet, die Nacht dem Gebet; aber auch
bei der Arbeit ließen sie nicht vom innerlichen Gebet ab.
Ihre ganze Zeit verwendeten sie nützlich. Zum Umgange mit Gott
schien ihnen jede Stunde zu kurz.
Über der Wonne der Beschauung wurde sogar die notwendige leibliche
Erquickung vergessen.
Allen Reichtümern, Würden, Ehren, Freunden und Verwandten
entsagten sie; sie wollten von der Welt nichts besitzen.
Kaum das zum Leben Notwendige gönnten sie sich, und es fiel
ihnen schon schwer, auch nur im Notwendigen dem Leib dienen zu müssen.
So waren sie an irdischen Gütern arm, aber sehr reich an Gnade und
Tugend. Äußerlich litten sie Mangel, aber innerlich wurden sie
durch die Gnade und den göttlichen Trost erquickt.
Der Welt waren sie fremd, Gott aber nahe und vertraute Freunde.
Sich selbst kamen sie wie nichts vor und dieser Welt verächtlich;
aber in den Augen Gottes waren sie kostbar als seine geliebten Kinder.
Sie verharrten in wahrer Demut und lebten in einfältigem Gehorsam.
Sie wandelten in Liebe und Geduld; so wurden sie täglich vollkommener
und erlangten große Gnade bei Gott. Sie sind allen Ordensleuten ein
Vorbild, und wir sollen uns mehr durch sie zum Fortschreiten im Guten
anregen als durch die Menge der Lauen zur Nachlässigkeit verleiten
lassen.
Wie groß war der Eifer aller Ordensleute in der ersten Zeit
ihrer heiligen Stiftung! Welch tiefe Andacht im Gebet, welch großer
Wetteifer in der Tugend, welch strenge Zucht! Wie lebte in allen Ehrfurcht
und Gehorsam gegen die Regel ihres Stifters! Noch jetzt bezeugen es die
von ihnen hinterlassenen Spuren, dass es wahrhaft heilige und vollkommene
Männer waren, die so wacker kämpfend die Welt überwunden
haben. Heutzutage gilt jemand schon als vollkommen, wenn er die Ordenssatzungen
nicht übertritt, wenn er das, was er auf sich genommen hat, in Geduld
tragen kann. Wie beklagenswert ist die Lauigkeit und Nachlässigkeit
in unserem Stande, dass wir so schnell vom ersten Eifer abweichen und uns
vor Erschlaffung und Lauheit schon Über-druss am Leben überkommt.
Möchte doch in dir, nachdem du so viele Beispiele gottseliger
Menschen vor Augen gehabt hast, das Streben nach Tugenden nicht gänzlich
einschlafen!
Neunzehntes Kapitel
Der wahrhaft gute Ordensmann
Das Leben eines guten Ordensmannes muss an allen Tugenden reich sein,
damit er innerlich so sei, wie er äußerlich den Menschen
erscheint.
Ja, er soll innerlich viel mehr sein, als man äußerlich
an ihm wahrnimmt. Denn Gott ist es, der uns ins Herz schaut! Ihn müssen
wir, wo wir auch sein mögen, aufs Höchste verehren, vor seinem
Angesicht müssen wir wie Engel wandeln.
Jeden Tag sollen wir unseren Vorsatz erneuern und uns zum Eifer
anregen, als ob wir uns gerade erst bekehrt hätten, und müssen
beten:
Mein Herr und Gott, stehe mir bei in meinem guten Vorsatz und in
Deinem heiligen Dienste! Gib mir heute die Gnade, mit größtem
Ernst zu beginnen, weil das nichts ist, was ich bisher getan habe.
Unsere Fortschritte im Guten richten sich nach unserem Vorsatz,
und wer kräftig fortschreiten will, muss größten Eifer
aufwenden.
Wenn selbst einer, der sich etwas fest vornimmt, oft schwach wird,
wieviel mehr, wer selten und nur lässig einen festen Vorsatz fasst.
Auf mancherlei Art werden wir unserem Vorsatze untreu, und schon
eine geringe Unterlassung geht kaum ohne Schaden vorüber. Der Vorsatz
der Gerechten gründet mehr in der Gnade Gottes als in der eigenen
Weisheit; und was sie sich auch immer vornehmen, sie vertrauen allezeit
auf Gott.
Denn der Mensch denkt, aber Gott lenkt, und der Mensch ist nicht
Herr seines Weges. Wird eine gewohnte Übung bisweilen aus Liebe unterlassen
oder um den Brüdern zu nutzen, so kann sie später leicht nachgeholt
werden.
Wird sie aber aus innerem Überdruss oder aus Nachlässigkeit
leichtfertig versäumt, so ist das strafbar genug, und der Schaden
wird sich schon fühlbar machen. Bemühen wir uns, so viel wir
können; wir machen ohnehin in vielem kleine Fehler. Immer jedoch müssen
wir uns etwas Bestimmtes vornehmen, und besonders gegen das, was uns am
meisten im Wege ist.
Unser Äußeres und Inneres müssen wir mit gleicher
Strenge prüfen und ordnen, weil beides zum Fortschritt im Guten hilft.
Sammle dich, wenn du es nicht immer kannst, wenigstens zuweilen,
wenigstens einmal täglich, wenn möglich morgens oder abends.
Am Morgen fasse deine Vorsätze, am Abend überdenke den
Tageslauf, wie du heute in deinen Gedanken, Reden und Handlungen gewesen
bist; vielleicht hast du dabei öfter gegen Gott und den Nächsten
gesündigt.
Wappne dich wie ein Mann gegen die boshaften Angriffe des Teufels;
zügle den Gaumen; dann wirst du um so leichter jede Sinneslust zügeln.
Sei niemals ganz müßig, sondern lies oder schreibe, bete,
betrachte oder arbeite etwas zum Wohle der Gemeinschaft.
Körperliche Bußübungen sind jedoch mit Maß
anzuwenden. Sie können auch nicht von allen in gleicher Art vorgenommen
werden.
Übungen, die nicht gemeinschaftlich sind, soll man nicht vor
jedermann zeigen; denn diese besonderen Übungen werden mit größerem
Nutzen im Verborgenen angestellt. Hüte dich jedoch, dass du nicht
für gemeinschaftliche Übungen träge, für private dagegen
schnell bereit bist. Erfülle erst vollständig und treu die pflichtmäßig
auferlegten Übungen, und wenn dir dann noch freie Zeit bleibt, magst
du dich dir selbst widmen, wie die Gnade es dir eingibt.
Nicht jede Übung ist für alle angemessen; die eine passt
mehr für diesen, die andere mehr für einen anderen.
Auch ein Wechsel der Übungen nach der Zeit ist praktisch; einige
passen mehr zu Festtagen, andere zu Werktagen.
Dieser bedürfen wir zur Zeit der Versuchung, anderer in Zeiten
des Friedens und der Ruhe. Manches überdenken wir gern, wenn wir traurig,
anderes, wenn wir fröhlich sind. Um die Zeit der hohen Feste sind
bewährte Übungen aufs Neue zu beginnen und die Heiligen eifriger
um ihre Fürbitte anzurufen.
Von einem Fest zum anderen müssen wir die Vorsätze so
fassen, als ob wir bis zum nächsten aus dieser Welt scheiden und zum
ewigen Festtag gelangen würden. Darum sollen wir uns in den heiligen
Zeiten sorgfältig vorbereiten, gottseliger wandeln und jede Vorschrift
strenger beobachten, als wenn wir bald den Lohn unserer Arbeit von Gott
empfangen würden.
Und wenn sich dies noch verzögert, so wollen wir denken, wir
seien noch nicht genug vorbereitet, und noch unwürdig einer so großen
Herrlichkeit, wie sie zur vorherbestimmten Zeit an uns soll offenbar werden,
und wollen uns noch besser auf unsern Tod vorzubereiten suchen. „Selig
der Knecht", heißt es beim Evangelisten Lukas, „den
der Herr, wenn er kommt, wachend findet. Wahrlich ich sage euch, er wird
ihn über alle seine Güter setzen" (Lk 12,43).
(Quelle:
"Dienst am Glauben", Heft 1 - 2015, S. 7 - 12, Innsbruck)
Gar bald wird es hier um dich geschehen sein;
sieh deshalb zu, wie es um dich steht. Heute lebt der Mensch, morgen ist
er nicht mehr.
Entschwindet er aber erst aus den Augen, so
schwindet er bald auch aus der Erinnerung. Wie blöde und abgestumpft
ist doch das Menschenherz, dass es nur an die Gegenwart denkt und die Zukunft
ganz vergisst.
Bei allem Denken und Tun solltest du dich
so verhalten, als ob du heute sterben würdest. Hättest du ein
gutes Gewissen, so würdest du den Tod nicht sonderlich fürchten.
Besser ist es, die Sünde zu meiden, als vor dem Tod zu zittern.
Wenn du heute nicht bereit bist, wie sollst
du es morgen sein? Das „Morgen" ist ungewiss, wie willst du überhaupt
wissen, ob du dieses „Morgen" noch erlebst?
Was nützt es uns, lange zu leben, wenn
wir uns so wenig bessern?
Ein langes Leben macht nicht immer besser,
oft vergrößert es noch die Schuld.
Hätten wir doch nur einen Tag gut in
dieser Welt verbracht!
Viele zählen die Jahre seit ihrer Umkehr,
aber die Frucht der Lebensbesserung ist oft nur gering.
Ist es schrecklich zu sterben, so ist es vielleicht
noch gefährlicher, länger zu leben. Glücklich, wer die Stunde
seines Todes immer vor Augen hat und sich täglich zum Sterben bereithält.
Hast du jemals einen Menschen sterben sehen?
Bedenke, dass auch du diesen Weg gehen musst. Zur Morgenstunde nimm an,
dass du den Abend nicht erlebst. Ist es aber Abend geworden, so wage nicht,
dir den andern Morgen zu versprechen. Sei also immer bereit und lebe so,
dass der Tod dich niemals unvorbereitet findet. Viele sterben plötzlich
und unversehens. Denn „der Menschensohn kommt
zu einer Stunde, da ihr es nicht vermutet" (Lk 12, 40).
Wenn jene letzte Stunde gekommen ist, wirst
du über dein ganzes vergangenes Leben ganz anders zu denken anfangen.
Dann wirst du es sehr bedauern, so nachlässig und träge gewesen
zu sein.
Wie glücklich und klug ist doch der Mensch,
der sich bemüht, jetzt im Leben so zu sein, wie er im Tode befunden
zu werden wünscht! Der darf getrost auf eine glückliche Sterbestunde
hoffen, der die Welt gänzlich verachtet, aufrichtig nach Fortschritt
in der Tugend verlangt, die innere Zucht liebt und die strenge Buße
nicht scheut, einer, der willig Gehorsam leistet, sich selbst verleugnet
und jede Widerwärtigkeit aus Liebe zu Christus auf sich nimmt.
In gesunden Tagen kannst du viel Gutes wirken;
was du aber als Kranker zustande bringst, weiß ich nicht.
Wenige Menschen werden durch Krankheiten besser;
ebenso werden die selten heilig, die viele Wallfahrten machen.
Verlass dich nicht auf Freunde und Verwandte,
und baue dein Heil nicht auf die Ungewisse Zukunft; die Menschen vergessen
dich schneller, als du denkst. Es ist besser, jetzt beizeiten vorzusorgen
und ein gutes Werk vorauszuschicken, als auf fremde Hilfe zu hoffen.
Wenn du jetzt nicht für dich selbst sorgst,
wird es in Zukunft kaum jemand tun.
Jetzt ist die Zeit sehr kostbar. „Jetzt
sind die Tage des Heils, jetzt ist die gnadenreiche Zeit" (2 Kor 6,2).
Wie schade, dass du diese Zeit nicht besser
anwendest, obgleich du dir jetzt das ewige Leben verdienen kannst.
Es kommt der Augenblick, wo du dir einen Tag
oder eine Stunde wünschest, um dich bessern zu können, aber ich
weiß nicht, ob sie dann noch gewährt wird. Lieber Freund! Von
welcher Gefahr kannst du dich befreien und welcher Furcht entgehen, wenn
du jetzt in Furcht lebst und den Tod vor Augen hast!
Bemühe dich jetzt, so zu leben, dass
du in der Stunde des Todes eher Freude als Furcht empfindest.
Lerne jetzt der Welt absterben, um dann ein
neues Leben mit Christus zu beginnen. Lerne jetzt alles verachten, um dann
ungehindert zu Christus zu kommen. Züchtige jetzt deinen Leib durch
die Buße, um dann sichere Zuversicht zu haben. Du Tor! Du denkst,
noch lange zu leben. Dabei hast du hier doch keinen einzigen Tag sicher!
Wie viele haben sich getäuscht und sind
unversehens aus diesem Leben hinweggerafft worden!
Wie oft hast du sagen hören: Der fiel
durch das Schwert, der ertrank, der stürzte aus großer Höhe
und brach das Genick, der erstickte beim Essen, der endete beim Spiel;
der eine kam durch Feuer, der andere durch Eisen, der eine durch eine Seuche,
der andere durch Raubmord um, und so ist das Ende aller der Tod, und flüchtig
vergeht das Leben der Menschen wie ein Schatten.
Wer denkt nach dem Tode noch an dich, und
wer wird für dich beten?
Wirke, wirke jetzt, lieber Freund, soviel
du nur wirken kannst; denn du weißt nicht, wann du stirbst, auch
nicht, was dir nach dem Tode bevorsteht.
Solange du Zeit hast, sammle dir unvergängliche
Schätze. Denk nur an dein Seelenheil; sorge dich nur um das, was Gottes
ist.
Mache dir jetzt Freunde, indem du die Heiligen
Gottes verehrst und ihrem Tugendleben nachstrebst, damit sie dich, wenn
du aus diesem Leben scheidest, „in die ewigen
Wohnungen aufnehmen" (Lk 16,9).
Sei du stets wie ein Pilger und Fremdling
auf Erden, den die Händel der Welt nichts angehen.
Halte dein Herz frei und stets nach oben,
auf Gott gerichtet, weil du hier keine bleibende Stätte hast (vgl.
Hebr 13,14).
Dorthin richte täglich deine Gebete,
Tränen und Seufzer, damit deine Seele nach dem Tode gewürdigt
werde, selig zum Herrn heimzufinden.
(Quelle:
"Dienst am Glauben", Heft 3, Juli-Sept. 2015, S. 72f., Axams)
Vierundzwanzigstes Kapitel
Gericht und Vergeltung
Bei allem, was du tust, denke an das Ende! Wie wirst du vor dem strengen
Richter bestehen, dem nichts verborgen bleibt, der sich durch Gaben nicht
bestechen lässt und Entschuldigungen nicht annimmt, sondern nach der
Gerechtigkeit richtet. Elender, törichter Sünder, was willst
du Gott, der alle deine Sünden kennt, antworten, da du manchmal schon
den Blick eines zornigen Menschen fürchtest? Warum siehst du dich
nicht vor für den Tag des Gerichtes, an dem niemand durch einen anderen
entschuldigt oder verteidigt werden kann, sondern jeder mit seiner eigenen
Last genug hat.
Jetzt ist deine Arbeit noch fruchtbar, jetzt wird dein Flehen erhört,
jetzt ist dein Reueschmerz Sühne und Läuterung.
Ein großes und heilsames Läuterungsmittel hat der Geduldige,
der bei Beleidigungen mehr Schmerz empfindet über die Arglist des
anderen als über die eigene Kränkung; der für seine Widersacher
gern betet und ihnen von Herzen ihre Schuld vergibt; der nicht zögert,
von anderen Verzeihung zu erbitten; der sich lieber erbarmt als zürnt.
Der sich selbst oft Gewalt antut und das Fleisch dem Geiste gänzlich
zu unterwerfen sucht.
Es ist besser, sich jetzt von Sünden zu reinigen und Laster
auszurotten, als die Reinigung auf die Zukunft zu verschieben.
Wir täuschen uns nur selbst durch die ungeordnete Liebe, die
wir zum Leib haben. Was anderes wird jenes Feuer verzehren als deine Sünden?
Je mehr du jetzt dich selbst schonst und der Sinnlichkeit nachgibst,
umso härter wirst du einst büßen müssen, und umso
mehr Brennstoff bewahrst du für das verzehrende Feuer auf.
Worin der Mensch gesündigt hat, darin wird er am härtesten
gestraft werden.
Die Trägen werden dort mit glühenden Stacheln angetrieben
und die Unmäßigen von grässlichem Hunger und Durst gequält
werden.
Dort werden die Üppigen und Wollüstigen mit glühendem
Pech und übelriechendem Schwefel übergossen und die Neidischen
wie tolle Hunde vor Schmerz heulen. Jedes Laster wird seine eigene Qual
haben.
Die Stolzen werden dort durch Beschämung jeder Art gedemütigt
und die Habsüchtigen von der jämmerlichsten Armut gequält.
Dort wiegt eine Stunde der Pein schwerer als hier hundert Jahre
der schwersten Buße. Dort gibt es keine Ruhe, keinen Trost für
die Verdammten; wogegen man hier zuweilen von den Mühen ausruht und
den Trost der Freunde genießt.
Sei hier wegen deiner Sünden in Sorge und bereue sie, damit
du am Tage des Gerichtes mit den Seligen in Sicherheit bist.
Denn dann stehen die Gerechten in großer Zuversicht gegen
jene, die sie bedrängt und bedrückt haben.
Dann steht als Richter auf, der sich jetzt demütig den Urteilen
der Menschen unterwirft. Dann ist der Arme und Demütige voll Vertrauen,
aber der Stolze muss jämmerlich verzagen.
Dann zeigt sich, dass der in dieser Welt klug war, der es gelernt
hat, um Christi willen ein Tor und verachtet zu sein.
Dann findet jede geduldig ertragene Trübsal Anerkennung „und
alle Bosheit verstummt" (Ps 106,42).
Dann freut sich jeder Fromme und jeder Gottlose härmt sich.
Dann frohlockt der Leib, der abgetötet wurde, mehr, als wäre
er allezeit gepflegt und verweichlicht worden.
Dann leuchtet die ärmliche Tracht auf und die feine Kleidung
verliert ihren Glanz.
Dann wird die kleine Hütte mehr gepriesen als der goldstrotzende
Palast.
Dann hilft standhafte Geduld mehr als alle Macht der Welt.
Dann gilt der einfältige Gehorsam mehr als alle weltliche Klugheit.
Dann erfreut ein reines, gutes Gewissen mehr als gelehrte Weltweisheit.
Dann wiegt die Verachtung des Reichtums schwerer als alle Schätze
der Erdenkinder.
Dann hast du von einem andächtigen Gebet mehr Trost als von
einem leckeren Mahl.
Dann freust du dich über dein Schweigen mehr als über
lange Plaudereien.
Dann gelten heilige Werke mehr als viele schöne Worte.
Dann macht ein strenges, in harter Buße verbrachtes Leben
mehr Eindruck als alle irdische Lust.
Lerne jetzt im Kleinen Geduld üben, damit du dort vor Schwererem
bewahrt bleibest. Hier erprobe schon, was du dereinst wohl auszuhalten
vermagst. Wenn dir jetzt ein geringes Leiden schon zu schwer ist, wie wirst
du dann die ewigen Qualen ertragen können? Wenn dich ein geringes
Leiden jetzt so ungeduldig macht, wie wird dann die Hölle auf dich
wirken?
Du kannst wirklich nicht zweifache Freude haben, hier die Freuden
der Welt genießen und später mit Christus verherrlicht sein.
Hättest du bis zum heutigen Tage immer in Ehre und Genuss gelebt,
was nützte dir das alles, wenn du jetzt auf der Stelle sterben müsstest?
Du siehst, alles ist Eitelkeit außer Gott lieben und ihm allein
dienen. Wer Gott aus ganzem Herzen liebt, der braucht weder Tod noch Strafe
zu fürchten, weder Gericht noch Hölle, weil die vollkommene Liebe
sicheren Zutritt zu Gott bereitet. Findet aber jemand noch Freude an der
Sünde, so ist es kein Wunder, dass er Tod und Gericht fürchtet.
Wenn dich aber die Liebe noch nicht vom Bösen abhält,
dann ist es gut, dass wenigstens die Furcht vor der Hölle dich davor
bewahrt. Wer aber die Furcht Gottes hintansetzt, der kann nicht lange im
Guten bestehen, sondern gerät schon bald in die Fallstricke des Teufels.
Fünfundzwanzigstes Kapitel
Von Grund auf besser werden
Sei wachsam und eifrig im Dienste Gottes und bedenke oft: Wozu bist
du gekommen und warum hast du die Welt verlassen? Doch sicher, um für
Gott zu leben und ein geistlicher Mensch zu werden.
Bemühe dich also mit Feuereifer, besser zu werden; denn du
wirst den Lohn deiner Mühen in kurzem empfangen, und es wird dich
dann keine Furcht oder Schmerz mehr bedrücken.
Jetzt brauchst du nur ein wenig an dir zu arbeiten und findest dafür
große Ruhe, ja immerwährende Freude.
Wenn du dich treu und eifrig bemühst, dann wird Gott dir ohne
Zweifel treu und reich vergelten.
Du darfst Zuversicht haben, dass du zur Siegespalme gelangst; aber
du darfst dich nicht in Sicherheit wiegen, damit du nicht lau oder hochmütig
wirst.
Jemand wurde von Angst ergriffen und schwebte oft zwischen Furcht
und Hoffnung. Einmal sank er, vor Gram erschöpft, in einer Kirche
vor einem Altare nieder und dachte bei sich: Wenn ich doch wüsste,
dass ich in Zukunft beharrlich sein würde! Sogleich vernahm er im
Innern die Antwort Gottes: Was würdest du tun, wenn du dies wüsstest?
Tue jetzt, was du dann tun wolltest, und du darfst vollkommen ruhig sein.
Getröstet und gestärkt, überließ er sich dem göttlichen
Willen, und die ganze Angst fiel von ihm ab. In Zukunft wollte er nicht
mehr vorwitzig grübeln, um sein künftiges Los zu erfahren, sondern
wollte mehr danach forschen, was Gottes Wille sei und wie er nach der Richtschnur
des göttlichen Wohlgefallens jedes gute Werk anfangen und vollenden
könne.
„Hoffe auf den Herrn und tue Gutes," sagt
der Prophet, und „bewohne das Land und nähre
dich von seinen Schätzen" (Ps 36,3).
Eines hält viele vom Fortschritt und von ernsthafter Besserung
zurück: die Scheu vor der Schwere des Opfers, das der mühsame
Kampf erfordert.
Aber gerade jene machen die größten Fortschritte in der
Tugend, die gerade das mannhaft zu überwinden trachten, was ihnen
am meisten Schwierigkeiten und Widerstand bereitet.
Denn eben da nimmt der Mensch im Guten zu und verdient sich reichere
Gnaden, wo er sich selbst mehr überwindet und im Geiste abtötet.
Es haben aber nicht alle gleichviel zu überwinden und in sich
abzutöten. Wer jedoch den rechten Tugendeifer hat, wird mehr Fortschritte
machen können, auch wenn er mehr Leidenschaften zu bekämpfen
hat, als ein anderer, der zwar gute Anlagen hat, dafür aber weniger
Tugendeifer.
Zwei Dinge helfen besonders zu gründlicher Besserung: sich
mit Gewalt dem entziehen, wozu die Natur sündhaft neigt, und eifrig
nach dem Guten ringen, dessen einer am meisten bedarf.
Suche vor allem das zu meiden und zu überwinden, was dir bei
anderen am meisten missfällt.
Sei überall darauf bedacht, im Guten voranzukommen. Lass dich
zur Nachahmung begeistern, wenn du gute Beispiele siehst und hörst.
Wenn du aber etwas Tadelnswertes wahrnimmst, so hüte dich,
Gleiches zu tun. Wenn du es aber einmal getan hast, so suche dich schnell
zu bessern. Wie dein Auge andere betrachtet, so wirst du selbst von diesen
beobachtet. Wie angenehm und erfreulich ist es, eifrige, fromme Brüder
in heiliger Zucht und Ordnung zu sehen.
Wie traurig und bedrückend dagegen der Anblick solcher, die
das Gesetz der Ordnung übertreten und das nicht üben, wozu sie
berufen sind!
Wie schädlich ist es, die Pflichten des Berufes zu vernachlässigen
und den Sinn auf Dinge zu richten, die uns nichts angehen!
Denke an den gefassten Entschluss und halte dir das Bild des Gekreuzigten
vor Augen. Du hast Grund genug, dich beim Anblick Jesu zu schämen,
weil du dich noch nicht ernstlicher bemüht hast, ihm ähnlich
zu werden, obwohl du dich schon lange auf dem Wege zu Gott befindest.
Ein Ordensmann, der sich eifrig und voll Andacht mit dem hochheiligen
Leben und Leiden des Herrn beschäftigt, wird darin alles in Fülle
finden, was ihm nützlich und notwendig ist. Er hat es nicht nötig,
außer Jesus etwas Besseres zu suchen. Wenn Jesus der Gekreuzigte
in unser Herz käme, wie schnell würden wir zur Genüge belehrt
sein!
Ein eifriger Ordensmann erträgt alles und nimmt gerne auf sich,
was ihm befohlen wird. Ein nachlässiger und lauer Ordensmann dagegen
hat Plage über Plage und fühlt sich von allen Seiten eingeengt,
weil er im Herzen keinen Frieden hat, und äußeren Trost zu suchen
ist ihm verwehrt.
Ein Ordensmann, der die Zucht abschüttelt, ist schwerem Falle
ausgesetzt.
Wer ein weniger strenges, ungebundenes Leben sucht, wird immer in
Unruhe bleiben, weil ihm bald dies, bald jenes missfällt.
Wie machen es denn so viele andere Ordensleute, die sich streng
an die klösterliche Ordnung halten?
Sie gehen selten aus, leben abgeschieden, essen sehr einfach, kleiden
sich schlicht, arbeiten viel, reden wenig, wachen lange, stehen früh
auf, beten viel, halten häufig eine geistliche Lesung und bewahren
sich in strenger Zucht.
Die Kartäuser, Zisterzienser und die Mönche und Nonnen
verschiedener Orden erheben sich jede Nacht und singen das Lob Gottes.
Darum solltest du dich schämen, in seinem heiligen Dienste
träge zu sein, während so viele Ordensleute Gott preisen.
Hätten wir doch nichts anderes zu tun, als den Herrn unsern
Gott mit Herz und Mund zu preisen!
Wenn du doch niemals nötig hättest, zu essen, zu trinken,
zu schlafen, sondern immer Gott loben und nur für das geistliche Studium
leben könntest, du würdest viel glücklicher sein als jetzt,
wo du manche leibliche Bedürfnisse befriedigen musst. Gäbe es
doch keine solchen Bedürfnisse, sondern nur geistliche Bedürfnisse
der Seele. Aber wie selten verkosten wir die Seligkeit, sie zu befriedigen!
Wenn der Mensch es dahin bringt, dass er von keinem Geschöpf
Trost erwartet, dann fängt er erst an, Gott ganz zu verkosten, dann
wird er auch mit allem, was kommt, ganz zufrieden sein.
Dann wird ihn nicht Großes mehr erfreuen, über Kleines
wird er nicht traurig werden. Er überlässt sich voll Vertrauen
in allem Gott, der ihm alles in allem ist, dem nichts zugrundegeht noch
stirbt, dem alles lebt, auf dessen Wink alles unverzüglich gehorcht.
Denke immer an das Ende und daran, dass die verlorene Zeit nicht wiederkehrt.
Ohne Sorgfalt und Fleiß wirst du niemals Tugenden erlangen. Wenn
du anfängst, lau zu werden, fängt dein Unglück an.
Wenn du dich aber eifrig an die Arbeit machst, wirst du großen
Frieden finden. Die Gnade Gottes und die Liebe zur Tugend werden dich die
Mühe weniger empfinden lassen.
Wer vor Eifer glüht, ist zu allem bereit.
Mehr Mühe macht es, den Sünden und Leidenschaften zu widerstehen,
als schwere körperliche Arbeit zu verrichten.
Wer kleine Mängel nicht meidet, fällt nach und nach in
größere. Du wirst dich am Abend jedes Mal freuen, wenn du den
Tag nützlich zugebracht hast. Wache über dich selbst, treibe
dich an, spreche dir Mut zu! Achte auf dich selbst, wie es auch immer mit
anderen stehen mag.
Du wirst so weit vorankommen, als du dir selbst Gewalt antust.
(Quelle:
"Dienst am Glauben", Heft 4, Okt. - Dez. 2015, S. 103-107, Axams)